Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.Der deutsche Unterricht auf den Universitäten Literaturgeschichte. Extraordinariate sind meist vorhanden; von den elf preu¬ Ein solcher Zustand kann unmöglich als erfreulich bezeichnet werden und Und so geht an die deutschen Regierungen die Forderung, daß sie für die Der deutsche Unterricht auf den Universitäten Literaturgeschichte. Extraordinariate sind meist vorhanden; von den elf preu¬ Ein solcher Zustand kann unmöglich als erfreulich bezeichnet werden und Und so geht an die deutschen Regierungen die Forderung, daß sie für die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0039" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330573"/> <fw type="header" place="top"> Der deutsche Unterricht auf den Universitäten</fw><lb/> <p xml:id="ID_93" prev="#ID_92"> Literaturgeschichte. Extraordinariate sind meist vorhanden; von den elf preu¬<lb/> ßischen fehlt es noch an vier und der Zustand in Berlin kann acht als<lb/> befriedigend angesehen werden; Extraordinariate gibt es auch hrer. Vergleicht<lb/> man damit die Verhältnisse an den vier österreichischen Universitäten (Wren.<lb/> Innsbruck. Graz. Prag), so zeigt sich überall eine doppelte Besetzung und ebenso<lb/> an den drei schweizerischen Universitäten deutschen Charakters (Basel. Bern.<lb/> Zürich).</p><lb/> <p xml:id="ID_94"> Ein solcher Zustand kann unmöglich als erfreulich bezeichnet werden und<lb/> es ist mit aller Entschiedenheit zu fordern, das hier Wandel geschieht. Bedenkt<lb/> man. daß die klassische Philologie an den Universitäten durch zwei ins drü<lb/> Vertreter gelehrt und daß ihnen zur Seite ein Archäologe. ein Vertreter der<lb/> alten Geschichte und gelegentlich ein Sprachvergleich er — und alle als Ordi-<lb/> narien — stehen und daß die indische Philologie zum Teil durch ein Ordi¬<lb/> nariat und ein Extraordinariat vertreten ist, so leuchtet das Unmögliche eines<lb/> solchen Zustandes ohne weiteres ein. Nur möchte ich nicht so verstanden werden,<lb/> als wollte ich die eben genannten Wissenschaften in ihrem Werte herabsetzen<lb/> oder einer Verminderung ihrer Lehrstühle das Wort reden. Nichts liegt mir<lb/> ferner. Ich wollte nur beweisen, daß unsere neuere deutsche Literatur an den<lb/> deutschen Universitäten nicht die Vertretung findet, die ihr gebührt. Der Zu¬<lb/> stand ist unhaltbar. Wer als Examinator in der Philosophie Gelegenheit hat<lb/> das Grenzgebiet der Ästhetik der klassischen Periode zu streifen, ist erstaunt<lb/> über die geradezu erschreckende Unwissenheit der Examinanden auf den Gebieten,<lb/> die sie auf der Schule vornehmlich zu bearbeiten haben. Aber die Schuld<lb/> liegt nicht an ihnen. Welchen Schaden der deutsche Unterricht damit leiden<lb/> muß, ist offenbar.</p><lb/> <p xml:id="ID_95"> Und so geht an die deutschen Regierungen die Forderung, daß sie für die<lb/> Pflege eines unserer wertvollsten Güter mehr als bisher Sorge tragen mögen.<lb/> Kein Landtag wird die notwendigen Mittel, die eigentlich lächerlich gering sind,<lb/> versagen wollen. Möge der Strom deutscher Begeisterung, der uns jetzt erfüllt,<lb/> die letzten Bastionen wissenschaftlicher Vorurteile wegspülen. Es gibt keine<lb/> wichtigere Frage für die Geisteswissenschaften als diese. Daß dem so ist, mag<lb/> ein Wort Mommsens bekräftigen, der an Erich Schmidt seiner Zeit die<lb/> Mahnung richtete: „Des Volkes Schätze sind in Eure Hand gegeben,<lb/> bewahret sie!"</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0039]
Der deutsche Unterricht auf den Universitäten
Literaturgeschichte. Extraordinariate sind meist vorhanden; von den elf preu¬
ßischen fehlt es noch an vier und der Zustand in Berlin kann acht als
befriedigend angesehen werden; Extraordinariate gibt es auch hrer. Vergleicht
man damit die Verhältnisse an den vier österreichischen Universitäten (Wren.
Innsbruck. Graz. Prag), so zeigt sich überall eine doppelte Besetzung und ebenso
an den drei schweizerischen Universitäten deutschen Charakters (Basel. Bern.
Zürich).
Ein solcher Zustand kann unmöglich als erfreulich bezeichnet werden und
es ist mit aller Entschiedenheit zu fordern, das hier Wandel geschieht. Bedenkt
man. daß die klassische Philologie an den Universitäten durch zwei ins drü
Vertreter gelehrt und daß ihnen zur Seite ein Archäologe. ein Vertreter der
alten Geschichte und gelegentlich ein Sprachvergleich er — und alle als Ordi-
narien — stehen und daß die indische Philologie zum Teil durch ein Ordi¬
nariat und ein Extraordinariat vertreten ist, so leuchtet das Unmögliche eines
solchen Zustandes ohne weiteres ein. Nur möchte ich nicht so verstanden werden,
als wollte ich die eben genannten Wissenschaften in ihrem Werte herabsetzen
oder einer Verminderung ihrer Lehrstühle das Wort reden. Nichts liegt mir
ferner. Ich wollte nur beweisen, daß unsere neuere deutsche Literatur an den
deutschen Universitäten nicht die Vertretung findet, die ihr gebührt. Der Zu¬
stand ist unhaltbar. Wer als Examinator in der Philosophie Gelegenheit hat
das Grenzgebiet der Ästhetik der klassischen Periode zu streifen, ist erstaunt
über die geradezu erschreckende Unwissenheit der Examinanden auf den Gebieten,
die sie auf der Schule vornehmlich zu bearbeiten haben. Aber die Schuld
liegt nicht an ihnen. Welchen Schaden der deutsche Unterricht damit leiden
muß, ist offenbar.
Und so geht an die deutschen Regierungen die Forderung, daß sie für die
Pflege eines unserer wertvollsten Güter mehr als bisher Sorge tragen mögen.
Kein Landtag wird die notwendigen Mittel, die eigentlich lächerlich gering sind,
versagen wollen. Möge der Strom deutscher Begeisterung, der uns jetzt erfüllt,
die letzten Bastionen wissenschaftlicher Vorurteile wegspülen. Es gibt keine
wichtigere Frage für die Geisteswissenschaften als diese. Daß dem so ist, mag
ein Wort Mommsens bekräftigen, der an Erich Schmidt seiner Zeit die
Mahnung richtete: „Des Volkes Schätze sind in Eure Hand gegeben,
bewahret sie!"
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