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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Alte und neue deutsche Politik

Gemüter um Marokko erhitzten, aus der Zeit, wo die Türken bei Adrianopel
und Tschataldscha um ihr Reich kämpften, oder wo der Bukarester Friedens¬
kongreß die Dinge am Balkan für immer ordnen wollte, und werde sich
einmal klar darüber, wieviel von dem heute noch gilt, was damals als der
politischen Weisheit letzter Schluß erschien. Die Logik der Geschichte behandelt
die Logik der Menschen mit einer grandiosen Ironie: selbst im tiefernsten ge¬
waltigen Antlitz des Weltkriegs spielt noch etwas wie das leise Lächeln davon.
Wer im Marokkohandel den Bankrott deutscher Politik, wer angesichts des
Tschataldscharingens das Ende der Türkei prophezeie, der muß doch von diesem
Lächeln im Gesicht des Weltkriegs etwas spüren. Und zuckte es nicht eben
wieder einmal in den Augen des Kriegsgottes, als wir uns über die "Kriegs¬
ziele" in die Haare geraten wollten, und auf einmal alles verstummen mußte,
als das Fanat der rumänischen Kriegserklärung aufleuchtete, um uns zu zeigen,
wie wenig es an der Zeit sei, sich um die "Ziele" zu streiten, wo eben ein
neuer Anfang des blutigen Tanzes gemacht werden mußte!

Solche Gedanken drängten sich mir auf, als ich in diesen Tagen das Buch
von Daniel Frymann "Wenn ich der Kaiser wär'" wieder in die Hände bekam.
"Politische Wahrheiten und Notwendigkeiten" heißt es im Untertitel und "Viel
Feind -- viel Ehr'I" steht als Spruch auf dem ersten Blatte. Nun, was
dieses leicht hingeworfene Motto zu bedeuten hat, das haben wir erst durch
den Krieg erfahren: Viel Ehr', das heißt auch viel Blut und viele Tränen!
Das Buch ist 1912 erschienen und wollte wahrscheinlich nur der Politik des
Tages dienen. Es ist damals reichlich beachtet und gelesen worden, denn der
vierten Auflage, dem sechzehnten bis zwanzigsten Tausend, gehört das Exemplar
zu, das vor mir liegt. Im Weltkrieg noch gelesen zu werden wird es wohl
nicht beanspruchen, trotz des selbstbewußten Untertitels. Dennoch wäre es
vielleicht gut, wenn ein solches Buch einmal nicht mit seiner Epoche völlig
verschwände, wenn manche von denen, die es seiner Zeit mit leidenschaftlicher
Anteilnahme für oder wider gelesen haben, diese "politischen Wahrheiten und
Notwendigkeiten" heute noch einmal prüften, nachdem uns der Krieg in seine
politische Schule genommen hat.

Das Buch "Wenn ich der Kaiser wär'" war der Ausdruck einer politischen
Stimmung, die unmittelbar vor dem Kriege in weiteren Kreisen des deutschen
Bürgertums nicht ohne Echo geblieben ist. Weniger der Inhalt des Buches
an sich, als die breitere Resonanz, die ihm geworden ihl, mag es rechtfertigen,
daß ich überhaupt und gar heute noch von ihm zu sprechen unternehme. Diese
Stimmung war mit den politischen Leistungen der Reichsregierung von ihrem
Standpunkt aus ebenso radikal unzufrieden, wie die Sozialdemokratie auf Grund
ihrer prinzipiell ablehnenden politischen "Weltanschauung". Man hielt die Re¬
gierung nach innen wie nach außen für zu schwach und vermißte insbesondere
greifbare Erfolge unserer auswärtigen Politik. Wer entweder mit seinem Geld¬
beutel und seiner Arbeit oder auch bloß mit seiner Begeisterung Anteil an der


Alte und neue deutsche Politik

Gemüter um Marokko erhitzten, aus der Zeit, wo die Türken bei Adrianopel
und Tschataldscha um ihr Reich kämpften, oder wo der Bukarester Friedens¬
kongreß die Dinge am Balkan für immer ordnen wollte, und werde sich
einmal klar darüber, wieviel von dem heute noch gilt, was damals als der
politischen Weisheit letzter Schluß erschien. Die Logik der Geschichte behandelt
die Logik der Menschen mit einer grandiosen Ironie: selbst im tiefernsten ge¬
waltigen Antlitz des Weltkriegs spielt noch etwas wie das leise Lächeln davon.
Wer im Marokkohandel den Bankrott deutscher Politik, wer angesichts des
Tschataldscharingens das Ende der Türkei prophezeie, der muß doch von diesem
Lächeln im Gesicht des Weltkriegs etwas spüren. Und zuckte es nicht eben
wieder einmal in den Augen des Kriegsgottes, als wir uns über die „Kriegs¬
ziele" in die Haare geraten wollten, und auf einmal alles verstummen mußte,
als das Fanat der rumänischen Kriegserklärung aufleuchtete, um uns zu zeigen,
wie wenig es an der Zeit sei, sich um die „Ziele" zu streiten, wo eben ein
neuer Anfang des blutigen Tanzes gemacht werden mußte!

