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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort

Rechte das durch Treuwort und Handgelübde vollzogene Haftungsgeschäft, durch
das jemand für den Fall der Nichterfüllung eigner oder fremder Schuld seine
Person dem Zugriffe des Gläubigers unterwarf. Gierke weist nach, daß das
Treugelübde im ganzen Mittelalter überall in Deutschland und in anderen von
germanischer Rechtsauffassung beeinflußten Ländern in lebendigster Übung war,
daß es sich aber aus einem Haftungsgeschüft zur Haftungsverstärkung entwickelte,
endlich in Verbindung mit Ehrenklauseln, deren Hinzufügung im Mittelalter
aufkam, sich im Leben mit großer Zähigkeit erhielt und noch bis heute im
Versprechen unter Ehrenwort fortlebt. Das Treugelübde spielte nicht nur bei
den Vorgängen des bürgerlichen Rechtslebens, sondern auch im Fehde- und
Kriegsrecht unsrer Vorfahren eine große Rolle, sind doch Ehre und Treue die
Grundlagen der deutschen Heeresverfassung und Kriegsführung seit den Zeiten
des Lehnswesens und des Rittertums. Ganz besonders diente es seit alters
zur Sicherung der Verpflichtungen Kriegsgefangener aus ihren Vertrügen mit
dem Sieger, die sämtlich schon in alter Zeit weit verbreitet und auch
im deutschen Rechte schon zur Zeit des Sachsenspiegel als gültig anerkannt
waren.

Ehe der in den Fehden und Kriegen unserer Vorfahren Gefangene seine
endgültige Entlassung erreichte, pflegte der Überwinder ihm das Versprechen
der Urfehde abzunehmen. Die Urfehde war das alte, aus dem urgermanischen
Rechte überkommene, durch Treugelübde und Eid gesicherte Friedens- und Sühne¬
gelöbnis, das Versprechen, in Zukunft Frieden zu halten, nichts gegen den Sieger
zu unternehmen und die Unbilden der Gefangenschaft nicht zu rächen. Seit
den Zeiten der Merowinger sind solche Sühnegelübde in den Berichten der
Geschichtsschreiber über Fehden und Kriege unserer Vorfahren nachzuweisen;
seit dem dreizehnten Jahrhundert ist auch eine Fülle von Urkunden erhalten,
die uns den Wortlaut der Urfehdebedingungen, auch "Verschreibungen" genannt,
überliefern, da über die Verhandlungen Protokolle aufgenommen und oft noch
besondere Bestätigungen, Urfehdebriefe, ausgestellt zu werden pflegten.

Als eine Abspaltung der Urfehde kann man das Versprechen, nicht mehr
gegen den Sieger zu kämpfen, bezeichnen. Die Urfehde mit ihren altüberlieferten
Formeln war nur für die von alten germanischen Rechts- und Kriegsgewohn¬
heiten beherrschten Kampfessitten geschaffen, für die großen Kriege mit fremden
Völkern mußte eine kurze, allen verständliche Formel von höchster Bindungskraft
angewandt werden: das war der Eid oder das unter Verpfändung der Krieger-
und Mannesehre gegebene Wort, in Zukunft nicht die Waffen gegen den Sieger
zu tragen. Schon Prokop berichtet aus den Vandalen- und Gotenkriegen, daß
germanische Heerführer Kriegsgefangene gegen solches Versprechen entlassen haben.
Die Urfehde starb denn auch mit der ritterlichen Kampfesart Mitte des sech¬
zehnten Jahrhunderts aus, sie lebte fort in der Kriegsgeschichte der neueren Zeit
w dem Brauche der Entlassung Kriegsgefangener gegen das Versprechen, nicht
mehr gegen den Sieger zu kämpfen.


Die Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort

Rechte das durch Treuwort und Handgelübde vollzogene Haftungsgeschäft, durch
das jemand für den Fall der Nichterfüllung eigner oder fremder Schuld seine
Person dem Zugriffe des Gläubigers unterwarf. Gierke weist nach, daß das
Treugelübde im ganzen Mittelalter überall in Deutschland und in anderen von
germanischer Rechtsauffassung beeinflußten Ländern in lebendigster Übung war,
daß es sich aber aus einem Haftungsgeschüft zur Haftungsverstärkung entwickelte,
endlich in Verbindung mit Ehrenklauseln, deren Hinzufügung im Mittelalter
aufkam, sich im Leben mit großer Zähigkeit erhielt und noch bis heute im
Versprechen unter Ehrenwort fortlebt. Das Treugelübde spielte nicht nur bei
den Vorgängen des bürgerlichen Rechtslebens, sondern auch im Fehde- und
Kriegsrecht unsrer Vorfahren eine große Rolle, sind doch Ehre und Treue die
Grundlagen der deutschen Heeresverfassung und Kriegsführung seit den Zeiten
des Lehnswesens und des Rittertums. Ganz besonders diente es seit alters
zur Sicherung der Verpflichtungen Kriegsgefangener aus ihren Vertrügen mit
dem Sieger, die sämtlich schon in alter Zeit weit verbreitet und auch
im deutschen Rechte schon zur Zeit des Sachsenspiegel als gültig anerkannt
waren.

