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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Gustav Freytag bei den Grenzboten

Zufälliges anhaftete, sprach er das Recht ab, über die Zukunft der deutschen
Nation zu entscheiden und setzte ihm den schlichten und unzweideutigen Ausdruck
des Volkswillens entgegen. Eben deshalb, aus Respekt vor dem Volkswillen,
gab Freytag auch in der Frage der äußeren Staatsform zunächst dem Bundes¬
staat vor dem Einheitsstaat den Vorzug. Auch sein Ziel war der Einheits¬
staat, aber er glaubte, daß den Interessen und dem Bedürfnis des Volkes besser
gedient sei, wenn die Einigung schonend und schrittweise über die Etappe des
Bundesstaats sich vollziehe. Jeder Bundesstaat, so machte er gegen den Hei߬
sporn Treitschke geltend, führe schließlich zum Einheitsstaat.

Besonderen Ruhm darf Freytag als einflußreicher Verfechter des klein¬
deutschen Programms beanspruchen. Nach dem Zeugnis Konstantin Rößlers
war es Freytag, der als erster in den "Grenzboten" im Juli 1848 in einem
Sendschreiben an Pillersdorf, den damaligen österreichischen Ministerpräsidenten,
das Ausscheiden Österreichs aus Deutschland propagierte. "Es geschah in einem
wahrhaft politischen Geist, denn Freytag wies nach, daß Österreich der Staat
sei, welcher der Trennung am meisten bedürfe, ja für den sie die Lebensfrage
sei." Die preußische Führerschaft trug Freytag als unumstößliches Dogma in
der Brust, unerbittlich in seinem Doktrinarismus auch hier: "In der Politik
sind in Deutschland nur zwei Parteien, Protestanten und Altgläubige, Lebendige
und Tote, Preußen und Österreicher, hie ficht, wie Luther sagt, Gott und der
Teufel, ein drittes gibts nicht."

Die Vormachtstellung Preußens verstand Freytag nicht im Sinne eines
Großpreußentums. Einer solchen Idee ist er niemals näher getreten, und
wenn er auch einmal gelegentlich der Zurücksetzung, die Preußen 1849 in
Frankfurt erfuhr, in den "Betrachtungen eines Stockpreußen" (Grzbt. 18491.208 ff.)
schärfere Töne anschlug und ein spezifisches Preußentum drohend heraufsteigen
ließ, so war das nicht mehr als ein Schreckschuß. Freytag war sich seines
Preußentums stolz bewußt, aber er war auch klug genug, einzusehen, daß
Preußen ebensosehr wie die anderen deutschen Territorien der gegenseitigen
Ergänzung bedürfe. Auch die Preußen sollten sich vor allem als Deutsche
fühlen, sich zugunsten einer höheren Einheit unterordnen, dafür aber die Füh¬
rung im neuen Bundesstaat erhalten.

Der nationale Staat, Deutschlands Größe, war und blieb Freytags erster
und letzter Gedanke, ihn durch alle Fährnisse der inneren und äußeren Politik
lebendig zu erhalten und zu seiner Verwirklichung beizutragen, der Angelpunkt
seines Lebenswerkes, in erster Linie seiner publizistischen Arbeiten. "Einerlei",
so bemerkt Freytags einstiger Mitarbeiter bei den "Grenzboten", Julius v. Eckardt,
"ob sie aus Petersburg oder von der Wiener Ferdinandsbrücke datiert sind, --
ob sie Louis Bonaparte, den Tod des Prinzgemahls von England oder die
Deutschen in Siebenbürgen zum Gegenstand haben: sie handeln immer nur von
der Stellung, die der Deutsche dem Ausland gegenüber einnimmt oder ein¬
nehmen soll, und von dem Verhältnis der Fremden zum Deutschen und seinem


Gustav Freytag bei den Grenzboten

Zufälliges anhaftete, sprach er das Recht ab, über die Zukunft der deutschen
Nation zu entscheiden und setzte ihm den schlichten und unzweideutigen Ausdruck
des Volkswillens entgegen. Eben deshalb, aus Respekt vor dem Volkswillen,
gab Freytag auch in der Frage der äußeren Staatsform zunächst dem Bundes¬
staat vor dem Einheitsstaat den Vorzug. Auch sein Ziel war der Einheits¬
staat, aber er glaubte, daß den Interessen und dem Bedürfnis des Volkes besser
gedient sei, wenn die Einigung schonend und schrittweise über die Etappe des
Bundesstaats sich vollziehe. Jeder Bundesstaat, so machte er gegen den Hei߬
sporn Treitschke geltend, führe schließlich zum Einheitsstaat.

Besonderen Ruhm darf Freytag als einflußreicher Verfechter des klein¬
deutschen Programms beanspruchen. Nach dem Zeugnis Konstantin Rößlers
war es Freytag, der als erster in den „Grenzboten" im Juli 1848 in einem
Sendschreiben an Pillersdorf, den damaligen österreichischen Ministerpräsidenten,
das Ausscheiden Österreichs aus Deutschland propagierte. „Es geschah in einem
wahrhaft politischen Geist, denn Freytag wies nach, daß Österreich der Staat
sei, welcher der Trennung am meisten bedürfe, ja für den sie die Lebensfrage
sei." Die preußische Führerschaft trug Freytag als unumstößliches Dogma in
der Brust, unerbittlich in seinem Doktrinarismus auch hier: „In der Politik
sind in Deutschland nur zwei Parteien, Protestanten und Altgläubige, Lebendige
und Tote, Preußen und Österreicher, hie ficht, wie Luther sagt, Gott und der
Teufel, ein drittes gibts nicht."

Die Vormachtstellung Preußens verstand Freytag nicht im Sinne eines
Großpreußentums. Einer solchen Idee ist er niemals näher getreten, und
wenn er auch einmal gelegentlich der Zurücksetzung, die Preußen 1849 in
Frankfurt erfuhr, in den „Betrachtungen eines Stockpreußen" (Grzbt. 18491.208 ff.)
schärfere Töne anschlug und ein spezifisches Preußentum drohend heraufsteigen
ließ, so war das nicht mehr als ein Schreckschuß. Freytag war sich seines
Preußentums stolz bewußt, aber er war auch klug genug, einzusehen, daß
Preußen ebensosehr wie die anderen deutschen Territorien der gegenseitigen
Ergänzung bedürfe. Auch die Preußen sollten sich vor allem als Deutsche
fühlen, sich zugunsten einer höheren Einheit unterordnen, dafür aber die Füh¬
rung im neuen Bundesstaat erhalten.

Der nationale Staat, Deutschlands Größe, war und blieb Freytags erster
und letzter Gedanke, ihn durch alle Fährnisse der inneren und äußeren Politik
lebendig zu erhalten und zu seiner Verwirklichung beizutragen, der Angelpunkt
seines Lebenswerkes, in erster Linie seiner publizistischen Arbeiten. „Einerlei",
so bemerkt Freytags einstiger Mitarbeiter bei den „Grenzboten", Julius v. Eckardt,
„ob sie aus Petersburg oder von der Wiener Ferdinandsbrücke datiert sind, —
ob sie Louis Bonaparte, den Tod des Prinzgemahls von England oder die
Deutschen in Siebenbürgen zum Gegenstand haben: sie handeln immer nur von
der Stellung, die der Deutsche dem Ausland gegenüber einnimmt oder ein¬
nehmen soll, und von dem Verhältnis der Fremden zum Deutschen und seinem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/50>, abgerufen am 26.05.2024.