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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Persönlichkeit als Idee der Geschichte und des Weltkrieges

schichte erklären kann, ist gerade ein sehr wichtiges, zwar negatives, aber
darum nicht minder wertvolles Ergebnis der überaus gründlichen Arbeit, die
der deutsche Idealismus geleistet hat. Es ist die erkenntnistheoretische Grund¬
lage für das logische Recht alles Glaubens in Weltanschauungsfragen. Das
alte Wort: "Eure Wege sind nicht meine Wege, und meine Gedanken sind
höher denn eure Gedanken", hat weder Fichte noch Hegel umgestürzt. Auch
Dietrich wird es nicht widerlegen! "Nie mische sich das .liebe Ich' indivi¬
dualistisch in die Erkenntnis ein", verlangt Dietrich (Seite 208) von der
Philosophie der Zukunft. Aber gerade dieser verpönte Individualismus muß
aller wahren menschlichen Erkenntnis eigen sein. Menschen müssen die Welt
mit Menschenaugen ansehen. Je mehr wir uns bewußt werden, daß unsere
Erkenntnis die Farbe der Jndividulität der menschlichen Gattung trägt, um so
wahrhaftiger sind wir vor Gott und unserem logischen Gewissen. Was wissen
wir denn davon, wie etwa der Bewohner eines Siriusplaneten die Welt an¬
schauen mag? Und was wissen wir erst recht von der Logik Gottes in Natur
und Geschichte? Es ist eine große Sache um den Glauben, daß Gottes
Weisheit auch durch unseres Geschlechtes verworrene Geschichte geht. Aber
eben im Namen der Wahrheit und des Rechtes dieses Glaubens müssen wir
Versuche ablehnen, die diese Weisheit mit unserer Vernunfterkenntnis ergründen
wollen, auch wenn große Männer wie Fichte oder Hegel diese Versuche mit
ihren Namen decken, oder wenn sie, wie der von Dietrich, gut gemeint sind.
Bezeichnend ist, daß unser Neuhegelianer über Nietzsche fortgesetzt abschätzig
urteilt. Nietzsche hatte Ehrfurcht vor dem Geheimnis des Universums, aber
für diese wahrhaft fromme Demut des angeblich hochmütigen "Individualisten"
hat Dietrich anscheinend kein Verständnis.

Das Programm, das Dietrich nun auf seiner eben kurz kritisierten Ge¬
schichtsphilosophie aufbaut, klingt ganz annehmbar. Es lautet: "Persönlichkeit
"is Massenerscheinung". "Personalismus ist eine Idee, die sich in endloser
Arbeit immer wieder in der Welt durchzusetzen sucht, ein Ewiges, das so hinein¬
ragt in diese Welt der Zeitlichkeit; Persönlichkeit ist eine jeweilige Teil¬
verwirklichung dieser Idee, ein Tropfen je im Meer der Ewigkeit. Das aber
dies Meer nicht wäre ohne diesen Tropfen!" (Seite 137 f). Persönlichkeit
ist aber niemals Mittel zum Zweck, sondern vielmehr Zweck der ganzen Mensch¬
heitsentwicklung. Die zukünftige Menschheit wird ein organisches Gebilde
tausendfältig wirkender Persönlichkeiten sein. Die Staaten sollen als Gesamt¬
persönlichkeiten fungieren, und die Massen der Individuen sollen zu lauter
Einzelpersönlichkeiten im hohen ethischen Sinne des Wortes erzogen werden.
Das würde bedeuten, daß alle Beziehungen der auswärtigen und inneren
Politik ebenso wie die der einzelnen zueinander und zu den Staaten und
Gemeinden nach sittlichen Gesetzen zu regeln wären. Um die Verwirklichung
dieses Kulturgrundsatzes in der äußeren Politik wird nach Dietrich der gegen¬
wärtige Krieg geführt. Seine Durchführung in der inneren Politik sowie in


