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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Belgiens Zukunft

zur Revanche erwarten. Dagegen hilft nur eins, eine militärische Stellung
Deutschlands, die einen neuen Angriff als aussichtslos erscheinen läßt.

Und für diese militärische Stellung kann einzig und allein Belgien dienen.
Es bildet gewissermaßen eine vorgeschobene Redoute der deutschen Festung gegen
Frankreich und England. In einer langen Linie zieht sich das Land an der
französischen Nordgrenze entlang. Frankreich wird damit von Deutschland an
seiner empfindlichsten Stelle, in seinen reichen Nordproninzen und in der Nähe
seiner Hauptstadt, Paris, wie mit einer Zange gepackt. An eine französische
Offensive nach diesen beiden Seiten, nach Oft und Nord, ist niemals mehr zu
denken. Frankreich wird durch die Natur der Dinge auf die Verteidigung be¬
schränkt. Und das kühlt von selbst alle Rachegedanken ab. Und andererseits:
England ist auf das äußerste bedroht durch ein deutsches Antwerpen und eine
deutsche Kanalküste. Hat man Antwerpen eine Pistole genannt, auf das Herz
Englands gerichtet, so ist das in noch höherem Maße der Fall bei einem
deutschen Flottenstützpunkte im Kanal. England wird daher, selbst besiegt, das
äußerste tun, um die Wiederherstellung Belgiens zu erreichen, schon zu Re¬
vanchezwecken. Gerade deshalb brauchen wir Belgien. Die beständige Be¬
drohung Englands, die in einem deutschen Belgien liegt, nötigt England, nur
an seine Verteidigung zu denken und die Revanche zu vergessen.

Nur der militärische Besitz von ganz Belgien deckt nicht nur Deutschlands
Westgrenzen, sondern bedroht Englands und Frankreichs militärische Sicherheit
in dem Maße, daß sie an keinen Angriffskrieg mehr denken können. Deutsch¬
land hat in vierundvierzigjährigem Frieden bewiesen, daß es nicht kriegslustig
ist, und dabei wird es auch weiter bleiben. Damit sichert der militärische Besitz
Belgiens durch Deutschland allein den Weltfrieden.

Wir brauchen Belgien ferner maritim, sowohl für die Kriegs- wie für die
Handelsflotte. Die längste deutsche Küste liegt an der Ostsee, nur durch die
dänischen Meerengen und durch den Kaiser-Wilhelm-Kanal mit dem offenen
Meere in Verbindung stehend. Unsere Nordseeküste ist auffallend verkümmert
und umfaßt eigentlich nur die allerdings leicht zu verteidigende, aber auch leicht
abzuschließende Helgoländer Bucht. Wir müssen heraus aus dem Winkel, hat
daher schon Ballin gesagt, der gewiß als Sachverständiger betrachtet werde"
muß. Dagegen gäbe es nur eine einzige Widerlegung, die ein englischer Reeber
versucht, Deutschland werde nach dem Kriege keine Flotte mehr haben. Da
aber Deutschland gewiß nicht untergehen wird, kann es auch nie auf feine See¬
geltung verzichten. Denn seine Zukunft liegt auf dem Wasser. Dazu bedarf
es aber weiterer Zugänge zum offenen Weltmeere. Diese sind vorläufig nur
durch Belgien zu haben.

Die belgischen Häfen leben überdies zum großen Teile von Deutschland.
Lothringen, die Rheinprovinz und ein Teil von Westfalen ist von der deutschen
Nordseeküste zu weit entfernt und auf die belgische Küste angewiesen. Die
belgischen Häfen sind ein Hausschlüssel für Deutschland, und den steckt jeder


Belgiens Zukunft

zur Revanche erwarten. Dagegen hilft nur eins, eine militärische Stellung
Deutschlands, die einen neuen Angriff als aussichtslos erscheinen läßt.

