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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Volkswille und Kriegführung

stehenden Entschlüsse der politischen Reichsleitung können nnr von einer Stelle
aus, an der alle Fäden zusammenlaufen, richtig beurteilt werden. Auch ein
strategisches oder politisches Genie kann unter Umständen eine Lage falsch be¬
urteilen und zu einem unrichtigen Schluß gelangen, wenn ihm die Kenntnis der
konkreten Unterlagen fehlt, die den Entschluß bedingen. Im Jahre 1670 hat
Roon, und auf seine allgemeine militärische Autorität gestützt auch Bismarck,
in der Frage der Beschießung von Paris offenkundig geirrt. Es gibt zwar
Leute, die noch heute kühn behaupten, Moltke sei es, der geirrt habe, weil nach
ihrer nur auf einem Gefühl beruhenden Meinung das, was Bismarck sagte,
von vornherein richtig war. Für den Fachmann ist aber seit der Veröffent¬
lichung von Moltkes Korrespondenz diese Ansicht nicht aufrecht zu erhalten.
Moltke verfügte eben über Daten, die auch Roon in dieser besonderen Frage
nicht kannte. Die Analogie mit der berühmten Stellungnahme zur U-Bootfrage
ist leicht zu erkennen.

Man entschuldigt die Opposition mit "vaterländischer Sorge". Auch hier
dränge sich ein geschichtliches Beispiel auf. General von Steinmetz, der 1866
wie 1870 als eifriger Widersacher Moltkes auftrat und nicht genug vor den
Plänen Moltkes warnen konnte, war ein tüchtiger und erfahrener General, und
sein Vorgehen entsprang aufrichtiger patriotischer Besorgnis. Dennoch war es
in der Ordnung, daß der König bei aller Güte und Rücksicht für seine alten,
verdienten Generale dieses Verhalten 1866 zurückwies, 1870 dagegen einschritt.
Aber wer wollte entscheiden können, ob nicht die Kriege 1866 und 1870
allenfalls auch nach Steinmetz' Ideen hätten gewonnen werden können. Es
führen immer verschiedene Wege nach Rom; was unsere Generalstäbler scherzhaft
die "Patentlösung" taktischer und strategischer Aufgaben nennen, gibt es nur
in der Friedensschule. Aber immer muß einer der Herr sein, der den Weg
zeigt und die Verantwortung trägt. Je klarer und bestimmter dieses Verhältnis
empfunden wird, desto notwendiger erscheint die Unterdrückung und Ausschaltung
aller Vorwände für unbefugtes Mitreden in der Kriegführung selbst. In diesem
Zusammenhang ist auch die "vaterländische Sorge" nur ein beschönigender
Ausdruck für Disziplinlosigkeit, besonders wenn sie nicht eigener Einsicht und innerem
Zwang entspringt, sondern die Frucht entweder einer tendenziösen Agitation,
oder gar verleumderischen Klatsches ist.

Die Ausschaltung des Gebiets der Kriegführung läßt genug anderes für
die Kritik und die Geltendmachung des Volkswillens frei. Es ist nicht davon
die Rede, daß alles gebilligt werden soll, was im Namen des höchsten ver¬
antwortlichen Reichsbeamten geschehen ist. Die Fehlgriffe der Zensur und
ähnliches haben genug Grund zur Klage geschaffen, aber sie rechtfertigen nicht
die Betonung von Forderungen, die im Grunde genommen den Volkswillen
über notwendige Rücksichten der Kriegführung stellen.




Volkswille und Kriegführung

stehenden Entschlüsse der politischen Reichsleitung können nnr von einer Stelle
aus, an der alle Fäden zusammenlaufen, richtig beurteilt werden. Auch ein
strategisches oder politisches Genie kann unter Umständen eine Lage falsch be¬
urteilen und zu einem unrichtigen Schluß gelangen, wenn ihm die Kenntnis der
konkreten Unterlagen fehlt, die den Entschluß bedingen. Im Jahre 1670 hat
Roon, und auf seine allgemeine militärische Autorität gestützt auch Bismarck,
in der Frage der Beschießung von Paris offenkundig geirrt. Es gibt zwar
Leute, die noch heute kühn behaupten, Moltke sei es, der geirrt habe, weil nach
ihrer nur auf einem Gefühl beruhenden Meinung das, was Bismarck sagte,
von vornherein richtig war. Für den Fachmann ist aber seit der Veröffent¬
lichung von Moltkes Korrespondenz diese Ansicht nicht aufrecht zu erhalten.
Moltke verfügte eben über Daten, die auch Roon in dieser besonderen Frage
nicht kannte. Die Analogie mit der berühmten Stellungnahme zur U-Bootfrage
ist leicht zu erkennen.

Man entschuldigt die Opposition mit „vaterländischer Sorge". Auch hier
dränge sich ein geschichtliches Beispiel auf. General von Steinmetz, der 1866
wie 1870 als eifriger Widersacher Moltkes auftrat und nicht genug vor den
Plänen Moltkes warnen konnte, war ein tüchtiger und erfahrener General, und
sein Vorgehen entsprang aufrichtiger patriotischer Besorgnis. Dennoch war es
in der Ordnung, daß der König bei aller Güte und Rücksicht für seine alten,
verdienten Generale dieses Verhalten 1866 zurückwies, 1870 dagegen einschritt.
Aber wer wollte entscheiden können, ob nicht die Kriege 1866 und 1870
allenfalls auch nach Steinmetz' Ideen hätten gewonnen werden können. Es
führen immer verschiedene Wege nach Rom; was unsere Generalstäbler scherzhaft
die „Patentlösung" taktischer und strategischer Aufgaben nennen, gibt es nur
in der Friedensschule. Aber immer muß einer der Herr sein, der den Weg
zeigt und die Verantwortung trägt. Je klarer und bestimmter dieses Verhältnis
empfunden wird, desto notwendiger erscheint die Unterdrückung und Ausschaltung
aller Vorwände für unbefugtes Mitreden in der Kriegführung selbst. In diesem
Zusammenhang ist auch die „vaterländische Sorge" nur ein beschönigender
Ausdruck für Disziplinlosigkeit, besonders wenn sie nicht eigener Einsicht und innerem
Zwang entspringt, sondern die Frucht entweder einer tendenziösen Agitation,
oder gar verleumderischen Klatsches ist.

Die Ausschaltung des Gebiets der Kriegführung läßt genug anderes für
die Kritik und die Geltendmachung des Volkswillens frei. Es ist nicht davon
die Rede, daß alles gebilligt werden soll, was im Namen des höchsten ver¬
antwortlichen Reichsbeamten geschehen ist. Die Fehlgriffe der Zensur und
ähnliches haben genug Grund zur Klage geschaffen, aber sie rechtfertigen nicht
die Betonung von Forderungen, die im Grunde genommen den Volkswillen
über notwendige Rücksichten der Kriegführung stellen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/150>, abgerufen am 17.06.2024.