Solche Gedanken drängten sich mir auf, als ich in diesen Tagen das Buch
von Daniel Frymann „Wenn ich der Kaiser wär'" wieder in die Hände bekam.
„Politische Wahrheiten und Notwendigkeiten" heißt es im Untertitel und „Viel
Feind — viel Ehr'I" steht als Spruch auf dem ersten Blatte. Nun, was
dieses leicht hingeworfene Motto zu bedeuten hat, das haben wir erst durch
den Krieg erfahren: Viel Ehr', das heißt auch viel Blut und viele Tränen!
Das Buch ist 1912 erschienen und wollte wahrscheinlich nur der Politik des
Tages dienen. Es ist damals reichlich beachtet und gelesen worden, denn der
vierten Auflage, dem sechzehnten bis zwanzigsten Tausend, gehört das Exemplar
zu, das vor mir liegt. Im Weltkrieg noch gelesen zu werden wird es wohl
nicht beanspruchen, trotz des selbstbewußten Untertitels. Dennoch wäre es
vielleicht gut, wenn ein solches Buch einmal nicht mit seiner Epoche völlig
verschwände, wenn manche von denen, die es seiner Zeit mit leidenschaftlicher
Anteilnahme für oder wider gelesen haben, diese „politischen Wahrheiten und
Notwendigkeiten" heute noch einmal prüften, nachdem uns der Krieg in seine
politische Schule genommen hat.

Das Buch „Wenn ich der Kaiser wär'" war der Ausdruck einer politischen
Stimmung, die unmittelbar vor dem Kriege in weiteren Kreisen des deutschen
Bürgertums nicht ohne Echo geblieben ist. Weniger der Inhalt des Buches
an sich, als die breitere Resonanz, die ihm geworden ihl, mag es rechtfertigen,
daß ich überhaupt und gar heute noch von ihm zu sprechen unternehme. Diese
Stimmung war mit den politischen Leistungen der Reichsregierung von ihrem
Standpunkt aus ebenso radikal unzufrieden, wie die Sozialdemokratie auf Grund
ihrer prinzipiell ablehnenden politischen „Weltanschauung". Man hielt die Re¬
gierung nach innen wie nach außen für zu schwach und vermißte insbesondere
greifbare Erfolge unserer auswärtigen Politik. Wer entweder mit seinem Geld¬
beutel und seiner Arbeit oder auch bloß mit seiner Begeisterung Anteil an der


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[0398] Alte und neue deutsche Politik Gemüter um Marokko erhitzten, aus der Zeit, wo die Türken bei Adrianopel und Tschataldscha um ihr Reich kämpften, oder wo der Bukarester Friedens¬ kongreß die Dinge am Balkan für immer ordnen wollte, und werde sich einmal klar darüber, wieviel von dem heute noch gilt, was damals als der politischen Weisheit letzter Schluß erschien. Die Logik der Geschichte behandelt die Logik der Menschen mit einer grandiosen Ironie: selbst im tiefernsten ge¬ waltigen Antlitz des Weltkriegs spielt noch etwas wie das leise Lächeln davon. Wer im Marokkohandel den Bankrott deutscher Politik, wer angesichts des Tschataldscharingens das Ende der Türkei prophezeie, der muß doch von diesem Lächeln im Gesicht des Weltkriegs etwas spüren. Und zuckte es nicht eben wieder einmal in den Augen des Kriegsgottes, als wir uns über die „Kriegs¬ ziele" in die Haare geraten wollten, und auf einmal alles verstummen mußte, als das Fanat der rumänischen Kriegserklärung aufleuchtete, um uns zu zeigen, wie wenig es an der Zeit sei, sich um die „Ziele" zu streiten, wo eben ein neuer Anfang des blutigen Tanzes gemacht werden mußte! Solche Gedanken drängten sich mir auf, als ich in diesen Tagen das Buch von Daniel Frymann „Wenn ich der Kaiser wär'" wieder in die Hände bekam. „Politische Wahrheiten und Notwendigkeiten" heißt es im Untertitel und „Viel Feind — viel Ehr'I" steht als Spruch auf dem ersten Blatte. Nun, was dieses leicht hingeworfene Motto zu bedeuten hat, das haben wir erst durch den Krieg erfahren: Viel Ehr', das heißt auch viel Blut und viele Tränen! Das Buch ist 1912 erschienen und wollte wahrscheinlich nur der Politik des Tages dienen. Es ist damals reichlich beachtet und gelesen worden, denn der vierten Auflage, dem sechzehnten bis zwanzigsten Tausend, gehört das Exemplar zu, das vor mir liegt. Im Weltkrieg noch gelesen zu werden wird es wohl nicht beanspruchen, trotz des selbstbewußten Untertitels. Dennoch wäre es vielleicht gut, wenn ein solches Buch einmal nicht mit seiner Epoche völlig verschwände, wenn manche von denen, die es seiner Zeit mit leidenschaftlicher Anteilnahme für oder wider gelesen haben, diese „politischen Wahrheiten und Notwendigkeiten" heute noch einmal prüften, nachdem uns der Krieg in seine politische Schule genommen hat. Das Buch „Wenn ich der Kaiser wär'" war der Ausdruck einer politischen Stimmung, die unmittelbar vor dem Kriege in weiteren Kreisen des deutschen Bürgertums nicht ohne Echo geblieben ist. Weniger der Inhalt des Buches an sich, als die breitere Resonanz, die ihm geworden ihl, mag es rechtfertigen, daß ich überhaupt und gar heute noch von ihm zu sprechen unternehme. Diese Stimmung war mit den politischen Leistungen der Reichsregierung von ihrem Standpunkt aus ebenso radikal unzufrieden, wie die Sozialdemokratie auf Grund ihrer prinzipiell ablehnenden politischen „Weltanschauung". Man hielt die Re¬ gierung nach innen wie nach außen für zu schwach und vermißte insbesondere greifbare Erfolge unserer auswärtigen Politik. Wer entweder mit seinem Geld¬ beutel und seiner Arbeit oder auch bloß mit seiner Begeisterung Anteil an der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/398>, abgerufen am 26.05.2024.