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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die Sparfrage vor, während und nach dem Kriege

einen Beitrag verlangt, der denjenigen der Invaliden- oder Angestellten"
Versicherung entspricht, berechnet a. a. O. ein Gesamtergebnis von 131 Millionen
Mark jährlich. Diese Zahlen sind zwar nur annähernd, aber recht vorsichtig
berechnet. Bei Einführung eines allgemeinen Sparzwanges würde also auf
mehrere hundert Millionen Mark jährlich zu rechnen sein. Was das bedeutet, sieht
man, wenn man daran denkt, daß der Jahreskapitalbedarf für den Bau aller
notwendigen Kleinwohnungen auf 800 Millionen Mark geschützt wird.*) Dem¬
nach wäre die leidige, aber hochbedeutsame Frage der zweiten Hypothek durch
die Einführung des Sparzwanges mit großer Wahrscheinlichkeit zu lösen.

Während des Krieges kommt es nun zunächst darauf an, die General¬
kommandos für den Erlaß von Sparanweisungen zu gewinnen. Und zwar ist
es dringend wünschenswert, daß die Erlasse möglichst in allen Korpsbezirken
nach einheitlichen Gesichtspunkten eingeführt werden. Andernfalls ist ein Abfluten
von Arbeitern in solche Bezirke zu befürchten, in denen keine oder eine weniger
lästig empfundene Sparpflicht besteht. Das gilt namentlich für diejenigen Korps¬
bezirke, wo noch kein festgewurzelter, alter Arbeiterstamm zu finden ist. Eine
einheitliche Einführung des Sparzwanges vorerst durch die Generalkommandos,
ist umsomehr zu begrüßen, als sie es ermöglicht, Erfahrungen zu sammeln und
überzuleiten zu dem dringend erstrebenswerten Ziel des allgemeinen Sparzwnnges.

Erfreulicherweise ermutigen die bisherigen, überaus günstigen Erfolge des
Sparzwanges zu der zuversichtlichen Hoffnung, daß nicht nur alle Korpsbezirke
mit gleichen Sparerlassen baldigst gesegnet werden, sondern daß der Gedanke
des Sparzwanges in geläuterter Art als bleibender Wert mit in die Friedens¬
zeit hinübergenommen wird.

Naturgemäß waren die anfänglich bei der praktischen Durchführung des
Sparzwanges sich einstellenden Schwierigkeiten nicht gerade geeignet, diese neue,
nicht besonders eingehend geregelte Maßnahme im günstigsten Lichte erscheinen
zu lassen. Zählten doch die Stellen, die vom Magistrat Berlin mit der Durch¬
führung des Sparerlasses des Oberkommandos in den Marken innerhalb Groß-
Berlins betraut wurden, in ihren Bezirken nicht weniger als 90000 spar-
pflichüge jugendliche Arbeiter. In den ersten Wochen wurden zahlreiche Anträge
auf Auszahlung aus den verschiedenen Sparguthaben gestellt, namentlich von
der Zeit an, wo der Sparzwang im Reichstage und in sonstigen öffentlichen
Versammlungen, in Zeit- und Tagesschriften von einigen Seiten ungünstig
kritisiert wurde. Trotzdem waren Anfang Juni 1916 nur etwa 11 Prozent
der insgesamt eingezahlten Sparguthaben zurückgezahlt. Zur Vereinfachung des
Geschäftsganges wurde von den beteiligten ausführenden Stellen angeregt, die
Einzahlung der Sparbeträge durch die Arbeitgeber nicht wöchentlich, sondern erst noch
einem längeren Zeitraum? vorzuschreiben; ferner die Anträge auf Auszahlung aus
den Sparguthaben bei gleichbleibenden Verhältnissen des fparpflichtigen Arbeiters



*) Marschall von Biederstem a. a. O. S. 46.
Die Sparfrage vor, während und nach dem Kriege

einen Beitrag verlangt, der denjenigen der Invaliden- oder Angestellten»
Versicherung entspricht, berechnet a. a. O. ein Gesamtergebnis von 131 Millionen
Mark jährlich. Diese Zahlen sind zwar nur annähernd, aber recht vorsichtig
berechnet. Bei Einführung eines allgemeinen Sparzwanges würde also auf
mehrere hundert Millionen Mark jährlich zu rechnen sein. Was das bedeutet, sieht
man, wenn man daran denkt, daß der Jahreskapitalbedarf für den Bau aller
notwendigen Kleinwohnungen auf 800 Millionen Mark geschützt wird.*) Dem¬
nach wäre die leidige, aber hochbedeutsame Frage der zweiten Hypothek durch
die Einführung des Sparzwanges mit großer Wahrscheinlichkeit zu lösen.

Während des Krieges kommt es nun zunächst darauf an, die General¬
kommandos für den Erlaß von Sparanweisungen zu gewinnen. Und zwar ist
es dringend wünschenswert, daß die Erlasse möglichst in allen Korpsbezirken
nach einheitlichen Gesichtspunkten eingeführt werden. Andernfalls ist ein Abfluten
von Arbeitern in solche Bezirke zu befürchten, in denen keine oder eine weniger
lästig empfundene Sparpflicht besteht. Das gilt namentlich für diejenigen Korps¬
bezirke, wo noch kein festgewurzelter, alter Arbeiterstamm zu finden ist. Eine
einheitliche Einführung des Sparzwanges vorerst durch die Generalkommandos,
ist umsomehr zu begrüßen, als sie es ermöglicht, Erfahrungen zu sammeln und
überzuleiten zu dem dringend erstrebenswerten Ziel des allgemeinen Sparzwnnges.

