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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Der deutsche Unterricht auf den Universitäten

Dichter? Sind es doch diese Zeiten und Männer, welche berufen sind, in der
Zukunft unsere Kinder mit der Wärme eines deutschen Idealismus zu erfüllen
und diese an dem Bilde höchsten Strebens wach zu halten. Und da uns ein
oft bis in die Einzelheiten reichender Einblick in das Schaffen dieser Männer
vergönnt ist, so darf sich die neuere deutsche Literaturgeschichte an das Begreifen
des dichterischen Genies wagen, wozu ihr die neuere Psychologie wertvolle Hilfen
leisten kann. Also -- überall neue und eigentümliche Aufgaben, deren Lösung
ein tieferes Verstehen menschlichen Wesens verspricht!

Man sollte nun meinen, daß eine Wissenschaft mit diesen Problemen und
dieser Bedeutung für unser nationales Leben an den deutschen Universitäten
die ihr gebührende Anerkennung gefunden hat. Dies ist leider nicht der Fall.
Nicht ohne Zustimmung hat G. Roethe in seiner Gedächtnisrede auf E. Schmidt
der Tatsache gedacht, daß die Berliner Akademie sich diesem nur zögernd
geöffnet hat. "Sie fürchtete die Lockungen und Gefahren, die sein Forschungs¬
gebiet ernster (!) Arbeit unzweifelhaft (?) bereitet, und hat ihn erst durch acht
Berliner Jahre geprüft, ehe sie ihn wählte." Und leider haben wir es erleben
müssen, daß der durch seinen Inhaber zur größten Bedeutung gebrachte Lehr¬
stuhl für neuere deutsche Literaturgeschichte an der Berliner Universität bisher
unbesetzt geblieben ist. Ja es gibt noch heute Vertreter der älteren Richtung,
welche glauben beides, die ältere und die neuere Zeit, gleichmäßig umfassen
und gleichwertig vertreten zu können. Es müssen das wohl Männer sein,
"die anerkannt den größten Geistesreichtum besitzen und mannigfacher Künste
mächtig sind".

Dem Laien und nicht nur diesem wird solche Wertung unverständlich sein
und die kurze Betrachtung über die Aufgaben der neueren deutschen Literatur¬
geschichte hat wohl gezeigt, daß sie einseitig ist. Daß der Vertreter dieser
Wissenschaft ein gründlich geschulter Philologe sein müsse, ist eine Selbstver¬
ständlichkeit, aber sein gutes Recht ist es, daß er sich in seiner Arbeit und
Lehrtätigkeit seinen auf die neuere Zeit gerichteten Interessen zuwende. Beruft
man ja doch auch zu Vertretern der klassischen Philologie Gelehrte, deren
wissenschaftliche Betätigung vornehmlich auf eine der beiden alten Sprachen
gerichtet ist. Allzumenschliche Beweggründe mögen gelegentlich bei Beru¬
fungsfragen mitgespielt haben, die Regierungen haben aus Sparsamkeits¬
rücksichten, die die Geisteswissenschaften besonders zu treffen pflegen, diese Ver¬
nachlässigung nicht gerade bekämpft und fo ist es gekommen, daß wir an den
deutsche" Universitäten nicht durchgehends ein besonderes Ordinariat für neuere
deutsche Literaturgeschichte haben. Ein Ordinariat ist aber für jede Wissenschaft
an den Universitäten nun einmal eine unumgängliche Bedingung ihrer vollen,
freien und durch keine Bevormundung beschränkten Wirksamkeit.

Ein Blick auf die Besetzung der deutschen Philologie an den Universitäten
mag diese Ausführungen verdeutlichen. Von den elf außerpreußischen deutschen
Universitäten haben nur fünf ein besonderes Ordinariat für neuere deutsche


Der deutsche Unterricht auf den Universitäten

Dichter? Sind es doch diese Zeiten und Männer, welche berufen sind, in der
Zukunft unsere Kinder mit der Wärme eines deutschen Idealismus zu erfüllen
und diese an dem Bilde höchsten Strebens wach zu halten. Und da uns ein
oft bis in die Einzelheiten reichender Einblick in das Schaffen dieser Männer
vergönnt ist, so darf sich die neuere deutsche Literaturgeschichte an das Begreifen
des dichterischen Genies wagen, wozu ihr die neuere Psychologie wertvolle Hilfen
leisten kann. Also — überall neue und eigentümliche Aufgaben, deren Lösung
ein tieferes Verstehen menschlichen Wesens verspricht!

Man sollte nun meinen, daß eine Wissenschaft mit diesen Problemen und
dieser Bedeutung für unser nationales Leben an den deutschen Universitäten
die ihr gebührende Anerkennung gefunden hat. Dies ist leider nicht der Fall.
Nicht ohne Zustimmung hat G. Roethe in seiner Gedächtnisrede auf E. Schmidt
der Tatsache gedacht, daß die Berliner Akademie sich diesem nur zögernd
geöffnet hat. „Sie fürchtete die Lockungen und Gefahren, die sein Forschungs¬
gebiet ernster (!) Arbeit unzweifelhaft (?) bereitet, und hat ihn erst durch acht
Berliner Jahre geprüft, ehe sie ihn wählte." Und leider haben wir es erleben
müssen, daß der durch seinen Inhaber zur größten Bedeutung gebrachte Lehr¬
stuhl für neuere deutsche Literaturgeschichte an der Berliner Universität bisher
unbesetzt geblieben ist. Ja es gibt noch heute Vertreter der älteren Richtung,
welche glauben beides, die ältere und die neuere Zeit, gleichmäßig umfassen
und gleichwertig vertreten zu können. Es müssen das wohl Männer sein,
„die anerkannt den größten Geistesreichtum besitzen und mannigfacher Künste
mächtig sind".

