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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Alte und neue deutsche Politik

riesigen wirtschaftlichen Expansion des im neuen Reich geeinten deutschen Volkes
nahm, wer an der Geltung der deutschen Flagge auf den Weltmeeren seine
Freude hatte und aus eigener Erfahrung oder auch nur auf Grund seiner
historischen Durchschnittsbildung gelernt hatte, daß wirtschaftlicher Einfluß Macht
bedeute, daß aber wiederum diese Macht nur durch politische und Kriegsmacht
erhalten werden könne, der konnte leicht zu der Meinung kommen, daß unsere
politische Expansion zu der wirtschaftlichen in einem Mißverhältnis stehe. Das
Bürgertum, daß durch unerhörten wirtschaftlichen Fleiß und glänzende ökonomische
Siege reich geworden war oder wenigstens Familien aus seiner Mitte hatte
reich werden sehen, mußte politisch ein anspruchsvolleres Geschlecht werden als
das, das einst von der schwarz-rot-goldnen Trikolore geträumt, das nur die
deutsche Einheit ersehnt und von dem Gedanken einer "Expansion" keinen Be¬
griff gehabt hatte Eben hatte man von Bismarck gelernt, daß die deutsche
Frage nur mit Blut und Eisen gelöst werden konnte, daß man also die allzu
ideologischen Gedanken über Politik beiseite zu lassen habe. Und nun sah man
sich schon zu einer Weltpolitik berufen, nun trieb uns schon die deutsche Wirt¬
schaft aufs Meer hinaus und an ferne Küsten, nun galt es schon außerhalb
des alten Europa einen "Platz an der Sonne" zu erwerben. Kein Wunder,
wenn uns die alte Lektion noch im Ohre klang, und viele ohne weiteres glaubten,
nun könne auch die neue Weltpolitik nur in Blut und Eisen Erfolg haben.
Natürlich haben sie an sich ganz recht. So wenig wie einst die deutsche Frage
können auch die Fragen der Weltpolitik in letzter Linie anders gelöst werden
als durch Blut und Eisen. Aber sie müssen erst für solche Lösung reif werden.
Die Zeit muß erst erfüllt, die Mittel des Friedens erschöpft, die Instrumente
des Krieges bereit gestellt sein. "Ultimi ratio reZi8" steht auf den Kanonen.
Es gab aber Leute unter uns, bei denen die Kanone immer gleich prima oder
LLLUnäa ratio war. Der Bismarckgeist, dessen Bedeutung in Vergangenheit
und Gegenwart ich erst kürzlich in den Grenzboten zu würdigen versucht habe
Mr. 36 d. I.), wirkte im allgemeinen zwar segensreich, aber auf manche wohl¬
meinende und gerade gebildete Leute doch verwirrend, insofern er sie zu einem
ungerechten Urteil über unsre weltpolitische Staatskunst veranlaßte. Man ver¬
langte vom deutschen Reichskanzler viel zu häufig ein Auftreten in Kürassier¬
stiefeln und vermißte in den Reden des "neuen Kurses" immer wieder die
Bismarcksche Fraktur. Bismarck selber ist weit entfernt gewesen, immer Fraktur
zu reden; er verstand sich ausgezeichnet auch auf die sanften Register der Staats¬
kunst und auf die diplomatische Leisetreterei. Sonst wäre er ja nicht ein so
großer Diplomat gewesen. Aber das hatte die Bismarcklegende vergessen und
nur das Wort vom Blut und Eisen oder das von den Deutschen, die nichts,
aber auch gar nichts anderes als Gott fürchten, hastete im Gedächtnis. So ent¬
stand in uns angehenden Weltpolitikern viel zu sehr das Gefühl, wir brauchten
nur zu wollen, um aller Welt voran zu fein, wir brauchten nur zuzuschlagen,
um allen Völkern einen heiligen Schrecken einzuflößen, wir brauchten nur


