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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Volkswille und Kriegführung

und einflußreiche Leute ihre besonderen Pläne mit Belgien habenI" Ganz
anders liegt die Sache, wenn sich jeder nach eigenen Erfahrungen und Be¬
obachtungen an der Front sagen muß, daß der Feind nicht Frieden schließen
will, ehe er uns nicht in eine Lage gebracht hat, die jeder unserer Leute ab¬
lehnt. Unsere Leute wollen nicht, daß die Opfer, die sie gebracht haben, die
Leiden, die sie erduldet haben, vergeblich bleiben, daß alles Blut umsonst ge-
flossen ist, und daß sich das alles nach verhältnismäßig kurzer Zeit wiederholt.
Gegen diese aus dem eigenen Erlebnis geborene Forderung wird auch die
sozialistische Phrase machtlos sein. Aber die klare Erkenntnis, was dazu ge¬
hört, um dem Deutschen Reich im einzelnen und besonderen alle nötigen
Sicherheiten zu verschaffen, kann erst gewonnen werden, wenn das Verhalten
des Feindes selbst die Hinfälligkeit der verschiedenen Verftändigungsmöglich-
keiten gezeigt hat, die bisher in den einzelnen Entwicklungsstadien des Krieges
auf unserer Seite immer wieder ausgeklügelt worden find. Die Erscheinungen
allmählicher Erweichung und Ungeduld, die nach dem Nachlassen des ersten
Begeisterungsüberschwangs bei der langen Dauer des Krieges etwas deutlicher
in die Augen fallen, werden von unsern übereifriger Patrioten stark über¬
schätzt. In Wahrheit hämmert uns der Krieg stärker zusammen, und die Mehr¬
heit des deutschen Volkes ist bereit, stillzuhalten.

Aus solchen Betrachtungen heraus wird zu verstehen sein, warum der
Reichskanzler nach der Meinung vieler Leute, die sich keineswegs zu den Be¬
fürwortern eines "unausgefochtenen" Krieges, einer vorzeitigen Wiederanknüpfung
mit den Besiegten oder verwandter Bestrebungen rechnen, durchaus das Richtige
getroffen hat, wenn er bestrebt ist, die Frage der Kriegsziele im besonderen
und der Friedensbedingungen auch jetzt noch bis auf weiteres aus der all¬
gemeinen Erörterung auszuscheiden. Dazu gehört denn auch weiter, daß er
sich selbst so weit als möglich dieser Erörterung entzieht und es vermeidet, sich
auf einen schon bezeichneten Standpunkt durch den beliebten Trick einer provozierten
"Avschüttelung" oder Zustimmung festlegen zu lassen.

Ob diese Haltung in allen Einzelheiten immer geschickt und glücklich durch¬
geführt worden ist oder nicht, ist für die grundsätzliche Unterstützung oder Be¬
kämpfung des Kanzlers ganz und gar nebensächlich. Man würde sich im
Zeichen des Burgfriedens nichts vergeben, wenn man die Erörterung der
Fragen, in denen man mit dem Reichskanzler vielleicht verschiedener Meinung
ist, etwas großzügiger anfassen wollte. Wer durchaus der Überzeugung ist,
daß die Erörterung der Kriegsziele baldigst freigegeben werden müsse, kann
ja immer wieder seine Gründe dafür aufmarschieren lassen und die ihm schädlich
erscheinenden Meinungen der Gegenparteien bekämpfen. Nur soll er sachlich bleiben.
Leider hat sich der Kampf gegen den Reichskanzler nicht in diesen Grenzen ge¬
halten, und das ist für alle diejenigen, die eine solche Art der Bekämpfung --
vollends in der Kriegszeit -- verurteilen, ein weiterer Grund, sich auf die Seite
des Kanzlers zu stellen. Auch diese Seite der Sache darf nicht unberührt bleiben.


Volkswille und Kriegführung

und einflußreiche Leute ihre besonderen Pläne mit Belgien habenI" Ganz
anders liegt die Sache, wenn sich jeder nach eigenen Erfahrungen und Be¬
obachtungen an der Front sagen muß, daß der Feind nicht Frieden schließen
will, ehe er uns nicht in eine Lage gebracht hat, die jeder unserer Leute ab¬
lehnt. Unsere Leute wollen nicht, daß die Opfer, die sie gebracht haben, die
Leiden, die sie erduldet haben, vergeblich bleiben, daß alles Blut umsonst ge-
flossen ist, und daß sich das alles nach verhältnismäßig kurzer Zeit wiederholt.
Gegen diese aus dem eigenen Erlebnis geborene Forderung wird auch die
sozialistische Phrase machtlos sein. Aber die klare Erkenntnis, was dazu ge¬
hört, um dem Deutschen Reich im einzelnen und besonderen alle nötigen
Sicherheiten zu verschaffen, kann erst gewonnen werden, wenn das Verhalten
des Feindes selbst die Hinfälligkeit der verschiedenen Verftändigungsmöglich-
keiten gezeigt hat, die bisher in den einzelnen Entwicklungsstadien des Krieges
auf unserer Seite immer wieder ausgeklügelt worden find. Die Erscheinungen
allmählicher Erweichung und Ungeduld, die nach dem Nachlassen des ersten
Begeisterungsüberschwangs bei der langen Dauer des Krieges etwas deutlicher
in die Augen fallen, werden von unsern übereifriger Patrioten stark über¬
schätzt. In Wahrheit hämmert uns der Krieg stärker zusammen, und die Mehr¬
heit des deutschen Volkes ist bereit, stillzuhalten.

Aus solchen Betrachtungen heraus wird zu verstehen sein, warum der
Reichskanzler nach der Meinung vieler Leute, die sich keineswegs zu den Be¬
fürwortern eines „unausgefochtenen" Krieges, einer vorzeitigen Wiederanknüpfung
mit den Besiegten oder verwandter Bestrebungen rechnen, durchaus das Richtige
getroffen hat, wenn er bestrebt ist, die Frage der Kriegsziele im besonderen
und der Friedensbedingungen auch jetzt noch bis auf weiteres aus der all¬
gemeinen Erörterung auszuscheiden. Dazu gehört denn auch weiter, daß er
sich selbst so weit als möglich dieser Erörterung entzieht und es vermeidet, sich
auf einen schon bezeichneten Standpunkt durch den beliebten Trick einer provozierten
„Avschüttelung" oder Zustimmung festlegen zu lassen.

Ob diese Haltung in allen Einzelheiten immer geschickt und glücklich durch¬
geführt worden ist oder nicht, ist für die grundsätzliche Unterstützung oder Be¬
kämpfung des Kanzlers ganz und gar nebensächlich. Man würde sich im
Zeichen des Burgfriedens nichts vergeben, wenn man die Erörterung der
Fragen, in denen man mit dem Reichskanzler vielleicht verschiedener Meinung
ist, etwas großzügiger anfassen wollte. Wer durchaus der Überzeugung ist,
daß die Erörterung der Kriegsziele baldigst freigegeben werden müsse, kann
ja immer wieder seine Gründe dafür aufmarschieren lassen und die ihm schädlich
erscheinenden Meinungen der Gegenparteien bekämpfen. Nur soll er sachlich bleiben.
Leider hat sich der Kampf gegen den Reichskanzler nicht in diesen Grenzen ge¬
halten, und das ist für alle diejenigen, die eine solche Art der Bekämpfung —
vollends in der Kriegszeit — verurteilen, ein weiterer Grund, sich auf die Seite
des Kanzlers zu stellen. Auch diese Seite der Sache darf nicht unberührt bleiben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/148>, abgerufen am 17.06.2024.