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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die Zvarfrage vor, während und nach dem Kriege

eigener Erfahrung beurteilen können. nötigenfalls muß allgemeine Auskunfs--
pfundt der Behörden, Arbeitgeber und sonstigen geeigneten Personen statuiert
werden. Wirklich segensreich kann ein solcher Ausschuß aber nur wirken, wenn
er mit Leuten besetzt wird, die das Vertrauen der Sparer besitzen. Männer
und Frauen aus dem Volke, welche in engster Fühlung mit den in Betracht
kommenden Bevölkerungskreisen stehen, und die zu ihrer Beurteilung gelangenden
Fragen aus eigener praktischer Erfahrung zu entscheiden vermögen. Notwendig
ist ferner, daß für genügende Vertretung der Sparer innerhalb des Ausschusses
gesorgt wird, sei es, daß sie selbst Sitz und Stimme darin erhalten, sei es,
daß sie die Mitglieder oder einen Teil derselben wählen. Der Grad des
Erfolges des Volkssparzwanges liegt in der Art, wie der Ausschuß das Programm
durchführt. Die Schwierigkeit seiner Aufgabe besteht in der Umschiffung zweier
Klippen. Einerseits muß jeder angehalten werden, soviel wie irgend möglich
zu sparen; andererseits muß aber jedermann soviel belassen werden, als zum
geordneten Lebensunterhalt notwendig ist. Der Schwerpunkt der ganzen Ein¬
richtung liegt also in der richtigen Einteilung der Bezirke, peinlichster Auswahl
der Ausschußmitglieder, und Aufstellung einer zweckmäßigen Geschäftsordnung
des Ausschusses. Als ein praktisches Beispiel für die Zusammensetzung derartiger
Ausschüsse erwähnt von Biederstem a. a. O. S. 28. das Verfahren der Wehr¬
ordnung über die Befreiung von Militärpflichtiger wegen notwendiger Unter¬
haltspflichten (Z 32 der W.-O.), gegen deren Entscheidungen zufolge einer
einfachen, unbürokratischen und selbstverständlichen Art Berufungen ungemein
felten eingelegt werden.

Die letzte, aber nicht unwichtigste Frage ist die, ob die Arbeiter denn
überhaupt sparen können. Ohne auf die Einzelheiten hier näher einzugehen,
möchte ich diese Frage ohne weiteres bejahen. Es läßt sich diese Behauptung
durch einen Vergleich zwischen der Steigerung der Arbeitslöhne und der Gegen¬
stände des täglichen Bedarfs während der letzten vier Jahrzehnte statistisch
beweisen. Ein solcher Vergleich ergibt namentlich, daß die Löhne entschieden
stärker angezogen haben als die Preise der Lebensunterhaltsgegenstände.
Damit steht im Einklang die Erscheinung zunehmender Verschwendung und
Vergnügungssucht. Große und kleine Unternehmungen der verschiedensten Art
machen glänzende Geschäfte auf Kosten der Unerfahrenheit ihrer Kunden.
Mancherlei Tingeltangel, Kinotheater, wüste Kneipen, Tanzetablisscments bieten
Vergnügungen, bei denen die Ausgaben der Besucher im umgekehrten Verhältnis
zum Genuß stehen, und trotz allem vermögen die Arbeiter und Angestellten
nicht unerhebliche Beiträge zu ihren Berufsorganisationen zu leisten. Durch
den Sparzwang brauchen keine wirklichen Lebensfreuden, keine berechtigten Be¬
rufsbestrebungen verkümmert zu werden; es kommt nur darauf an, sie in ver¬
nünftige Bahnen zu leiten.

Das Ergebnis der bisherigen Betrachtung ist also kurz zusammengefaßt
folgendes: "Es wird nicht gespart, es kann gespart werden, es muß gespart


Die Zvarfrage vor, während und nach dem Kriege

eigener Erfahrung beurteilen können. nötigenfalls muß allgemeine Auskunfs--
pfundt der Behörden, Arbeitgeber und sonstigen geeigneten Personen statuiert
werden. Wirklich segensreich kann ein solcher Ausschuß aber nur wirken, wenn
er mit Leuten besetzt wird, die das Vertrauen der Sparer besitzen. Männer
und Frauen aus dem Volke, welche in engster Fühlung mit den in Betracht
kommenden Bevölkerungskreisen stehen, und die zu ihrer Beurteilung gelangenden
Fragen aus eigener praktischer Erfahrung zu entscheiden vermögen. Notwendig
ist ferner, daß für genügende Vertretung der Sparer innerhalb des Ausschusses
gesorgt wird, sei es, daß sie selbst Sitz und Stimme darin erhalten, sei es,
daß sie die Mitglieder oder einen Teil derselben wählen. Der Grad des
Erfolges des Volkssparzwanges liegt in der Art, wie der Ausschuß das Programm
durchführt. Die Schwierigkeit seiner Aufgabe besteht in der Umschiffung zweier
Klippen. Einerseits muß jeder angehalten werden, soviel wie irgend möglich
zu sparen; andererseits muß aber jedermann soviel belassen werden, als zum
geordneten Lebensunterhalt notwendig ist. Der Schwerpunkt der ganzen Ein¬
richtung liegt also in der richtigen Einteilung der Bezirke, peinlichster Auswahl
der Ausschußmitglieder, und Aufstellung einer zweckmäßigen Geschäftsordnung
des Ausschusses. Als ein praktisches Beispiel für die Zusammensetzung derartiger
Ausschüsse erwähnt von Biederstem a. a. O. S. 28. das Verfahren der Wehr¬
ordnung über die Befreiung von Militärpflichtiger wegen notwendiger Unter¬
haltspflichten (Z 32 der W.-O.), gegen deren Entscheidungen zufolge einer
einfachen, unbürokratischen und selbstverständlichen Art Berufungen ungemein
felten eingelegt werden.

Die letzte, aber nicht unwichtigste Frage ist die, ob die Arbeiter denn
überhaupt sparen können. Ohne auf die Einzelheiten hier näher einzugehen,
möchte ich diese Frage ohne weiteres bejahen. Es läßt sich diese Behauptung
durch einen Vergleich zwischen der Steigerung der Arbeitslöhne und der Gegen¬
stände des täglichen Bedarfs während der letzten vier Jahrzehnte statistisch
beweisen. Ein solcher Vergleich ergibt namentlich, daß die Löhne entschieden
stärker angezogen haben als die Preise der Lebensunterhaltsgegenstände.
Damit steht im Einklang die Erscheinung zunehmender Verschwendung und
Vergnügungssucht. Große und kleine Unternehmungen der verschiedensten Art
machen glänzende Geschäfte auf Kosten der Unerfahrenheit ihrer Kunden.
Mancherlei Tingeltangel, Kinotheater, wüste Kneipen, Tanzetablisscments bieten
Vergnügungen, bei denen die Ausgaben der Besucher im umgekehrten Verhältnis
zum Genuß stehen, und trotz allem vermögen die Arbeiter und Angestellten
nicht unerhebliche Beiträge zu ihren Berufsorganisationen zu leisten. Durch
den Sparzwang brauchen keine wirklichen Lebensfreuden, keine berechtigten Be¬
rufsbestrebungen verkümmert zu werden; es kommt nur darauf an, sie in ver¬
nünftige Bahnen zu leiten.

Das Ergebnis der bisherigen Betrachtung ist also kurz zusammengefaßt
folgendes: „Es wird nicht gespart, es kann gespart werden, es muß gespart


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/160>, abgerufen am 28.05.2024.