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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die Sparfrage vor, während und nach dem Kriege

fänglich erhoben wurden, richteten sich, soweit sie sachlicher Natur waren, im
Grunde genommen auch wohl weniger gegen den Gedanken des Sparzwanges
als solchen, als gegen die vorgesehene Art der Durchführung. Im übrigen
beruhten sie auf parteipolitischer Voreingenommenheit. Die günstigen praktischen
Erfahrungen, die man schon jetzt trotz seiner Neuheit mit dem Sparzwange,
namentlich im Bezirke des Oberkommandos in den Marken, gemacht hat, und
von denen am Schluß noch kurz zu sprechen sein wird, müssen auch die
Skeptiker und Gegner zu Freunden des Sparzwanges bekehren. Die mit dem
Sparzwange erzielten Erfolge müssen um so höher angeschlagen werden, als
die Sparfrage in der Tat recht wenig vorbereitet und durchdacht war, und die
Sparerlasse nur eine Gelegenheitsregelung darstellen. Wohl finden sich hier
und da in Fachzeitschriften und sonstigen Druckschriften verstreut Hinweise auf die
Bedeutung und Nützlichkeit des Sparzwanges, und zwar gewöhnlich in Ver¬
bindung mit irgendwelchen anderen Reformvorschlägen. Von den wenigen
zünftigen Nationalökonomen, die die Sparfrage berührt haben, scheint ihr
günstig gegenüber zu stehen Professor Dr. Georg Schanz in Würzburg. Er
entwickelte in mehreren größeren Veröffentlichungen den Plan, alle nickt ander¬
weit gegen Arbeitslosigkeit versicherten Arbeiter jeglichen Alters gesetzlich zu
zwingen, 100 Mark durch Lohneinbehaltung nach und nach anzusparen, damit
sie für den Fall der Arbeitslosigkeit verwendet werden könnten. Der Alt'
meister der deutschen Nationalökonmie, Gustav Schmoller, steht dieser Art des
Sparzwanges sehr sympathisch gegenüber, ja er scheint nach einer Bemerkung
im zweiten Band seines "Grundrisses der allgemeinen Volkswirtschaftslehre"
(1904, Seite 251) in dem Sparzwang, speziell für Jugendliche, ein Produkt
der kommenden Entwicklung zu sehen. In dem Abschnitt über Sparkassen¬
wesen spricht er von dem Abholungsdienst, dessen erziehliche Wirkung er
rühmt, und von dem er dann weiterhin sagt: "der Abholungsdienst bereitet
den Sparzwang vor, den bis jetzt einzelne Fabriken für jugendliche Arbeiter
eingeführt haben". Nur Lassalle, der aus der Theorie des sogenannten
ehernen Lohngesetzes folgert, daß der Sparsinn dem wirtschaftlichen Aufstieg
des Proletariats nicht förderlich sei, steht der Sparfrage ablehnend gegenüber.
Seine Theorie ist indessen durch die praktischen Erfahrungen widerlegt. Ein
Knlturaufstieg unserer handarbeitenden Bevölkerung ist unstreitig.

Eingehende Untersuchungen über die Sparfrage als solche und nähere Vor¬
schläge über ihre praktische Durchführung waren jedoch vor dem Kriege kaum
gemacht. Der erste, der sich meines Wissens tiefergehend mit der Sparfrage
befaßte, war der inzwischen gefallene Landrat des Unter-Westerwald-Kreises.
Freiherr Marschall von Bieberstein. Er sucht in seiner Abhandlung: "Die Spar¬
pflicht für Minderjährige und die Wohnungsfrage" (Fischer-Jena, 1914) die
Wohnungsfrage mit Hilfe des Sparzwanges in der Weise zu lösen, daß der
Sparer Geschäftsanteile einer gemischt wirtschaftlichen Wohnungsnnternehmung
erwirbt. Die gleichen Ziele verfolgt der frühere Landesrat. jetzige Hochschul-


