Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Gustav Freytag bei den Grenzboten
Zu seinem hundertsten Geburtstag am
Gswald Dammann von

M
A>ir wollen, dem Leibe nach, Bürger unserer Zeit sein und bleiben,
weil es nicht anders sein kann; sonst aber und dem Geiste nach ist es
das Vorrecht und die Pflicht des Philosophen wie des Dichters,
zu keinem Volke und zu keiner Zeit zu gehören, sondern im
eigentlichen Sinne des Wortes der Zeitgenosse aller Zeiten zu
sein." So durste noch Schiller schreiben. Ein halbes Jahrhundert später sehen
wir einen anderen Dichter. Gustav Freytag, mit den Füßen noch ganz in der Zeit
Goethes stehend, zur Feder des Publizisten greifen, weil das Höchste, was er hat,
der Staat seiner Väter, zusammenzubrechen droht. Und noch ein anderer Vergleich
drängt sich auf. Dankbaren Herzens nahmen Schiller und Goethe aus Karl
Augusts Hand den Adelsbrief, der sie erst ganz in den Nang der Vollfreien
Deutschlands erhob. Wieder war es Gustav Freytag. der voll stolzen Selbst¬
gefühls alle Adelsangebote von sich wies und sich im Bewußtsein, "im Reiche
der Geister gefürstet zu sein", und mit dem Gefühl selbsterworbenen Wertes
als Gleichberechtigter neben einen deutschen Fürsten stellte. Damit sind jene
beiden Epochen charakterisiert, die sich in rascher Folge und im schroffen Wider¬
spruch gegeneinander ablösten, auf der einen Seite der Kosmopolitismus des
Humanitätszeitalters mit seiner vorzugsweise aristokratischen Bildung, sowie
die weltflüchtig romantisierenden Tendenzen der Epoche Friedrich Wilhelms des
Vierten, andererseits die neue nationale Wirklichkeit, überwiegend bürgerlich
demokratisch gestimmt.

Der Träger dieser neuen Zeit, die in imposanter Kraftentwicklung rund
die Jahre von 1830 bis 1870 umspannt, war das liberale Bürgertum, einer
seiner namhaftesten Vertreter Gustav Freytag. Wenigen geschichtlichen Persönlich¬
keiten ist es gelungen, sich so wie er mit ihrer Zeit zu identifizieren und in


Grenzboten III 191" 3


Gustav Freytag bei den Grenzboten
Zu seinem hundertsten Geburtstag am
Gswald Dammann von

M
A>ir wollen, dem Leibe nach, Bürger unserer Zeit sein und bleiben,
weil es nicht anders sein kann; sonst aber und dem Geiste nach ist es
das Vorrecht und die Pflicht des Philosophen wie des Dichters,
zu keinem Volke und zu keiner Zeit zu gehören, sondern im
eigentlichen Sinne des Wortes der Zeitgenosse aller Zeiten zu
sein." So durste noch Schiller schreiben. Ein halbes Jahrhundert später sehen
wir einen anderen Dichter. Gustav Freytag, mit den Füßen noch ganz in der Zeit
Goethes stehend, zur Feder des Publizisten greifen, weil das Höchste, was er hat,
der Staat seiner Väter, zusammenzubrechen droht. Und noch ein anderer Vergleich
drängt sich auf. Dankbaren Herzens nahmen Schiller und Goethe aus Karl
Augusts Hand den Adelsbrief, der sie erst ganz in den Nang der Vollfreien
Deutschlands erhob. Wieder war es Gustav Freytag. der voll stolzen Selbst¬
gefühls alle Adelsangebote von sich wies und sich im Bewußtsein, „im Reiche
der Geister gefürstet zu sein", und mit dem Gefühl selbsterworbenen Wertes
als Gleichberechtigter neben einen deutschen Fürsten stellte. Damit sind jene
beiden Epochen charakterisiert, die sich in rascher Folge und im schroffen Wider¬
spruch gegeneinander ablösten, auf der einen Seite der Kosmopolitismus des
Humanitätszeitalters mit seiner vorzugsweise aristokratischen Bildung, sowie
die weltflüchtig romantisierenden Tendenzen der Epoche Friedrich Wilhelms des
Vierten, andererseits die neue nationale Wirklichkeit, überwiegend bürgerlich
demokratisch gestimmt.

