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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort

Ritters gegen Ehrenwort, einen breiten Raum ein. Auch die freie Bewegung
gegen Ehrenwort ging in die neuere Kriegsführung über; es setzte sich seit der
Verwischung der deutschen Militärsprache etwa zur Zeit des Dreißigjährigen
Krieges fort in dem Brauche des Erbittens und Gewährens von "Quartier"
und in dem Brauche der Gewährung freier Bewegung der Gefangenen auf
Parole, d. i. gegen das Ehrenwort, nicht zu entfliehen.

Die napoleonische Zeit brachte eine gänzliche Umwandlung der Kriegs¬
führung, Napoleon räumte mit dem Schlendrian der matten Art des achtzehnten
Jahrhunderts gründlich auf, aber in den erbitterten Kämpfen um das Dasei"
der Völker bildete das Fortbestehen des Brauches, Kriegsgefangene gegen Ehren¬
wort zu entlassen, einen ritterlichen, versöhnenden Einschlag. Das neunzehnte
Jahrhundert übernahm die endgültige Entlassung gegen das Ehrenwort, nicht
gegen den Sieger die Waffen zu tragen, sowie die freie -Bewegung Kriegs¬
gefangener gegen das Ehrenwort, nicht zu entfliehen. Napoleon wandte die
endgültige Entlassung gegen das Ehrenwort, nichts gegen sein Interesse zu
unternehmen, sogar auch bei politischen Gefangenen gelegentlich an.

Das Zeitalter der großen Volksheere erweiterte insofern sogar die An¬
wendung der Entlassung gegen Ehrenwort, als es auch den einfachen Soldaten
dieser Vergünstigung für fähig erklärte, während das achtzehnte Jahrhundert
sie nur den Offizieren zubilligte. Ja die neueste Kriegsgeschichte des neun-
zehnten Jahrhunderts kennt sogar einen Fall, in dem die Kriegsgefangenschaft
der Offiziere gefordert, die ehrenwörtliche Entlassung der Soldaten dagegen an¬
geboten wurde. Der Fall ereignete sich bei der Übergabe von Wei-hai-wei
im japanisch-chinesischen Kriege, wo Admiral Jto dem chinesischen Unterhändler
des Admirals Ting diese Bedingungen stellte. Ting zog es dann allerdings
vor, Wei-hai-wei bedingungslos zu übergeben. Die vorläufige Entlassung
gegen Ehrenwort hat dagegen weder im neunzehnten noch im zwanzigsten Jahr¬
hundert irgendwelche Bedeutung wieder erlangt.

Wohl in keinem Kriege des neunzehnten Jahrhunderts ist der Brauch,
Kriegsgefangene gegen Ehrenwort zu entlassen, so freigebig gehandhabt worden,
wie ini deutsch-französischen Kriege 1870/71 auf deutscher Seite. Schon im
Anfang des Krieges wurden viele französische Offiziere von den Deutschen ent¬
lassen gegen die ehrenwörtliche Versicherung, während der Dauer des Krieges
nicht mehr die Waffen gegen Deutschland zu tragen. Es stellte sich heraus,
daß diese Verpflichtung nicht umfassend genug war, denn viele französische
Offiziere fanden bei den Depots, beim Ausbilden von Soldaten usw. wieder
Anstellung zum Nachteil der deutschen Truppen. Man sah sich daher ge¬
zwungen, die Verpflichtungsformel dahin abzuändern, daß außerdem versprochen
werden mußte, "in nichts gegen das Interesse Deutschlands zu handeln", so
lautete denn die Verpflichtung, die bei der Kapitulation von Sedan im großen
Umfange angewandt wurde. Es ist bekannt, daß Moltke "Kriegsgefangenschaft
der ganzen Armee" verlangte, wogegen Wimpffen bat, man solle sie unter der


Die Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort

Ritters gegen Ehrenwort, einen breiten Raum ein. Auch die freie Bewegung
gegen Ehrenwort ging in die neuere Kriegsführung über; es setzte sich seit der
Verwischung der deutschen Militärsprache etwa zur Zeit des Dreißigjährigen
Krieges fort in dem Brauche des Erbittens und Gewährens von „Quartier"
und in dem Brauche der Gewährung freier Bewegung der Gefangenen auf
Parole, d. i. gegen das Ehrenwort, nicht zu entfliehen.

Die napoleonische Zeit brachte eine gänzliche Umwandlung der Kriegs¬
führung, Napoleon räumte mit dem Schlendrian der matten Art des achtzehnten
Jahrhunderts gründlich auf, aber in den erbitterten Kämpfen um das Dasei»
der Völker bildete das Fortbestehen des Brauches, Kriegsgefangene gegen Ehren¬
wort zu entlassen, einen ritterlichen, versöhnenden Einschlag. Das neunzehnte
Jahrhundert übernahm die endgültige Entlassung gegen das Ehrenwort, nicht
gegen den Sieger die Waffen zu tragen, sowie die freie -Bewegung Kriegs¬
gefangener gegen das Ehrenwort, nicht zu entfliehen. Napoleon wandte die
endgültige Entlassung gegen das Ehrenwort, nichts gegen sein Interesse zu
unternehmen, sogar auch bei politischen Gefangenen gelegentlich an.