Dem Laien und nicht nur diesem wird solche Wertung unverständlich sein
und die kurze Betrachtung über die Aufgaben der neueren deutschen Literatur¬
geschichte hat wohl gezeigt, daß sie einseitig ist. Daß der Vertreter dieser
Wissenschaft ein gründlich geschulter Philologe sein müsse, ist eine Selbstver¬
ständlichkeit, aber sein gutes Recht ist es, daß er sich in seiner Arbeit und
Lehrtätigkeit seinen auf die neuere Zeit gerichteten Interessen zuwende. Beruft
man ja doch auch zu Vertretern der klassischen Philologie Gelehrte, deren
wissenschaftliche Betätigung vornehmlich auf eine der beiden alten Sprachen
gerichtet ist. Allzumenschliche Beweggründe mögen gelegentlich bei Beru¬
fungsfragen mitgespielt haben, die Regierungen haben aus Sparsamkeits¬
rücksichten, die die Geisteswissenschaften besonders zu treffen pflegen, diese Ver¬
nachlässigung nicht gerade bekämpft und fo ist es gekommen, daß wir an den
deutsche» Universitäten nicht durchgehends ein besonderes Ordinariat für neuere
deutsche Literaturgeschichte haben. Ein Ordinariat ist aber für jede Wissenschaft
an den Universitäten nun einmal eine unumgängliche Bedingung ihrer vollen,
freien und durch keine Bevormundung beschränkten Wirksamkeit.

Ein Blick auf die Besetzung der deutschen Philologie an den Universitäten
mag diese Ausführungen verdeutlichen. Von den elf außerpreußischen deutschen
Universitäten haben nur fünf ein besonderes Ordinariat für neuere deutsche


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[0038] Der deutsche Unterricht auf den Universitäten Dichter? Sind es doch diese Zeiten und Männer, welche berufen sind, in der Zukunft unsere Kinder mit der Wärme eines deutschen Idealismus zu erfüllen und diese an dem Bilde höchsten Strebens wach zu halten. Und da uns ein oft bis in die Einzelheiten reichender Einblick in das Schaffen dieser Männer vergönnt ist, so darf sich die neuere deutsche Literaturgeschichte an das Begreifen des dichterischen Genies wagen, wozu ihr die neuere Psychologie wertvolle Hilfen leisten kann. Also — überall neue und eigentümliche Aufgaben, deren Lösung ein tieferes Verstehen menschlichen Wesens verspricht! Man sollte nun meinen, daß eine Wissenschaft mit diesen Problemen und dieser Bedeutung für unser nationales Leben an den deutschen Universitäten die ihr gebührende Anerkennung gefunden hat. Dies ist leider nicht der Fall. Nicht ohne Zustimmung hat G. Roethe in seiner Gedächtnisrede auf E. Schmidt der Tatsache gedacht, daß die Berliner Akademie sich diesem nur zögernd geöffnet hat. „Sie fürchtete die Lockungen und Gefahren, die sein Forschungs¬ gebiet ernster (!) Arbeit unzweifelhaft (?) bereitet, und hat ihn erst durch acht Berliner Jahre geprüft, ehe sie ihn wählte." Und leider haben wir es erleben müssen, daß der durch seinen Inhaber zur größten Bedeutung gebrachte Lehr¬ stuhl für neuere deutsche Literaturgeschichte an der Berliner Universität bisher unbesetzt geblieben ist. Ja es gibt noch heute Vertreter der älteren Richtung, welche glauben beides, die ältere und die neuere Zeit, gleichmäßig umfassen und gleichwertig vertreten zu können. Es müssen das wohl Männer sein, „die anerkannt den größten Geistesreichtum besitzen und mannigfacher Künste mächtig sind". Dem Laien und nicht nur diesem wird solche Wertung unverständlich sein und die kurze Betrachtung über die Aufgaben der neueren deutschen Literatur¬ geschichte hat wohl gezeigt, daß sie einseitig ist. Daß der Vertreter dieser Wissenschaft ein gründlich geschulter Philologe sein müsse, ist eine Selbstver¬ ständlichkeit, aber sein gutes Recht ist es, daß er sich in seiner Arbeit und Lehrtätigkeit seinen auf die neuere Zeit gerichteten Interessen zuwende. Beruft man ja doch auch zu Vertretern der klassischen Philologie Gelehrte, deren wissenschaftliche Betätigung vornehmlich auf eine der beiden alten Sprachen gerichtet ist. Allzumenschliche Beweggründe mögen gelegentlich bei Beru¬ fungsfragen mitgespielt haben, die Regierungen haben aus Sparsamkeits¬ rücksichten, die die Geisteswissenschaften besonders zu treffen pflegen, diese Ver¬ nachlässigung nicht gerade bekämpft und fo ist es gekommen, daß wir an den deutsche» Universitäten nicht durchgehends ein besonderes Ordinariat für neuere deutsche Literaturgeschichte haben. Ein Ordinariat ist aber für jede Wissenschaft an den Universitäten nun einmal eine unumgängliche Bedingung ihrer vollen, freien und durch keine Bevormundung beschränkten Wirksamkeit. Ein Blick auf die Besetzung der deutschen Philologie an den Universitäten mag diese Ausführungen verdeutlichen. Von den elf außerpreußischen deutschen Universitäten haben nur fünf ein besonderes Ordinariat für neuere deutsche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/38>, abgerufen am 19.05.2024.