Die Sparfrage vor, während und nach dem Kriege

fänglich erhoben wurden, richteten sich, soweit sie sachlicher Natur waren, im
Grunde genommen auch wohl weniger gegen den Gedanken des Sparzwanges
als solchen, als gegen die vorgesehene Art der Durchführung. Im übrigen
beruhten sie auf parteipolitischer Voreingenommenheit. Die günstigen praktischen
Erfahrungen, die man schon jetzt trotz seiner Neuheit mit dem Sparzwange,
namentlich im Bezirke des Oberkommandos in den Marken, gemacht hat, und
von denen am Schluß noch kurz zu sprechen sein wird, müssen auch die
Skeptiker und Gegner zu Freunden des Sparzwanges bekehren. Die mit dem
Sparzwange erzielten Erfolge müssen um so höher angeschlagen werden, als
die Sparfrage in der Tat recht wenig vorbereitet und durchdacht war, und die
Sparerlasse nur eine Gelegenheitsregelung darstellen. Wohl finden sich hier
und da in Fachzeitschriften und sonstigen Druckschriften verstreut Hinweise auf die
Bedeutung und Nützlichkeit des Sparzwanges, und zwar gewöhnlich in Ver¬
bindung mit irgendwelchen anderen Reformvorschlägen. Von den wenigen
zünftigen Nationalökonomen, die die Sparfrage berührt haben, scheint ihr
günstig gegenüber zu stehen Professor Dr. Georg Schanz in Würzburg. Er
entwickelte in mehreren größeren Veröffentlichungen den Plan, alle nickt ander¬
weit gegen Arbeitslosigkeit versicherten Arbeiter jeglichen Alters gesetzlich zu
zwingen, 100 Mark durch Lohneinbehaltung nach und nach anzusparen, damit
sie für den Fall der Arbeitslosigkeit verwendet werden könnten. Der Alt'
meister der deutschen Nationalökonmie, Gustav Schmoller, steht dieser Art des
Sparzwanges sehr sympathisch gegenüber, ja er scheint nach einer Bemerkung
im zweiten Band seines „Grundrisses der allgemeinen Volkswirtschaftslehre"
(1904, Seite 251) in dem Sparzwang, speziell für Jugendliche, ein Produkt
der kommenden Entwicklung zu sehen. In dem Abschnitt über Sparkassen¬
wesen spricht er von dem Abholungsdienst, dessen erziehliche Wirkung er
rühmt, und von dem er dann weiterhin sagt: „der Abholungsdienst bereitet
den Sparzwang vor, den bis jetzt einzelne Fabriken für jugendliche Arbeiter
eingeführt haben". Nur Lassalle, der aus der Theorie des sogenannten
ehernen Lohngesetzes folgert, daß der Sparsinn dem wirtschaftlichen Aufstieg
des Proletariats nicht förderlich sei, steht der Sparfrage ablehnend gegenüber.
Seine Theorie ist indessen durch die praktischen Erfahrungen widerlegt. Ein
Knlturaufstieg unserer handarbeitenden Bevölkerung ist unstreitig.

Eingehende Untersuchungen über die Sparfrage als solche und nähere Vor¬
schläge über ihre praktische Durchführung waren jedoch vor dem Kriege kaum
gemacht. Der erste, der sich meines Wissens tiefergehend mit der Sparfrage
befaßte, war der inzwischen gefallene Landrat des Unter-Westerwald-Kreises.
Freiherr Marschall von Bieberstein. Er sucht in seiner Abhandlung: „Die Spar¬
pflicht für Minderjährige und die Wohnungsfrage" (Fischer-Jena, 1914) die
Wohnungsfrage mit Hilfe des Sparzwanges in der Weise zu lösen, daß der
Sparer Geschäftsanteile einer gemischt wirtschaftlichen Wohnungsnnternehmung
erwirbt. Die gleichen Ziele verfolgt der frühere Landesrat. jetzige Hochschul-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/151>, abgerufen am 30.05.2024.