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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Briefwechsel von Gustav Freytag mit Graf und Gräfin Baudissin

Verabredungen laufen durch das Land. Jedenfalls ist der Augenblick eines
entscheidenden Vorgehens gekommen. Denn wenn die Bundescommissare sich
erst hinter den abziehenden Dänen festgesetzt u. die Verwaltung in die Hand
genommen haben wird der Herzog bei Seite gedrückt. Dazu kommt, daß
sofort nach dem Einmarsch der Bundestruppen die Großmächte (auf Betrieb
Bismarcks u. Rechbergs) Alles anwenden werden, den Grund der Execution
durch neues Abkommen mit Dänemark rückgängig zu machen, und wir stehen
dann vor einem neuen !ait ÄLcompIi, weit ärger als das Londoner Protokoll.
So ist allerdings geboten, durch ein kalt zuvorzukommen, welches wenigstens
England u. Preußen erschwert, die neuen Packe zu schließen. Und dies 5ait
kann nur ein großartiges pronunLiamento des Landes Holstein sein, und die
Holsteiner verlangen dazu den Herzog.

Wie gewagt u. exponirend auch der Schritt ist, ich meine er müßte hin. Jn-
cognito in Hamb. bleiben, bis der Moment in das Land zu gehn gekommen.
In Hamburg kann er sich wohl verborgen aufhalten, er erfährt dort alles eher
und gründlicher, als hier unter feinen Emigranten.

Ich zweifle, ob man sich hier dazu entschließen wird. Er kommt heut
Abend von München, u. müßte, wenn er die rechte Stunde treffen will, bereits
in den nächsten Tagen abgehn.

Nun wäre allerdings für den ersten Moment ihm der Entschluß erleichtert,
wenn man sich im Palais hätte entschließen können, einige militärische Vor¬
bereitungen zu treffen. Es mag ein Moment kommen, wo die Bundestruppen
nach einem Pronunciren des Landes still halten, beim Eintreten des Herzogs
sich zurückziehen u. wo eine kleine holsteinische Truppenzahl, wenn auch nur
wenige Bataillone, in die Lage kommen würde, einer dänischen Abtheilung
Widerstand zu leisten. Es wäre wohl möglich gewesen, aus den vorhandenen
gedienten u. fahnenflüchtigen Holsteinern mit Hilfe badischer Offiziere u. einigem
Zuzug gedienter Leute u. freiwillige aus Deutschland eine Zahl von 3--5
schwachen Bataillonen im Lande einzukleiden u. zu formiren, wenn man für
die Spedition des Nöthigen Materials nach Hamburg gesorgt hätte. Daß
dies nicht geschehen, macht die Lage des Herzogs, wenn er hinter den Bundes¬
truppen sein Land betritt, nicht sicherer und setzt ihn dem Ueberfall jedes
dänischen Streifcorps aus. In jedem Fall wäre bei den verworrenen Ver¬
hältnissen, welche in den ersten Tagen u. Wochen nach dem Einmarsch der
Bundestruppen stattfinden müssen, die rechtzeitige Vorbereitung für solche mög¬
liche Eventualität zweckmäßig gewesen.

Man hat das ängstlich vermieden. Und obgleich man die lebhafte Em¬
pfindung hat, daß der warme Wille des deutschen Volkes das beste Agitations¬
mittel für den Herzog sei, ist doch das Treiben der Comitis, ihre Ein-
zsichnungen, das vorläufige Exerciren der süddeutschen Freiwilligen viel mehr
Gegenstand des Argwohns, als der Freude. Und doch weiß man, daß man
in diesem Frühjahr wenn Alles aufs Beste geht, ein Heer von 40--50 000


Briefwechsel von Gustav Freytag mit Graf und Gräfin Baudissin

Verabredungen laufen durch das Land. Jedenfalls ist der Augenblick eines
entscheidenden Vorgehens gekommen. Denn wenn die Bundescommissare sich
erst hinter den abziehenden Dänen festgesetzt u. die Verwaltung in die Hand
genommen haben wird der Herzog bei Seite gedrückt. Dazu kommt, daß
sofort nach dem Einmarsch der Bundestruppen die Großmächte (auf Betrieb
Bismarcks u. Rechbergs) Alles anwenden werden, den Grund der Execution
durch neues Abkommen mit Dänemark rückgängig zu machen, und wir stehen
dann vor einem neuen !ait ÄLcompIi, weit ärger als das Londoner Protokoll.
So ist allerdings geboten, durch ein kalt zuvorzukommen, welches wenigstens
England u. Preußen erschwert, die neuen Packe zu schließen. Und dies 5ait
kann nur ein großartiges pronunLiamento des Landes Holstein sein, und die
Holsteiner verlangen dazu den Herzog.

Wie gewagt u. exponirend auch der Schritt ist, ich meine er müßte hin. Jn-
cognito in Hamb. bleiben, bis der Moment in das Land zu gehn gekommen.
In Hamburg kann er sich wohl verborgen aufhalten, er erfährt dort alles eher
und gründlicher, als hier unter feinen Emigranten.

Ich zweifle, ob man sich hier dazu entschließen wird. Er kommt heut
Abend von München, u. müßte, wenn er die rechte Stunde treffen will, bereits
in den nächsten Tagen abgehn.

Nun wäre allerdings für den ersten Moment ihm der Entschluß erleichtert,
wenn man sich im Palais hätte entschließen können, einige militärische Vor¬
bereitungen zu treffen. Es mag ein Moment kommen, wo die Bundestruppen
nach einem Pronunciren des Landes still halten, beim Eintreten des Herzogs
sich zurückziehen u. wo eine kleine holsteinische Truppenzahl, wenn auch nur
wenige Bataillone, in die Lage kommen würde, einer dänischen Abtheilung
Widerstand zu leisten. Es wäre wohl möglich gewesen, aus den vorhandenen
gedienten u. fahnenflüchtigen Holsteinern mit Hilfe badischer Offiziere u. einigem
Zuzug gedienter Leute u. freiwillige aus Deutschland eine Zahl von 3—5
schwachen Bataillonen im Lande einzukleiden u. zu formiren, wenn man für
die Spedition des Nöthigen Materials nach Hamburg gesorgt hätte. Daß
dies nicht geschehen, macht die Lage des Herzogs, wenn er hinter den Bundes¬
truppen sein Land betritt, nicht sicherer und setzt ihn dem Ueberfall jedes
dänischen Streifcorps aus. In jedem Fall wäre bei den verworrenen Ver¬
hältnissen, welche in den ersten Tagen u. Wochen nach dem Einmarsch der
Bundestruppen stattfinden müssen, die rechtzeitige Vorbereitung für solche mög¬
liche Eventualität zweckmäßig gewesen.

Man hat das ängstlich vermieden. Und obgleich man die lebhafte Em¬
pfindung hat, daß der warme Wille des deutschen Volkes das beste Agitations¬
mittel für den Herzog sei, ist doch das Treiben der Comitis, ihre Ein-
zsichnungen, das vorläufige Exerciren der süddeutschen Freiwilligen viel mehr
Gegenstand des Argwohns, als der Freude. Und doch weiß man, daß man
in diesem Frühjahr wenn Alles aufs Beste geht, ein Heer von 40—50 000


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/64>, abgerufen am 17.06.2024.