Erfreulicherweise ermutigen die bisherigen, überaus günstigen Erfolge des
Sparzwanges zu der zuversichtlichen Hoffnung, daß nicht nur alle Korpsbezirke
mit gleichen Sparerlassen baldigst gesegnet werden, sondern daß der Gedanke
des Sparzwanges in geläuterter Art als bleibender Wert mit in die Friedens¬
zeit hinübergenommen wird.

Naturgemäß waren die anfänglich bei der praktischen Durchführung des
Sparzwanges sich einstellenden Schwierigkeiten nicht gerade geeignet, diese neue,
nicht besonders eingehend geregelte Maßnahme im günstigsten Lichte erscheinen
zu lassen. Zählten doch die Stellen, die vom Magistrat Berlin mit der Durch¬
führung des Sparerlasses des Oberkommandos in den Marken innerhalb Groß-
Berlins betraut wurden, in ihren Bezirken nicht weniger als 90000 spar-
pflichüge jugendliche Arbeiter. In den ersten Wochen wurden zahlreiche Anträge
auf Auszahlung aus den verschiedenen Sparguthaben gestellt, namentlich von
der Zeit an, wo der Sparzwang im Reichstage und in sonstigen öffentlichen
Versammlungen, in Zeit- und Tagesschriften von einigen Seiten ungünstig
kritisiert wurde. Trotzdem waren Anfang Juni 1916 nur etwa 11 Prozent
der insgesamt eingezahlten Sparguthaben zurückgezahlt. Zur Vereinfachung des
Geschäftsganges wurde von den beteiligten ausführenden Stellen angeregt, die
Einzahlung der Sparbeträge durch die Arbeitgeber nicht wöchentlich, sondern erst noch
einem längeren Zeitraum? vorzuschreiben; ferner die Anträge auf Auszahlung aus
den Sparguthaben bei gleichbleibenden Verhältnissen des fparpflichtigen Arbeiters



*) Marschall von Biederstem a. a. O. S. 46.
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[0162] Die Sparfrage vor, während und nach dem Kriege einen Beitrag verlangt, der denjenigen der Invaliden- oder Angestellten» Versicherung entspricht, berechnet a. a. O. ein Gesamtergebnis von 131 Millionen Mark jährlich. Diese Zahlen sind zwar nur annähernd, aber recht vorsichtig berechnet. Bei Einführung eines allgemeinen Sparzwanges würde also auf mehrere hundert Millionen Mark jährlich zu rechnen sein. Was das bedeutet, sieht man, wenn man daran denkt, daß der Jahreskapitalbedarf für den Bau aller notwendigen Kleinwohnungen auf 800 Millionen Mark geschützt wird.*) Dem¬ nach wäre die leidige, aber hochbedeutsame Frage der zweiten Hypothek durch die Einführung des Sparzwanges mit großer Wahrscheinlichkeit zu lösen. Während des Krieges kommt es nun zunächst darauf an, die General¬ kommandos für den Erlaß von Sparanweisungen zu gewinnen. Und zwar ist es dringend wünschenswert, daß die Erlasse möglichst in allen Korpsbezirken nach einheitlichen Gesichtspunkten eingeführt werden. Andernfalls ist ein Abfluten von Arbeitern in solche Bezirke zu befürchten, in denen keine oder eine weniger lästig empfundene Sparpflicht besteht. Das gilt namentlich für diejenigen Korps¬ bezirke, wo noch kein festgewurzelter, alter Arbeiterstamm zu finden ist. Eine einheitliche Einführung des Sparzwanges vorerst durch die Generalkommandos, ist umsomehr zu begrüßen, als sie es ermöglicht, Erfahrungen zu sammeln und überzuleiten zu dem dringend erstrebenswerten Ziel des allgemeinen Sparzwnnges. Erfreulicherweise ermutigen die bisherigen, überaus günstigen Erfolge des Sparzwanges zu der zuversichtlichen Hoffnung, daß nicht nur alle Korpsbezirke mit gleichen Sparerlassen baldigst gesegnet werden, sondern daß der Gedanke des Sparzwanges in geläuterter Art als bleibender Wert mit in die Friedens¬ zeit hinübergenommen wird. Naturgemäß waren die anfänglich bei der praktischen Durchführung des Sparzwanges sich einstellenden Schwierigkeiten nicht gerade geeignet, diese neue, nicht besonders eingehend geregelte Maßnahme im günstigsten Lichte erscheinen zu lassen. Zählten doch die Stellen, die vom Magistrat Berlin mit der Durch¬ führung des Sparerlasses des Oberkommandos in den Marken innerhalb Groß- Berlins betraut wurden, in ihren Bezirken nicht weniger als 90000 spar- pflichüge jugendliche Arbeiter. In den ersten Wochen wurden zahlreiche Anträge auf Auszahlung aus den verschiedenen Sparguthaben gestellt, namentlich von der Zeit an, wo der Sparzwang im Reichstage und in sonstigen öffentlichen Versammlungen, in Zeit- und Tagesschriften von einigen Seiten ungünstig kritisiert wurde. Trotzdem waren Anfang Juni 1916 nur etwa 11 Prozent der insgesamt eingezahlten Sparguthaben zurückgezahlt. Zur Vereinfachung des Geschäftsganges wurde von den beteiligten ausführenden Stellen angeregt, die Einzahlung der Sparbeträge durch die Arbeitgeber nicht wöchentlich, sondern erst noch einem längeren Zeitraum? vorzuschreiben; ferner die Anträge auf Auszahlung aus den Sparguthaben bei gleichbleibenden Verhältnissen des fparpflichtigen Arbeiters *) Marschall von Biederstem a. a. O. S. 46.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/162>, abgerufen am 29.05.2024.