Der Träger dieser neuen Zeit, die in imposanter Kraftentwicklung rund
die Jahre von 1830 bis 1870 umspannt, war das liberale Bürgertum, einer
seiner namhaftesten Vertreter Gustav Freytag. Wenigen geschichtlichen Persönlich¬
keiten ist es gelungen, sich so wie er mit ihrer Zeit zu identifizieren und in


Grenzboten III 191« 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0045" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330579"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341903_330533/figures/grenzboten_341903_330533_330579_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Gustav Freytag bei den Grenzboten<lb/>
Zu seinem hundertsten Geburtstag am<lb/><note type="byline"> Gswald Dammann</note> von</head><lb/>
          <p xml:id="ID_111"> M<lb/>
A&gt;ir wollen, dem Leibe nach, Bürger unserer Zeit sein und bleiben,<lb/>
weil es nicht anders sein kann; sonst aber und dem Geiste nach ist es<lb/>
das Vorrecht und die Pflicht des Philosophen wie des Dichters,<lb/>
zu keinem Volke und zu keiner Zeit zu gehören, sondern im<lb/>
eigentlichen Sinne des Wortes der Zeitgenosse aller Zeiten zu<lb/>
sein." So durste noch Schiller schreiben. Ein halbes Jahrhundert später sehen<lb/>
wir einen anderen Dichter. Gustav Freytag, mit den Füßen noch ganz in der Zeit<lb/>
Goethes stehend, zur Feder des Publizisten greifen, weil das Höchste, was er hat,<lb/>
der Staat seiner Väter, zusammenzubrechen droht. Und noch ein anderer Vergleich<lb/>
drängt sich auf. Dankbaren Herzens nahmen Schiller und Goethe aus Karl<lb/>
Augusts Hand den Adelsbrief, der sie erst ganz in den Nang der Vollfreien<lb/>
Deutschlands erhob. Wieder war es Gustav Freytag. der voll stolzen Selbst¬<lb/>
gefühls alle Adelsangebote von sich wies und sich im Bewußtsein, &#x201E;im Reiche<lb/>
der Geister gefürstet zu sein", und mit dem Gefühl selbsterworbenen Wertes<lb/>
als Gleichberechtigter neben einen deutschen Fürsten stellte. Damit sind jene<lb/>
beiden Epochen charakterisiert, die sich in rascher Folge und im schroffen Wider¬<lb/>
spruch gegeneinander ablösten, auf der einen Seite der Kosmopolitismus des<lb/>
Humanitätszeitalters mit seiner vorzugsweise aristokratischen Bildung, sowie<lb/>
die weltflüchtig romantisierenden Tendenzen der Epoche Friedrich Wilhelms des<lb/>
Vierten, andererseits die neue nationale Wirklichkeit, überwiegend bürgerlich<lb/>
demokratisch gestimmt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_112" next="#ID_113"> Der Träger dieser neuen Zeit, die in imposanter Kraftentwicklung rund<lb/>
die Jahre von 1830 bis 1870 umspannt, war das liberale Bürgertum, einer<lb/>
seiner namhaftesten Vertreter Gustav Freytag. Wenigen geschichtlichen Persönlich¬<lb/>
keiten ist es gelungen, sich so wie er mit ihrer Zeit zu identifizieren und in</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 191« 3</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0045] [Abbildung] Gustav Freytag bei den Grenzboten Zu seinem hundertsten Geburtstag am Gswald Dammann von M A>ir wollen, dem Leibe nach, Bürger unserer Zeit sein und bleiben, weil es nicht anders sein kann; sonst aber und dem Geiste nach ist es das Vorrecht und die Pflicht des Philosophen wie des Dichters, zu keinem Volke und zu keiner Zeit zu gehören, sondern im eigentlichen Sinne des Wortes der Zeitgenosse aller Zeiten zu sein." So durste noch Schiller schreiben. Ein halbes Jahrhundert später sehen wir einen anderen Dichter. Gustav Freytag, mit den Füßen noch ganz in der Zeit Goethes stehend, zur Feder des Publizisten greifen, weil das Höchste, was er hat, der Staat seiner Väter, zusammenzubrechen droht. Und noch ein anderer Vergleich drängt sich auf. Dankbaren Herzens nahmen Schiller und Goethe aus Karl Augusts Hand den Adelsbrief, der sie erst ganz in den Nang der Vollfreien Deutschlands erhob. Wieder war es Gustav Freytag. der voll stolzen Selbst¬ gefühls alle Adelsangebote von sich wies und sich im Bewußtsein, „im Reiche der Geister gefürstet zu sein", und mit dem Gefühl selbsterworbenen Wertes als Gleichberechtigter neben einen deutschen Fürsten stellte. Damit sind jene beiden Epochen charakterisiert, die sich in rascher Folge und im schroffen Wider¬ spruch gegeneinander ablösten, auf der einen Seite der Kosmopolitismus des Humanitätszeitalters mit seiner vorzugsweise aristokratischen Bildung, sowie die weltflüchtig romantisierenden Tendenzen der Epoche Friedrich Wilhelms des Vierten, andererseits die neue nationale Wirklichkeit, überwiegend bürgerlich demokratisch gestimmt. Der Träger dieser neuen Zeit, die in imposanter Kraftentwicklung rund die Jahre von 1830 bis 1870 umspannt, war das liberale Bürgertum, einer seiner namhaftesten Vertreter Gustav Freytag. Wenigen geschichtlichen Persönlich¬ keiten ist es gelungen, sich so wie er mit ihrer Zeit zu identifizieren und in Grenzboten III 191« 3

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/45
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/45>, abgerufen am 26.05.2024.