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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Gustav Lreytag bei den Grenzboten

Wesen. Maßgebend ist überall der nationale und zwar der national¬
pädagogische Gesichtspunkt, der Gedanke an die sittliche Wirkung, welche auf
das eigene Volk geübt werden soll."

Vor allem während der trostlosen Reaktionszeit, als nach dem Krimkrieg
das nationale und liberale Interesse ganz zu erlahmen und die politische
Publizistik unter polizeilichem Druck geknebelt einzuschlafen drohte, kam Freytags
journalistisches Talent erst zu voller Entfaltung. Die feine agitatorische Wühl¬
arbeit des Liberalismus, "den geheimen Mechanismus" und "die loyale Kon¬
spiration", beherrschte er mit großer Vollkommenheit. So erschienen denn in
den "grünen Blättern" besonders jene von warmem politischen Blut durch¬
pulsten "Bilder aus der deutschen Vergangenheit", die aus der Kenntnis der
deutschen Volksseele Verständnis und Teilnahme für die Aufgaben der Gegen¬
wart erwecken wollten.

Als dann nach den verheißungsvoller, auch von Freytag froh begrüßten
Anfängen der neuen Ära die deutschen Geschicke bald immer mehr den Händen
des Liberalismus entglitten und die schöpferische Hand eines einzigen aus den
Trümmern zweier Kriege und dem Chaos eines innerpolitischen Konflikts,
rücksichtslos und eigenwillig die Fäden spinnend, den glänzenden Bau der neuen
Einheit emporführte, da gehörte wohl auch Freytag zu denen, die zuerst geblendet
standen vor dem plötzlichen Wunder. Auch er hatte das Parteibanner solange
hochgetragen, bis es ihm vom Strom der Ereignisse aus der Hand gerissen
wurde. Der Liberalismus war mit all seinen Idealen an der harten Realität
der Waffen zerschellt. Und wenn nun Freytag dem Zwang der Tatsachen
nachgebend mit ins Lager des Nationalliberalismus abschwenkte, begreiflich war
es. daß er sich schwerer als die meisten anderen in die neue Wirklichkeit nach
1866 hineinfand. Daß der ganze glorreiche Fortschritt den Stempel des
Oktroyierten trug, daß nach seiner Meinung persönliche Stimmungen weniger
Menschen den Ausschlag gegeben hatten, ließ ihm schnell die erste Siegesfreude
in stille Resignation umschlagen. Wenn man die offiziellen Äußerungen jener
Zeit in den "Grenzboten" mustert, so fällt ohne weiteres ihr gequälter und
verdrossener Ton auf. Freytag gibt sich Mühe und es will ihm nicht gelingen,
die ihm fremde Umwelt zu verstehen. Er zollt dem Werk und der Person
König Wilhelms die schuldige Ehrerbietung, aber echte, warme Zuneigung sucht
man vergebens. Aus allem geht hervor, daß Freytag im letzten Grunde mit
einen: Provisorium rechnete, das er dereinst durch ein liberales Kulturregiment
des Kronprinzen Friedrich Wilhelm abgelöst zu sehen hoffte. Daß der Kron¬
prinz die lang genährten Hoffnungen des doktrinären Liberalismus täuschte,
indem er in einer Aufwallung fürstlichen Stolzes die Stellung eines Statisten
ausschlug, jene "bürgerliche" Auffassung vom Beruf und den Pflichten des
Mrsten. die Freytag 1867 dem Kronprinzen "an stillen Abenden" zu unter-
vrerten Gelegenheit hatte, und statt dessen die Kaiserkrone als das Symbol der
acht in Anspruch nahm, dieses historische Versagen war für Freytag die


Gustav Lreytag bei den Grenzboten

Wesen. Maßgebend ist überall der nationale und zwar der national¬
pädagogische Gesichtspunkt, der Gedanke an die sittliche Wirkung, welche auf
das eigene Volk geübt werden soll."

Vor allem während der trostlosen Reaktionszeit, als nach dem Krimkrieg
das nationale und liberale Interesse ganz zu erlahmen und die politische
Publizistik unter polizeilichem Druck geknebelt einzuschlafen drohte, kam Freytags
journalistisches Talent erst zu voller Entfaltung. Die feine agitatorische Wühl¬
arbeit des Liberalismus, „den geheimen Mechanismus" und „die loyale Kon¬
spiration", beherrschte er mit großer Vollkommenheit. So erschienen denn in
den „grünen Blättern" besonders jene von warmem politischen Blut durch¬
pulsten „Bilder aus der deutschen Vergangenheit", die aus der Kenntnis der
deutschen Volksseele Verständnis und Teilnahme für die Aufgaben der Gegen¬
wart erwecken wollten.

