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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Das polnische Problem

die Hegemonie über die anderen russischen Teilfürsten erworben hatten, mußten,
um ihren Staat lebensfähig nach innen und außen zu erhalten, Verbindungen
mit dem Westen anstreben. Der lag ihnen näher als die Kulturgebiete Chinas,
und alte Handelsstraßen führten zu ihm über die heutigen Ostseeprovinzen durch
Litauen und Rotrußland und Polen. Im Osten war jeder Vorstoß damals
ein Stoß ins Leere. Die Kraft der Moskowiter reichte nicht hin, um im
Osten bis an die gesicherten Marken des nächsten kultivierten Staates zu ge¬
langen. Die Vorstöße kühner Kosakenführer führten bis in die Steppen
Weststbiriens, nicht weiter. Im Westen war es anders. Da ergaben sich
solche Grenzen vor den Toren. Polens Grenzen waren wohl sichtbar genug,
um den jugendkräftigen Nachbarn zu reizen, doch keine Bollwerke gegen
energisches Drängen. Poros gaben sie zunächst dem Druck nach und gestatteten
russischen Einflüssen Eintritt in die polnischen Lande. Die nationale Rück-
ständigkeit und der wirtschaftliche Egoismus des polnischen Adels, wurden dann
bald auch Kanäle, auf denen der russische politische Einfluß über die Ukraina
und später durch Litauen sich tief nach Polen hinein e'mfraß, schließlich so weit,
daß der Nachbar im Westen, der Kurfürst von Brandenburg und König von
Preußen, diese Einflüsse politisch zu empfinden begann und somit beunruhigt
werden mußte. Polens staatliche Selbständigkeit war tatsächlich nur eine schein¬
bare, eine formale; es regierten die Agenten Katharinas der Zweiten von
Nußland. Das Bedürfnis seine Grenzen im Osten abzurunden, wirkte auf
Friedrich den Großen in der gleichen Richtung. In dem heimlichen preußisch¬
russischen Kampf um Polen, der sich aus diesen Verhältnissen entwickelte, ergriff
Maria Theresia für die Polen Partei dnrch Unterstützung der polnischen Kon¬
föderierten, die gegen Rußland Stellung nahmen, und war schließlich bereit in
Polen einzurücken, wenn nicht Josef der Zweite dies unter dem Einfluß
Friedrichs des Großen vereitelt hätte. Gleichzeitig waren Frankreichs und der
Türkei Interessen derart, daß beide Reiche ihren Vorteil darin sahen, Polen zu
unterstützen, eine Verbindung, die im neunzehnten Jahrhundert Adam Mickiewicz'
politische Auffassungen stark bestimmte und heute auf das Denken der Polen
von nicht unbeträchtlichen Einfluß ist. Friedrich sah den günstigsten Ausweg aus
den polnischen Wirren für Preußen in der Teilung Polens, mochte aber öffentlich
den ersten Schritt dazu nicht tun, sondern überließ dies Josef dem Zweiten, der
1769 die Teilungen einleitete durch Besetzung des Zipps mit Saatz und
Neumarks.

Somit war im Grunde das polnische Problem im achtzehnten Jahr¬
hundert eine russisch-preußische Angelegenheit, belastet durch den
geringeren oder größeren Widerstand, den das hinsiechende polnische
Staatswesen, gestützt von Österreich, Frankreich und der Türkei den
Expansionsbestrebungen Rußlands entgegenstellte.




Das polnische Problem

die Hegemonie über die anderen russischen Teilfürsten erworben hatten, mußten,
um ihren Staat lebensfähig nach innen und außen zu erhalten, Verbindungen
mit dem Westen anstreben. Der lag ihnen näher als die Kulturgebiete Chinas,
und alte Handelsstraßen führten zu ihm über die heutigen Ostseeprovinzen durch
Litauen und Rotrußland und Polen. Im Osten war jeder Vorstoß damals
ein Stoß ins Leere. Die Kraft der Moskowiter reichte nicht hin, um im
Osten bis an die gesicherten Marken des nächsten kultivierten Staates zu ge¬
langen. Die Vorstöße kühner Kosakenführer führten bis in die Steppen
Weststbiriens, nicht weiter. Im Westen war es anders. Da ergaben sich
solche Grenzen vor den Toren. Polens Grenzen waren wohl sichtbar genug,
um den jugendkräftigen Nachbarn zu reizen, doch keine Bollwerke gegen
energisches Drängen. Poros gaben sie zunächst dem Druck nach und gestatteten
russischen Einflüssen Eintritt in die polnischen Lande. Die nationale Rück-
ständigkeit und der wirtschaftliche Egoismus des polnischen Adels, wurden dann
bald auch Kanäle, auf denen der russische politische Einfluß über die Ukraina
und später durch Litauen sich tief nach Polen hinein e'mfraß, schließlich so weit,
daß der Nachbar im Westen, der Kurfürst von Brandenburg und König von
Preußen, diese Einflüsse politisch zu empfinden begann und somit beunruhigt
werden mußte. Polens staatliche Selbständigkeit war tatsächlich nur eine schein¬
bare, eine formale; es regierten die Agenten Katharinas der Zweiten von
Nußland. Das Bedürfnis seine Grenzen im Osten abzurunden, wirkte auf
Friedrich den Großen in der gleichen Richtung. In dem heimlichen preußisch¬
russischen Kampf um Polen, der sich aus diesen Verhältnissen entwickelte, ergriff
Maria Theresia für die Polen Partei dnrch Unterstützung der polnischen Kon¬
föderierten, die gegen Rußland Stellung nahmen, und war schließlich bereit in
Polen einzurücken, wenn nicht Josef der Zweite dies unter dem Einfluß
Friedrichs des Großen vereitelt hätte. Gleichzeitig waren Frankreichs und der
Türkei Interessen derart, daß beide Reiche ihren Vorteil darin sahen, Polen zu
unterstützen, eine Verbindung, die im neunzehnten Jahrhundert Adam Mickiewicz'
politische Auffassungen stark bestimmte und heute auf das Denken der Polen
von nicht unbeträchtlichen Einfluß ist. Friedrich sah den günstigsten Ausweg aus
den polnischen Wirren für Preußen in der Teilung Polens, mochte aber öffentlich
den ersten Schritt dazu nicht tun, sondern überließ dies Josef dem Zweiten, der
1769 die Teilungen einleitete durch Besetzung des Zipps mit Saatz und
Neumarks.