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Alte und neue deutsche Politik

riesigen wirtschaftlichen Expansion des im neuen Reich geeinten deutschen Volkes
nahm, wer an der Geltung der deutschen Flagge auf den Weltmeeren seine
Freude hatte und aus eigener Erfahrung oder auch nur auf Grund seiner
historischen Durchschnittsbildung gelernt hatte, daß wirtschaftlicher Einfluß Macht
bedeute, daß aber wiederum diese Macht nur durch politische und Kriegsmacht
erhalten werden könne, der konnte leicht zu der Meinung kommen, daß unsere
politische Expansion zu der wirtschaftlichen in einem Mißverhältnis stehe. Das
Bürgertum, daß durch unerhörten wirtschaftlichen Fleiß und glänzende ökonomische
Siege reich geworden war oder wenigstens Familien aus seiner Mitte hatte
reich werden sehen, mußte politisch ein anspruchsvolleres Geschlecht werden als
das, das einst von der schwarz-rot-goldnen Trikolore geträumt, das nur die
deutsche Einheit ersehnt und von dem Gedanken einer „Expansion" keinen Be¬
griff gehabt hatte Eben hatte man von Bismarck gelernt, daß die deutsche
Frage nur mit Blut und Eisen gelöst werden konnte, daß man also die allzu
ideologischen Gedanken über Politik beiseite zu lassen habe. Und nun sah man
sich schon zu einer Weltpolitik berufen, nun trieb uns schon die deutsche Wirt¬
schaft aufs Meer hinaus und an ferne Küsten, nun galt es schon außerhalb
des alten Europa einen „Platz an der Sonne" zu erwerben. Kein Wunder,
wenn uns die alte Lektion noch im Ohre klang, und viele ohne weiteres glaubten,
nun könne auch die neue Weltpolitik nur in Blut und Eisen Erfolg haben.
Natürlich haben sie an sich ganz recht. So wenig wie einst die deutsche Frage
können auch die Fragen der Weltpolitik in letzter Linie anders gelöst werden
als durch Blut und Eisen. Aber sie müssen erst für solche Lösung reif werden.
Die Zeit muß erst erfüllt, die Mittel des Friedens erschöpft, die Instrumente
des Krieges bereit gestellt sein. „Ultimi ratio reZi8" steht auf den Kanonen.
Es gab aber Leute unter uns, bei denen die Kanone immer gleich prima oder
LLLUnäa ratio war. Der Bismarckgeist, dessen Bedeutung in Vergangenheit
und Gegenwart ich erst kürzlich in den Grenzboten zu würdigen versucht habe
Mr. 36 d. I.), wirkte im allgemeinen zwar segensreich, aber auf manche wohl¬
meinende und gerade gebildete Leute doch verwirrend, insofern er sie zu einem
ungerechten Urteil über unsre weltpolitische Staatskunst veranlaßte. Man ver¬
langte vom deutschen Reichskanzler viel zu häufig ein Auftreten in Kürassier¬
stiefeln und vermißte in den Reden des „neuen Kurses" immer wieder die
Bismarcksche Fraktur. Bismarck selber ist weit entfernt gewesen, immer Fraktur
zu reden; er verstand sich ausgezeichnet auch auf die sanften Register der Staats¬
kunst und auf die diplomatische Leisetreterei. Sonst wäre er ja nicht ein so
großer Diplomat gewesen. Aber das hatte die Bismarcklegende vergessen und
nur das Wort vom Blut und Eisen oder das von den Deutschen, die nichts,
aber auch gar nichts anderes als Gott fürchten, hastete im Gedächtnis. So ent¬
stand in uns angehenden Weltpolitikern viel zu sehr das Gefühl, wir brauchten
nur zu wollen, um aller Welt voran zu fein, wir brauchten nur zuzuschlagen,
um allen Völkern einen heiligen Schrecken einzuflößen, wir brauchten nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/399>, abgerufen am 17.06.2024.