Das Zeitalter der großen Volksheere erweiterte insofern sogar die An¬
wendung der Entlassung gegen Ehrenwort, als es auch den einfachen Soldaten
dieser Vergünstigung für fähig erklärte, während das achtzehnte Jahrhundert
sie nur den Offizieren zubilligte. Ja die neueste Kriegsgeschichte des neun-
zehnten Jahrhunderts kennt sogar einen Fall, in dem die Kriegsgefangenschaft
der Offiziere gefordert, die ehrenwörtliche Entlassung der Soldaten dagegen an¬
geboten wurde. Der Fall ereignete sich bei der Übergabe von Wei-hai-wei
im japanisch-chinesischen Kriege, wo Admiral Jto dem chinesischen Unterhändler
des Admirals Ting diese Bedingungen stellte. Ting zog es dann allerdings
vor, Wei-hai-wei bedingungslos zu übergeben. Die vorläufige Entlassung
gegen Ehrenwort hat dagegen weder im neunzehnten noch im zwanzigsten Jahr¬
hundert irgendwelche Bedeutung wieder erlangt.

Wohl in keinem Kriege des neunzehnten Jahrhunderts ist der Brauch,
Kriegsgefangene gegen Ehrenwort zu entlassen, so freigebig gehandhabt worden,
wie ini deutsch-französischen Kriege 1870/71 auf deutscher Seite. Schon im
Anfang des Krieges wurden viele französische Offiziere von den Deutschen ent¬
lassen gegen die ehrenwörtliche Versicherung, während der Dauer des Krieges
nicht mehr die Waffen gegen Deutschland zu tragen. Es stellte sich heraus,
daß diese Verpflichtung nicht umfassend genug war, denn viele französische
Offiziere fanden bei den Depots, beim Ausbilden von Soldaten usw. wieder
Anstellung zum Nachteil der deutschen Truppen. Man sah sich daher ge¬
zwungen, die Verpflichtungsformel dahin abzuändern, daß außerdem versprochen
werden mußte, „in nichts gegen das Interesse Deutschlands zu handeln", so
lautete denn die Verpflichtung, die bei der Kapitulation von Sedan im großen
Umfange angewandt wurde. Es ist bekannt, daß Moltke „Kriegsgefangenschaft
der ganzen Armee" verlangte, wogegen Wimpffen bat, man solle sie unter der


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[0249] Die Entlassung Kriegsgefangener gegen Ehrenwort Ritters gegen Ehrenwort, einen breiten Raum ein. Auch die freie Bewegung gegen Ehrenwort ging in die neuere Kriegsführung über; es setzte sich seit der Verwischung der deutschen Militärsprache etwa zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges fort in dem Brauche des Erbittens und Gewährens von „Quartier" und in dem Brauche der Gewährung freier Bewegung der Gefangenen auf Parole, d. i. gegen das Ehrenwort, nicht zu entfliehen. Die napoleonische Zeit brachte eine gänzliche Umwandlung der Kriegs¬ führung, Napoleon räumte mit dem Schlendrian der matten Art des achtzehnten Jahrhunderts gründlich auf, aber in den erbitterten Kämpfen um das Dasei» der Völker bildete das Fortbestehen des Brauches, Kriegsgefangene gegen Ehren¬ wort zu entlassen, einen ritterlichen, versöhnenden Einschlag. Das neunzehnte Jahrhundert übernahm die endgültige Entlassung gegen das Ehrenwort, nicht gegen den Sieger die Waffen zu tragen, sowie die freie -Bewegung Kriegs¬ gefangener gegen das Ehrenwort, nicht zu entfliehen. Napoleon wandte die endgültige Entlassung gegen das Ehrenwort, nichts gegen sein Interesse zu unternehmen, sogar auch bei politischen Gefangenen gelegentlich an. Das Zeitalter der großen Volksheere erweiterte insofern sogar die An¬ wendung der Entlassung gegen Ehrenwort, als es auch den einfachen Soldaten dieser Vergünstigung für fähig erklärte, während das achtzehnte Jahrhundert sie nur den Offizieren zubilligte. Ja die neueste Kriegsgeschichte des neun- zehnten Jahrhunderts kennt sogar einen Fall, in dem die Kriegsgefangenschaft der Offiziere gefordert, die ehrenwörtliche Entlassung der Soldaten dagegen an¬ geboten wurde. Der Fall ereignete sich bei der Übergabe von Wei-hai-wei im japanisch-chinesischen Kriege, wo Admiral Jto dem chinesischen Unterhändler des Admirals Ting diese Bedingungen stellte. Ting zog es dann allerdings vor, Wei-hai-wei bedingungslos zu übergeben. Die vorläufige Entlassung gegen Ehrenwort hat dagegen weder im neunzehnten noch im zwanzigsten Jahr¬ hundert irgendwelche Bedeutung wieder erlangt. Wohl in keinem Kriege des neunzehnten Jahrhunderts ist der Brauch, Kriegsgefangene gegen Ehrenwort zu entlassen, so freigebig gehandhabt worden, wie ini deutsch-französischen Kriege 1870/71 auf deutscher Seite. Schon im Anfang des Krieges wurden viele französische Offiziere von den Deutschen ent¬ lassen gegen die ehrenwörtliche Versicherung, während der Dauer des Krieges nicht mehr die Waffen gegen Deutschland zu tragen. Es stellte sich heraus, daß diese Verpflichtung nicht umfassend genug war, denn viele französische Offiziere fanden bei den Depots, beim Ausbilden von Soldaten usw. wieder Anstellung zum Nachteil der deutschen Truppen. Man sah sich daher ge¬ zwungen, die Verpflichtungsformel dahin abzuändern, daß außerdem versprochen werden mußte, „in nichts gegen das Interesse Deutschlands zu handeln", so lautete denn die Verpflichtung, die bei der Kapitulation von Sedan im großen Umfange angewandt wurde. Es ist bekannt, daß Moltke „Kriegsgefangenschaft der ganzen Armee" verlangte, wogegen Wimpffen bat, man solle sie unter der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/249>, abgerufen am 29.05.2024.