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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Religion und Volk

fest, er hält sich an das Unsichtbare und Ewige, was Gott in unserem Volke
niedergelegt hat. . . Hier hat die Seele ihre innere Ruhe. . . Weil wir uns
mit der Weltgeschichte eins wissen, darum sind wir siegesgewiß." Vaterlands¬
dienst ist uns nur Gottesdienst, weil das Vaterland uns nicht bloß Inbegriff
von Macht und Ordnung ist, sondern weil es Geist ist, lebendiger, tätiger
Geist, für dessen Wirksamkeit in der Welt wir unseren Willen und unser
Leben einsetzen. Wir begnügen uns aber nicht mit dem Gefühl, so sicher wir es auch
empfinden mögen. Wir wollen es auch, gewissenhaft und selbstquälerisch, wie
wir sind, verstandesmäßig vor uns verantworten können. Ist der deutsche Geist
etwas so Besonderes, daß seine Erhaltung in der Welt so großer materieller
Opfer wert ist?

Fichte hat die deutsche Eigenart in seiner siebenten Rede ungefähr so ver¬
deutlicht: das innerste Wesen des Auslandes sei der Glaube an eine feste, un¬
veränderliche Form, innerhalb derer sich das Leben bewege, ohne sie zersprengen
zu können. Die deutsche Philosophie sei durch die bloße Erscheinung zum Kern
vorgedrungen, zum ewigen, göttlichen Gedanken, durch den unser Leben erst
seinen Sinn erhält. So sehe das Ausland in der Staatskunst auch nur das
Vermögen, "alles Leben in der Gesellschaft zu einem großen und künstlichen
Räderwerk zusammenzufügen." Eine solche feste und tote Ordnung der Dinge
sei nicht das Ziel der deutschen Staatskunst. Die Sicherheit eines Staates
scheine ihr nicht so sehr in einer feststehenden Form zu beruhen, als in dem
Geist, der als ewig bewegliche Triebfeder das Leben der Gesellschaft ordnen
und fortbewegen soll. Die Geschichtsphilosophie des Auslandes glaube an ein
goldenes Zeitalter, an eine äußerste Grenze der Entwicklung, einen Kreislauf
der Geschichte. Nach der Anschauung des Deutschen aber "macht der eigent¬
liche und rechte Mensch die Geschichte selbst, nicht etwa nur wiederholend das
schon Dagewesene, sondern in die Zeit hineinschaffend das durchaus Neue."
Das Ausland kenne Freiheit nur als ein Schwanken zwischen mehreren un¬
abänderlichen Notwendigkeiten. Uns sei Freiheit Entschluß, Wille, unendliche
Verbesserlichkeit, ewiges Fortschreiten. Deutsch ist, wer das Nichtige entschieden
fallen läßt und aufmerksam hinhorcht, ob irgendwo der Fluß ursprünglichen
Lebens rauscht; in dem die Schöpferkraft des Neuen hervorbricht. "Was an
Geistigkeit und Freiheit dieser Geistigkeit glaubt und die ewige Fortbildung
dieser Geistigkeit durch Freiheit will, das . . . ist unseres Geschlechts; es gehört
uns an, es wird sich zu uns tun."

Das Haupthindernis bei der Erneuerung der deutschen Nation, gegen das
Fichte ankämpfte, war die Überschätzung des Fremden, d. h. des Napoleonischen
Staates, und die Ergebung in das unabänderlich scheinende Schicksal. Des¬
halb sucht er das Deutschtum gegen das ausländische (hauptsächlich romanische)
Wesen abzugrenzen und sein Selbstbewußtsein zu heben. Wir sind inzwischen
ein Nationalstaat geworden; unser Selbstbewußtsein ist mit unseren materiellen
Erfolgen gewachsen. Und doch brauchen wir nach wie vor einen sittlichen


Religion und Volk

fest, er hält sich an das Unsichtbare und Ewige, was Gott in unserem Volke
niedergelegt hat. . . Hier hat die Seele ihre innere Ruhe. . . Weil wir uns
mit der Weltgeschichte eins wissen, darum sind wir siegesgewiß." Vaterlands¬
dienst ist uns nur Gottesdienst, weil das Vaterland uns nicht bloß Inbegriff
von Macht und Ordnung ist, sondern weil es Geist ist, lebendiger, tätiger
Geist, für dessen Wirksamkeit in der Welt wir unseren Willen und unser
Leben einsetzen. Wir begnügen uns aber nicht mit dem Gefühl, so sicher wir es auch
empfinden mögen. Wir wollen es auch, gewissenhaft und selbstquälerisch, wie
wir sind, verstandesmäßig vor uns verantworten können. Ist der deutsche Geist
etwas so Besonderes, daß seine Erhaltung in der Welt so großer materieller
Opfer wert ist?

Fichte hat die deutsche Eigenart in seiner siebenten Rede ungefähr so ver¬
deutlicht: das innerste Wesen des Auslandes sei der Glaube an eine feste, un¬
veränderliche Form, innerhalb derer sich das Leben bewege, ohne sie zersprengen
zu können. Die deutsche Philosophie sei durch die bloße Erscheinung zum Kern
vorgedrungen, zum ewigen, göttlichen Gedanken, durch den unser Leben erst
seinen Sinn erhält. So sehe das Ausland in der Staatskunst auch nur das
Vermögen, „alles Leben in der Gesellschaft zu einem großen und künstlichen
Räderwerk zusammenzufügen." Eine solche feste und tote Ordnung der Dinge
sei nicht das Ziel der deutschen Staatskunst. Die Sicherheit eines Staates
scheine ihr nicht so sehr in einer feststehenden Form zu beruhen, als in dem
Geist, der als ewig bewegliche Triebfeder das Leben der Gesellschaft ordnen
und fortbewegen soll. Die Geschichtsphilosophie des Auslandes glaube an ein
goldenes Zeitalter, an eine äußerste Grenze der Entwicklung, einen Kreislauf
der Geschichte. Nach der Anschauung des Deutschen aber „macht der eigent¬
liche und rechte Mensch die Geschichte selbst, nicht etwa nur wiederholend das
schon Dagewesene, sondern in die Zeit hineinschaffend das durchaus Neue."
Das Ausland kenne Freiheit nur als ein Schwanken zwischen mehreren un¬
abänderlichen Notwendigkeiten. Uns sei Freiheit Entschluß, Wille, unendliche
Verbesserlichkeit, ewiges Fortschreiten. Deutsch ist, wer das Nichtige entschieden
fallen läßt und aufmerksam hinhorcht, ob irgendwo der Fluß ursprünglichen
Lebens rauscht; in dem die Schöpferkraft des Neuen hervorbricht. „Was an
Geistigkeit und Freiheit dieser Geistigkeit glaubt und die ewige Fortbildung
dieser Geistigkeit durch Freiheit will, das . . . ist unseres Geschlechts; es gehört
uns an, es wird sich zu uns tun."

Das Haupthindernis bei der Erneuerung der deutschen Nation, gegen das
Fichte ankämpfte, war die Überschätzung des Fremden, d. h. des Napoleonischen
Staates, und die Ergebung in das unabänderlich scheinende Schicksal. Des¬
halb sucht er das Deutschtum gegen das ausländische (hauptsächlich romanische)
Wesen abzugrenzen und sein Selbstbewußtsein zu heben. Wir sind inzwischen
ein Nationalstaat geworden; unser Selbstbewußtsein ist mit unseren materiellen
Erfolgen gewachsen. Und doch brauchen wir nach wie vor einen sittlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/106>, abgerufen am 31.05.2024.