Somit war im Grunde das polnische Problem im achtzehnten Jahr¬
hundert eine russisch-preußische Angelegenheit, belastet durch den
geringeren oder größeren Widerstand, den das hinsiechende polnische
Staatswesen, gestützt von Österreich, Frankreich und der Türkei den
Expansionsbestrebungen Rußlands entgegenstellte.




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[0208] Das polnische Problem die Hegemonie über die anderen russischen Teilfürsten erworben hatten, mußten, um ihren Staat lebensfähig nach innen und außen zu erhalten, Verbindungen mit dem Westen anstreben. Der lag ihnen näher als die Kulturgebiete Chinas, und alte Handelsstraßen führten zu ihm über die heutigen Ostseeprovinzen durch Litauen und Rotrußland und Polen. Im Osten war jeder Vorstoß damals ein Stoß ins Leere. Die Kraft der Moskowiter reichte nicht hin, um im Osten bis an die gesicherten Marken des nächsten kultivierten Staates zu ge¬ langen. Die Vorstöße kühner Kosakenführer führten bis in die Steppen Weststbiriens, nicht weiter. Im Westen war es anders. Da ergaben sich solche Grenzen vor den Toren. Polens Grenzen waren wohl sichtbar genug, um den jugendkräftigen Nachbarn zu reizen, doch keine Bollwerke gegen energisches Drängen. Poros gaben sie zunächst dem Druck nach und gestatteten russischen Einflüssen Eintritt in die polnischen Lande. Die nationale Rück- ständigkeit und der wirtschaftliche Egoismus des polnischen Adels, wurden dann bald auch Kanäle, auf denen der russische politische Einfluß über die Ukraina und später durch Litauen sich tief nach Polen hinein e'mfraß, schließlich so weit, daß der Nachbar im Westen, der Kurfürst von Brandenburg und König von Preußen, diese Einflüsse politisch zu empfinden begann und somit beunruhigt werden mußte. Polens staatliche Selbständigkeit war tatsächlich nur eine schein¬ bare, eine formale; es regierten die Agenten Katharinas der Zweiten von Nußland. Das Bedürfnis seine Grenzen im Osten abzurunden, wirkte auf Friedrich den Großen in der gleichen Richtung. In dem heimlichen preußisch¬ russischen Kampf um Polen, der sich aus diesen Verhältnissen entwickelte, ergriff Maria Theresia für die Polen Partei dnrch Unterstützung der polnischen Kon¬ föderierten, die gegen Rußland Stellung nahmen, und war schließlich bereit in Polen einzurücken, wenn nicht Josef der Zweite dies unter dem Einfluß Friedrichs des Großen vereitelt hätte. Gleichzeitig waren Frankreichs und der Türkei Interessen derart, daß beide Reiche ihren Vorteil darin sahen, Polen zu unterstützen, eine Verbindung, die im neunzehnten Jahrhundert Adam Mickiewicz' politische Auffassungen stark bestimmte und heute auf das Denken der Polen von nicht unbeträchtlichen Einfluß ist. Friedrich sah den günstigsten Ausweg aus den polnischen Wirren für Preußen in der Teilung Polens, mochte aber öffentlich den ersten Schritt dazu nicht tun, sondern überließ dies Josef dem Zweiten, der 1769 die Teilungen einleitete durch Besetzung des Zipps mit Saatz und Neumarks. Somit war im Grunde das polnische Problem im achtzehnten Jahr¬ hundert eine russisch-preußische Angelegenheit, belastet durch den geringeren oder größeren Widerstand, den das hinsiechende polnische Staatswesen, gestützt von Österreich, Frankreich und der Türkei den Expansionsbestrebungen Rußlands entgegenstellte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/208>, abgerufen am 30.05.2024.