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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Persönlichkeit als Idee der Geschichte und des Weltkrieges

Diese Konstruktion gewinnt aus der wirklichen Entwicklung der gesamt¬
psychischen Zustände unseres Volkes in der Neuzeit, soweit wir uns von dieser
ein Bild machen können, einen Schein des Rechts. Es hat wirklich eine Ab¬
änderung des Jndividualgefühls z. B. in unserer Staatsanschauung gegenüber
der des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts stattgefunden. Darum spricht
z. B. Lamprecht von der Umwandlung des individualistischen Zeitalters in ein
subjektivistisches. Aber Dietrich geht derartigen psychologischen Wandlungen der
deutschen Geschichte keineswegs nach; er konstruiert einfach nach dem rein
apriorischen Jdeenschema: Individualismus -- Universalismus -- Personalismus.
Und die Anwendung dieses Schemas macht er sich nicht schwer. Was dem
Fortschritt der Zeiten dient oder was dem Verfasser sympathisch ist, gehört
dem personalistischen Prinzip an: z. B. die Tätigkeit Luthers, Friedrichs des
Großen und der Männer der preußischen Neformzeit; was hemmend wirkt,
sind individualistische Mächte: z. B. die alte römische Kirche, die landständischen
Bestrebungen,' später auch der Absolutismus und Napoleon. Himmelweit unter¬
schiedene Tendenzen finden wir so auf einer Partei! Ähnlich wird die Situation
des Weltkrieges charakterisiert. Er ist ein Kampf zwischen personalistischen und
individualistischen Mächten. Personalistische Politik treiben wir und unsere
Verbündeten, individualistische Grundsätze beherrschen England und überhaupt
unsere Feinde. Da muß man denn doch sagen, daß so gleichartig die Jdeen-
verfassung dieses .Krieges weder auf dieser noch auf jener Seite ist, und daß
so simpel weltgeschichtliche geistige Strebungen sich nicht in zwei Begriffe
fassen lassen.

Wenn man die deutsche idealistische Philosophie, mag es nun Fichte oder
Hegel sein, für unsere Zeit fruchtbar machen will, so muß man die spekulativen
Geschichtskonstruktionen dabei von vornherein ausschalten. Fichte und noch
mehr Hegel haben gemeint, die Wege der Vorsehung ergründen zu können.
Sie haben mit der Fackel der rationalen Erkenntnis hinter die metaphysische
Wesenheit der Menschengeschichte leuchten wollen. Es hat sich aber heraus¬
gestellt, daß diese Fackel nur eine trügerische Konstruktion erleuchtet. So hoch
wir Fichte und Hegel stellen wollen: an dem einen geistesgeschichtlichen Ergebnis
läßt sich nichts abmarkten, daß der idealistische Rationalismus nicht hinter den
Sinn der historischen Entwicklung gekommen ist. Groß ist gewiß die Lehre
Fichtes von der Entwicklung der Menschheit zum wahren Sein, das ihr auf
der Grundlage sittlicher Autonomie Erlösung vom Zwange der Natur erwirkt,
und nicht minder groß die Konstruktion Hegels, nach der die Weltgeschichte
die Entfaltung Gottes in einem dialektischen Prozeß darstellt. Aber ergründet
ist das Absolute damit nicht. Für uns gibt es nur eine empirische Geschichte,
und wo wir mit Ranke in ihr leitende Ideen feststellen wollen, müssen sich
diese aus dem empirischen Befund ergeben. Ob diesen Ideen metaphysische
Bedeutung zukommt, können wir nicht wissen. Hier beginnt das Gebiet
unseres Glaubens. Daß die spekulative Vernunft nicht das Wesen der Ge-


Persönlichkeit als Idee der Geschichte und des Weltkrieges

Diese Konstruktion gewinnt aus der wirklichen Entwicklung der gesamt¬
psychischen Zustände unseres Volkes in der Neuzeit, soweit wir uns von dieser
ein Bild machen können, einen Schein des Rechts. Es hat wirklich eine Ab¬
änderung des Jndividualgefühls z. B. in unserer Staatsanschauung gegenüber
der des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts stattgefunden. Darum spricht
z. B. Lamprecht von der Umwandlung des individualistischen Zeitalters in ein
subjektivistisches. Aber Dietrich geht derartigen psychologischen Wandlungen der
deutschen Geschichte keineswegs nach; er konstruiert einfach nach dem rein
apriorischen Jdeenschema: Individualismus — Universalismus — Personalismus.
Und die Anwendung dieses Schemas macht er sich nicht schwer. Was dem
Fortschritt der Zeiten dient oder was dem Verfasser sympathisch ist, gehört
dem personalistischen Prinzip an: z. B. die Tätigkeit Luthers, Friedrichs des
Großen und der Männer der preußischen Neformzeit; was hemmend wirkt,
sind individualistische Mächte: z. B. die alte römische Kirche, die landständischen
Bestrebungen,' später auch der Absolutismus und Napoleon. Himmelweit unter¬
schiedene Tendenzen finden wir so auf einer Partei! Ähnlich wird die Situation
des Weltkrieges charakterisiert. Er ist ein Kampf zwischen personalistischen und
individualistischen Mächten. Personalistische Politik treiben wir und unsere
Verbündeten, individualistische Grundsätze beherrschen England und überhaupt
unsere Feinde. Da muß man denn doch sagen, daß so gleichartig die Jdeen-
verfassung dieses .Krieges weder auf dieser noch auf jener Seite ist, und daß
so simpel weltgeschichtliche geistige Strebungen sich nicht in zwei Begriffe
fassen lassen.

Wenn man die deutsche idealistische Philosophie, mag es nun Fichte oder
Hegel sein, für unsere Zeit fruchtbar machen will, so muß man die spekulativen
Geschichtskonstruktionen dabei von vornherein ausschalten. Fichte und noch
mehr Hegel haben gemeint, die Wege der Vorsehung ergründen zu können.
Sie haben mit der Fackel der rationalen Erkenntnis hinter die metaphysische
Wesenheit der Menschengeschichte leuchten wollen. Es hat sich aber heraus¬
gestellt, daß diese Fackel nur eine trügerische Konstruktion erleuchtet. So hoch
wir Fichte und Hegel stellen wollen: an dem einen geistesgeschichtlichen Ergebnis
läßt sich nichts abmarkten, daß der idealistische Rationalismus nicht hinter den
Sinn der historischen Entwicklung gekommen ist. Groß ist gewiß die Lehre
Fichtes von der Entwicklung der Menschheit zum wahren Sein, das ihr auf
der Grundlage sittlicher Autonomie Erlösung vom Zwange der Natur erwirkt,
und nicht minder groß die Konstruktion Hegels, nach der die Weltgeschichte
die Entfaltung Gottes in einem dialektischen Prozeß darstellt. Aber ergründet
ist das Absolute damit nicht. Für uns gibt es nur eine empirische Geschichte,
und wo wir mit Ranke in ihr leitende Ideen feststellen wollen, müssen sich
diese aus dem empirischen Befund ergeben. Ob diesen Ideen metaphysische
Bedeutung zukommt, können wir nicht wissen. Hier beginnt das Gebiet
unseres Glaubens. Daß die spekulative Vernunft nicht das Wesen der Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/225>, abgerufen am 17.06.2024.