Als dann nach den verheißungsvoller, auch von Freytag froh begrüßten
Anfängen der neuen Ära die deutschen Geschicke bald immer mehr den Händen
des Liberalismus entglitten und die schöpferische Hand eines einzigen aus den
Trümmern zweier Kriege und dem Chaos eines innerpolitischen Konflikts,
rücksichtslos und eigenwillig die Fäden spinnend, den glänzenden Bau der neuen
Einheit emporführte, da gehörte wohl auch Freytag zu denen, die zuerst geblendet
standen vor dem plötzlichen Wunder. Auch er hatte das Parteibanner solange
hochgetragen, bis es ihm vom Strom der Ereignisse aus der Hand gerissen
wurde. Der Liberalismus war mit all seinen Idealen an der harten Realität
der Waffen zerschellt. Und wenn nun Freytag dem Zwang der Tatsachen
nachgebend mit ins Lager des Nationalliberalismus abschwenkte, begreiflich war
es. daß er sich schwerer als die meisten anderen in die neue Wirklichkeit nach
1866 hineinfand. Daß der ganze glorreiche Fortschritt den Stempel des
Oktroyierten trug, daß nach seiner Meinung persönliche Stimmungen weniger
Menschen den Ausschlag gegeben hatten, ließ ihm schnell die erste Siegesfreude
in stille Resignation umschlagen. Wenn man die offiziellen Äußerungen jener
Zeit in den „Grenzboten" mustert, so fällt ohne weiteres ihr gequälter und
verdrossener Ton auf. Freytag gibt sich Mühe und es will ihm nicht gelingen,
die ihm fremde Umwelt zu verstehen. Er zollt dem Werk und der Person
König Wilhelms die schuldige Ehrerbietung, aber echte, warme Zuneigung sucht
man vergebens. Aus allem geht hervor, daß Freytag im letzten Grunde mit
einen: Provisorium rechnete, das er dereinst durch ein liberales Kulturregiment
des Kronprinzen Friedrich Wilhelm abgelöst zu sehen hoffte. Daß der Kron¬
prinz die lang genährten Hoffnungen des doktrinären Liberalismus täuschte,
indem er in einer Aufwallung fürstlichen Stolzes die Stellung eines Statisten
ausschlug, jene „bürgerliche" Auffassung vom Beruf und den Pflichten des
Mrsten. die Freytag 1867 dem Kronprinzen „an stillen Abenden" zu unter-
vrerten Gelegenheit hatte, und statt dessen die Kaiserkrone als das Symbol der
acht in Anspruch nahm, dieses historische Versagen war für Freytag die


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[0051] Gustav Lreytag bei den Grenzboten Wesen. Maßgebend ist überall der nationale und zwar der national¬ pädagogische Gesichtspunkt, der Gedanke an die sittliche Wirkung, welche auf das eigene Volk geübt werden soll." Vor allem während der trostlosen Reaktionszeit, als nach dem Krimkrieg das nationale und liberale Interesse ganz zu erlahmen und die politische Publizistik unter polizeilichem Druck geknebelt einzuschlafen drohte, kam Freytags journalistisches Talent erst zu voller Entfaltung. Die feine agitatorische Wühl¬ arbeit des Liberalismus, „den geheimen Mechanismus" und „die loyale Kon¬ spiration", beherrschte er mit großer Vollkommenheit. So erschienen denn in den „grünen Blättern" besonders jene von warmem politischen Blut durch¬ pulsten „Bilder aus der deutschen Vergangenheit", die aus der Kenntnis der deutschen Volksseele Verständnis und Teilnahme für die Aufgaben der Gegen¬ wart erwecken wollten. Als dann nach den verheißungsvoller, auch von Freytag froh begrüßten Anfängen der neuen Ära die deutschen Geschicke bald immer mehr den Händen des Liberalismus entglitten und die schöpferische Hand eines einzigen aus den Trümmern zweier Kriege und dem Chaos eines innerpolitischen Konflikts, rücksichtslos und eigenwillig die Fäden spinnend, den glänzenden Bau der neuen Einheit emporführte, da gehörte wohl auch Freytag zu denen, die zuerst geblendet standen vor dem plötzlichen Wunder. Auch er hatte das Parteibanner solange hochgetragen, bis es ihm vom Strom der Ereignisse aus der Hand gerissen wurde. Der Liberalismus war mit all seinen Idealen an der harten Realität der Waffen zerschellt. Und wenn nun Freytag dem Zwang der Tatsachen nachgebend mit ins Lager des Nationalliberalismus abschwenkte, begreiflich war es. daß er sich schwerer als die meisten anderen in die neue Wirklichkeit nach 1866 hineinfand. Daß der ganze glorreiche Fortschritt den Stempel des Oktroyierten trug, daß nach seiner Meinung persönliche Stimmungen weniger Menschen den Ausschlag gegeben hatten, ließ ihm schnell die erste Siegesfreude in stille Resignation umschlagen. Wenn man die offiziellen Äußerungen jener Zeit in den „Grenzboten" mustert, so fällt ohne weiteres ihr gequälter und verdrossener Ton auf. Freytag gibt sich Mühe und es will ihm nicht gelingen, die ihm fremde Umwelt zu verstehen. Er zollt dem Werk und der Person König Wilhelms die schuldige Ehrerbietung, aber echte, warme Zuneigung sucht man vergebens. Aus allem geht hervor, daß Freytag im letzten Grunde mit einen: Provisorium rechnete, das er dereinst durch ein liberales Kulturregiment des Kronprinzen Friedrich Wilhelm abgelöst zu sehen hoffte. Daß der Kron¬ prinz die lang genährten Hoffnungen des doktrinären Liberalismus täuschte, indem er in einer Aufwallung fürstlichen Stolzes die Stellung eines Statisten ausschlug, jene „bürgerliche" Auffassung vom Beruf und den Pflichten des Mrsten. die Freytag 1867 dem Kronprinzen „an stillen Abenden" zu unter- vrerten Gelegenheit hatte, und statt dessen die Kaiserkrone als das Symbol der acht in Anspruch nahm, dieses historische Versagen war für Freytag die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/51>, abgerufen am 17.06.2024.