Persönlichkeit als Idee der Geschichte und des Weltkrieges

schichte erklären kann, ist gerade ein sehr wichtiges, zwar negatives, aber
darum nicht minder wertvolles Ergebnis der überaus gründlichen Arbeit, die
der deutsche Idealismus geleistet hat. Es ist die erkenntnistheoretische Grund¬
lage für das logische Recht alles Glaubens in Weltanschauungsfragen. Das
alte Wort: „Eure Wege sind nicht meine Wege, und meine Gedanken sind
höher denn eure Gedanken", hat weder Fichte noch Hegel umgestürzt. Auch
Dietrich wird es nicht widerlegen! „Nie mische sich das .liebe Ich' indivi¬
dualistisch in die Erkenntnis ein", verlangt Dietrich (Seite 208) von der
Philosophie der Zukunft. Aber gerade dieser verpönte Individualismus muß
aller wahren menschlichen Erkenntnis eigen sein. Menschen müssen die Welt
mit Menschenaugen ansehen. Je mehr wir uns bewußt werden, daß unsere
Erkenntnis die Farbe der Jndividulität der menschlichen Gattung trägt, um so
wahrhaftiger sind wir vor Gott und unserem logischen Gewissen. Was wissen
wir denn davon, wie etwa der Bewohner eines Siriusplaneten die Welt an¬
schauen mag? Und was wissen wir erst recht von der Logik Gottes in Natur
und Geschichte? Es ist eine große Sache um den Glauben, daß Gottes
Weisheit auch durch unseres Geschlechtes verworrene Geschichte geht. Aber
eben im Namen der Wahrheit und des Rechtes dieses Glaubens müssen wir
Versuche ablehnen, die diese Weisheit mit unserer Vernunfterkenntnis ergründen
wollen, auch wenn große Männer wie Fichte oder Hegel diese Versuche mit
ihren Namen decken, oder wenn sie, wie der von Dietrich, gut gemeint sind.
Bezeichnend ist, daß unser Neuhegelianer über Nietzsche fortgesetzt abschätzig
urteilt. Nietzsche hatte Ehrfurcht vor dem Geheimnis des Universums, aber
für diese wahrhaft fromme Demut des angeblich hochmütigen „Individualisten"
hat Dietrich anscheinend kein Verständnis.

Das Programm, das Dietrich nun auf seiner eben kurz kritisierten Ge¬
schichtsphilosophie aufbaut, klingt ganz annehmbar. Es lautet: „Persönlichkeit
«is Massenerscheinung". „Personalismus ist eine Idee, die sich in endloser
Arbeit immer wieder in der Welt durchzusetzen sucht, ein Ewiges, das so hinein¬
ragt in diese Welt der Zeitlichkeit; Persönlichkeit ist eine jeweilige Teil¬
verwirklichung dieser Idee, ein Tropfen je im Meer der Ewigkeit. Das aber
dies Meer nicht wäre ohne diesen Tropfen!" (Seite 137 f). Persönlichkeit
ist aber niemals Mittel zum Zweck, sondern vielmehr Zweck der ganzen Mensch¬
heitsentwicklung. Die zukünftige Menschheit wird ein organisches Gebilde
tausendfältig wirkender Persönlichkeiten sein. Die Staaten sollen als Gesamt¬
persönlichkeiten fungieren, und die Massen der Individuen sollen zu lauter
Einzelpersönlichkeiten im hohen ethischen Sinne des Wortes erzogen werden.
Das würde bedeuten, daß alle Beziehungen der auswärtigen und inneren
Politik ebenso wie die der einzelnen zueinander und zu den Staaten und
Gemeinden nach sittlichen Gesetzen zu regeln wären. Um die Verwirklichung
dieses Kulturgrundsatzes in der äußeren Politik wird nach Dietrich der gegen¬
wärtige Krieg geführt. Seine Durchführung in der inneren Politik sowie in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/226>, abgerufen am 17.06.2024.