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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Die Verlängerung der Legislaturperiode des Reichstages

dem Vorbilde des preußischen Abgeordnetenhauses. Durch das Reichsgesetz vom
19. März 1888 hat man jedoch wie gleichzeitig in Preußen die Legislatur¬
periode in eine fünfjährige verlängert, um die allzu häufige Erregung und
Belästigung der Bevölkerung durch Wahlen auf ein geringeres Maß zurück¬
zuführen, zumal für Deutschland sowohl Reichstags- wie Landtagswahlen in
Betracht kommen.

Was der Gesetzgeber nun allgemein bestimmen konnte, das kann er auch
für den einzelnen Fall bestimmen, d. h. unbeschadet der weiteren Geltung der
fünfjährigen Legislaturperiode für die Zukunft, die vorliegende Legislaturperiode
bis zur Beendigung des Krieges verlängern. Darin liegt allerdings eine
Abänderung des Art. 24 der Reichsverfassung, wenn auch nur für diesen einen
Fall. Es bedarf daher auch der für Verfassungsänderungen vorgeschriebenen
Formen. Diese sind aber außerordentlich einfach. Nach Art. 78 der Reichs-
verfassung erfolgen Veränderungen der Verfassung im Wege der Gesetzgebung,
sie gelten als abgelehnt, wenn sie im Bundesrate vierzehn Stimmen gegen sich
haben. Im Reichstage genügen also dieselben verfassungs- und geschäfts¬
ordnungsmäßigen Formen wie bei jeder anderen Gesetzesvorlage, es bedarf nur
der einfachen Mehrheit eines beschlußfähigen Reichstages. Nur im Bundesrate
ist eine verstärkte Mehrheit erforderlich, die sich voraussichtlich auch ohne weiteres
finden wird.

Da der Art. 24 der Reichsverfassung für die Zukunft unberührt bleibt,
bedarf es auch keiner Veränderung des Textes der Reichsverfassung, obgleich
die Verlängerung der Legislaturperiode den Charakter eines Verfassungs¬
gesetzes hat.

Ein solches Verfassungsgesetz für den einzelnen Fall bedeutet gerade für
die Regelung der Wirksamkeit des Reichstages keine unerhörte Neuerung, son¬
dern hat schon mehrfach Vorläufer gehabt.

Beim Beginne des deutsch-französischen Krieges nahm der Reichstag des
Norddeutschen Bundes in seiner kurzen dreitägigen Sitzungsperiode vom 1t). bis
21. Juli 1870 außer der Vorlage über die Kriegskredite das demnächst unter
dem 21. Juli 1870 verkündete Bundesgesetz an. wonach die Legislaturperiode
des Reichstages für die Dauer des Krieges mit Frankreich, jedoch nicht über
den 31. Dezember 1870 hinaus verlängert werden sollte. Ein sozialdemo¬
kratischer Redner sprach dabei der Regierung seine Anerkennung aus, daß sie
auch im Kriege eine Volksvertretung zur Seite behalten und die Wahlen nicht
unter den Wirren des Krieges vornehmen lassen wolle, und beantragte gerade
deshalb Beseitigung der Zeitgrenze vom 31. Dezember 1870. Dagegen war
die Fortschrittspartei "aus Prinzip" gegen die Vorlage, da der Mandatar nicht
eigenmächtig seinen Austrag verlängern dürfe. Daß das Verhältnis des Ab¬
geordneten zu seinen Wählern nicht unter den zivilistischen Mandatsbegriff
gepreßt werden kann, bedarf keiner weiteren Ausführung. Es sei nur an
Art. 29 der Reichsverfassung erinnert: "Die Mitglieder des Reichstages sind


Die Verlängerung der Legislaturperiode des Reichstages

dem Vorbilde des preußischen Abgeordnetenhauses. Durch das Reichsgesetz vom
19. März 1888 hat man jedoch wie gleichzeitig in Preußen die Legislatur¬
periode in eine fünfjährige verlängert, um die allzu häufige Erregung und
Belästigung der Bevölkerung durch Wahlen auf ein geringeres Maß zurück¬
zuführen, zumal für Deutschland sowohl Reichstags- wie Landtagswahlen in
Betracht kommen.

Was der Gesetzgeber nun allgemein bestimmen konnte, das kann er auch
für den einzelnen Fall bestimmen, d. h. unbeschadet der weiteren Geltung der
fünfjährigen Legislaturperiode für die Zukunft, die vorliegende Legislaturperiode
bis zur Beendigung des Krieges verlängern. Darin liegt allerdings eine
Abänderung des Art. 24 der Reichsverfassung, wenn auch nur für diesen einen
Fall. Es bedarf daher auch der für Verfassungsänderungen vorgeschriebenen
Formen. Diese sind aber außerordentlich einfach. Nach Art. 78 der Reichs-
verfassung erfolgen Veränderungen der Verfassung im Wege der Gesetzgebung,
sie gelten als abgelehnt, wenn sie im Bundesrate vierzehn Stimmen gegen sich
haben. Im Reichstage genügen also dieselben verfassungs- und geschäfts¬
ordnungsmäßigen Formen wie bei jeder anderen Gesetzesvorlage, es bedarf nur
der einfachen Mehrheit eines beschlußfähigen Reichstages. Nur im Bundesrate
ist eine verstärkte Mehrheit erforderlich, die sich voraussichtlich auch ohne weiteres
finden wird.

Da der Art. 24 der Reichsverfassung für die Zukunft unberührt bleibt,
bedarf es auch keiner Veränderung des Textes der Reichsverfassung, obgleich
die Verlängerung der Legislaturperiode den Charakter eines Verfassungs¬
gesetzes hat.

Ein solches Verfassungsgesetz für den einzelnen Fall bedeutet gerade für
die Regelung der Wirksamkeit des Reichstages keine unerhörte Neuerung, son¬
dern hat schon mehrfach Vorläufer gehabt.

Beim Beginne des deutsch-französischen Krieges nahm der Reichstag des
Norddeutschen Bundes in seiner kurzen dreitägigen Sitzungsperiode vom 1t). bis
21. Juli 1870 außer der Vorlage über die Kriegskredite das demnächst unter
dem 21. Juli 1870 verkündete Bundesgesetz an. wonach die Legislaturperiode
des Reichstages für die Dauer des Krieges mit Frankreich, jedoch nicht über
den 31. Dezember 1870 hinaus verlängert werden sollte. Ein sozialdemo¬
kratischer Redner sprach dabei der Regierung seine Anerkennung aus, daß sie
auch im Kriege eine Volksvertretung zur Seite behalten und die Wahlen nicht
unter den Wirren des Krieges vornehmen lassen wolle, und beantragte gerade
deshalb Beseitigung der Zeitgrenze vom 31. Dezember 1870. Dagegen war
die Fortschrittspartei „aus Prinzip" gegen die Vorlage, da der Mandatar nicht
eigenmächtig seinen Austrag verlängern dürfe. Daß das Verhältnis des Ab¬
geordneten zu seinen Wählern nicht unter den zivilistischen Mandatsbegriff
gepreßt werden kann, bedarf keiner weiteren Ausführung. Es sei nur an
Art. 29 der Reichsverfassung erinnert: „Die Mitglieder des Reichstages sind


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/33>, abgerufen am 26.05.2024.