Ehe der in den Fehden und Kriegen unserer Vorfahren Gefangene seine
endgültige Entlassung erreichte, pflegte der Überwinder ihm das Versprechen
der Urfehde abzunehmen. Die Urfehde war das alte, aus dem urgermanischen
Rechte überkommene, durch Treugelübde und Eid gesicherte Friedens- und Sühne¬
gelöbnis, das Versprechen, in Zukunft Frieden zu halten, nichts gegen den Sieger
zu unternehmen und die Unbilden der Gefangenschaft nicht zu rächen. Seit
den Zeiten der Merowinger sind solche Sühnegelübde in den Berichten der
Geschichtsschreiber über Fehden und Kriege unserer Vorfahren nachzuweisen;
seit dem dreizehnten Jahrhundert ist auch eine Fülle von Urkunden erhalten,
die uns den Wortlaut der Urfehdebedingungen, auch „Verschreibungen" genannt,
überliefern, da über die Verhandlungen Protokolle aufgenommen und oft noch
besondere Bestätigungen, Urfehdebriefe, ausgestellt zu werden pflegten.

Als eine Abspaltung der Urfehde kann man das Versprechen, nicht mehr
gegen den Sieger zu kämpfen, bezeichnen. Die Urfehde mit ihren altüberlieferten
Formeln war nur für die von alten germanischen Rechts- und Kriegsgewohn¬
heiten beherrschten Kampfessitten geschaffen, für die großen Kriege mit fremden
Völkern mußte eine kurze, allen verständliche Formel von höchster Bindungskraft
angewandt werden: das war der Eid oder das unter Verpfändung der Krieger-
und Mannesehre gegebene Wort, in Zukunft nicht die Waffen gegen den Sieger
zu tragen. Schon Prokop berichtet aus den Vandalen- und Gotenkriegen, daß
germanische Heerführer Kriegsgefangene gegen solches Versprechen entlassen haben.
Die Urfehde starb denn auch mit der ritterlichen Kampfesart Mitte des sech¬
zehnten Jahrhunderts aus, sie lebte fort in der Kriegsgeschichte der neueren Zeit
w dem Brauche der Entlassung Kriegsgefangener gegen das Versprechen, nicht
mehr gegen den Sieger zu kämpfen.


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[0247] Die Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort Rechte das durch Treuwort und Handgelübde vollzogene Haftungsgeschäft, durch das jemand für den Fall der Nichterfüllung eigner oder fremder Schuld seine Person dem Zugriffe des Gläubigers unterwarf. Gierke weist nach, daß das Treugelübde im ganzen Mittelalter überall in Deutschland und in anderen von germanischer Rechtsauffassung beeinflußten Ländern in lebendigster Übung war, daß es sich aber aus einem Haftungsgeschüft zur Haftungsverstärkung entwickelte, endlich in Verbindung mit Ehrenklauseln, deren Hinzufügung im Mittelalter aufkam, sich im Leben mit großer Zähigkeit erhielt und noch bis heute im Versprechen unter Ehrenwort fortlebt. Das Treugelübde spielte nicht nur bei den Vorgängen des bürgerlichen Rechtslebens, sondern auch im Fehde- und Kriegsrecht unsrer Vorfahren eine große Rolle, sind doch Ehre und Treue die Grundlagen der deutschen Heeresverfassung und Kriegsführung seit den Zeiten des Lehnswesens und des Rittertums. Ganz besonders diente es seit alters zur Sicherung der Verpflichtungen Kriegsgefangener aus ihren Vertrügen mit dem Sieger, die sämtlich schon in alter Zeit weit verbreitet und auch im deutschen Rechte schon zur Zeit des Sachsenspiegel als gültig anerkannt waren. Ehe der in den Fehden und Kriegen unserer Vorfahren Gefangene seine endgültige Entlassung erreichte, pflegte der Überwinder ihm das Versprechen der Urfehde abzunehmen. Die Urfehde war das alte, aus dem urgermanischen Rechte überkommene, durch Treugelübde und Eid gesicherte Friedens- und Sühne¬ gelöbnis, das Versprechen, in Zukunft Frieden zu halten, nichts gegen den Sieger zu unternehmen und die Unbilden der Gefangenschaft nicht zu rächen. Seit den Zeiten der Merowinger sind solche Sühnegelübde in den Berichten der Geschichtsschreiber über Fehden und Kriege unserer Vorfahren nachzuweisen; seit dem dreizehnten Jahrhundert ist auch eine Fülle von Urkunden erhalten, die uns den Wortlaut der Urfehdebedingungen, auch „Verschreibungen" genannt, überliefern, da über die Verhandlungen Protokolle aufgenommen und oft noch besondere Bestätigungen, Urfehdebriefe, ausgestellt zu werden pflegten. Als eine Abspaltung der Urfehde kann man das Versprechen, nicht mehr gegen den Sieger zu kämpfen, bezeichnen. Die Urfehde mit ihren altüberlieferten Formeln war nur für die von alten germanischen Rechts- und Kriegsgewohn¬ heiten beherrschten Kampfessitten geschaffen, für die großen Kriege mit fremden Völkern mußte eine kurze, allen verständliche Formel von höchster Bindungskraft angewandt werden: das war der Eid oder das unter Verpfändung der Krieger- und Mannesehre gegebene Wort, in Zukunft nicht die Waffen gegen den Sieger zu tragen. Schon Prokop berichtet aus den Vandalen- und Gotenkriegen, daß germanische Heerführer Kriegsgefangene gegen solches Versprechen entlassen haben. Die Urfehde starb denn auch mit der ritterlichen Kampfesart Mitte des sech¬ zehnten Jahrhunderts aus, sie lebte fort in der Kriegsgeschichte der neueren Zeit w dem Brauche der Entlassung Kriegsgefangener gegen das Versprechen, nicht mehr gegen den Sieger zu kämpfen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/247>, abgerufen am 23.05.2024.