Und für diese militärische Stellung kann einzig und allein Belgien dienen.
Es bildet gewissermaßen eine vorgeschobene Redoute der deutschen Festung gegen
Frankreich und England. In einer langen Linie zieht sich das Land an der
französischen Nordgrenze entlang. Frankreich wird damit von Deutschland an
seiner empfindlichsten Stelle, in seinen reichen Nordproninzen und in der Nähe
seiner Hauptstadt, Paris, wie mit einer Zange gepackt. An eine französische
Offensive nach diesen beiden Seiten, nach Oft und Nord, ist niemals mehr zu
denken. Frankreich wird durch die Natur der Dinge auf die Verteidigung be¬
schränkt. Und das kühlt von selbst alle Rachegedanken ab. Und andererseits:
England ist auf das äußerste bedroht durch ein deutsches Antwerpen und eine
deutsche Kanalküste. Hat man Antwerpen eine Pistole genannt, auf das Herz
Englands gerichtet, so ist das in noch höherem Maße der Fall bei einem
deutschen Flottenstützpunkte im Kanal. England wird daher, selbst besiegt, das
äußerste tun, um die Wiederherstellung Belgiens zu erreichen, schon zu Re¬
vanchezwecken. Gerade deshalb brauchen wir Belgien. Die beständige Be¬
drohung Englands, die in einem deutschen Belgien liegt, nötigt England, nur
an seine Verteidigung zu denken und die Revanche zu vergessen.

Nur der militärische Besitz von ganz Belgien deckt nicht nur Deutschlands
Westgrenzen, sondern bedroht Englands und Frankreichs militärische Sicherheit
in dem Maße, daß sie an keinen Angriffskrieg mehr denken können. Deutsch¬
land hat in vierundvierzigjährigem Frieden bewiesen, daß es nicht kriegslustig
ist, und dabei wird es auch weiter bleiben. Damit sichert der militärische Besitz
Belgiens durch Deutschland allein den Weltfrieden.

Wir brauchen Belgien ferner maritim, sowohl für die Kriegs- wie für die
Handelsflotte. Die längste deutsche Küste liegt an der Ostsee, nur durch die
dänischen Meerengen und durch den Kaiser-Wilhelm-Kanal mit dem offenen
Meere in Verbindung stehend. Unsere Nordseeküste ist auffallend verkümmert
und umfaßt eigentlich nur die allerdings leicht zu verteidigende, aber auch leicht
abzuschließende Helgoländer Bucht. Wir müssen heraus aus dem Winkel, hat
daher schon Ballin gesagt, der gewiß als Sachverständiger betrachtet werde»
muß. Dagegen gäbe es nur eine einzige Widerlegung, die ein englischer Reeber
versucht, Deutschland werde nach dem Kriege keine Flotte mehr haben. Da
aber Deutschland gewiß nicht untergehen wird, kann es auch nie auf feine See¬
geltung verzichten. Denn seine Zukunft liegt auf dem Wasser. Dazu bedarf
es aber weiterer Zugänge zum offenen Weltmeere. Diese sind vorläufig nur
durch Belgien zu haben.

Die belgischen Häfen leben überdies zum großen Teile von Deutschland.
Lothringen, die Rheinprovinz und ein Teil von Westfalen ist von der deutschen
Nordseeküste zu weit entfernt und auf die belgische Küste angewiesen. Die
belgischen Häfen sind ein Hausschlüssel für Deutschland, und den steckt jeder


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[0308] Belgiens Zukunft zur Revanche erwarten. Dagegen hilft nur eins, eine militärische Stellung Deutschlands, die einen neuen Angriff als aussichtslos erscheinen läßt. Und für diese militärische Stellung kann einzig und allein Belgien dienen. Es bildet gewissermaßen eine vorgeschobene Redoute der deutschen Festung gegen Frankreich und England. In einer langen Linie zieht sich das Land an der französischen Nordgrenze entlang. Frankreich wird damit von Deutschland an seiner empfindlichsten Stelle, in seinen reichen Nordproninzen und in der Nähe seiner Hauptstadt, Paris, wie mit einer Zange gepackt. An eine französische Offensive nach diesen beiden Seiten, nach Oft und Nord, ist niemals mehr zu denken. Frankreich wird durch die Natur der Dinge auf die Verteidigung be¬ schränkt. Und das kühlt von selbst alle Rachegedanken ab. Und andererseits: England ist auf das äußerste bedroht durch ein deutsches Antwerpen und eine deutsche Kanalküste. Hat man Antwerpen eine Pistole genannt, auf das Herz Englands gerichtet, so ist das in noch höherem Maße der Fall bei einem deutschen Flottenstützpunkte im Kanal. England wird daher, selbst besiegt, das äußerste tun, um die Wiederherstellung Belgiens zu erreichen, schon zu Re¬ vanchezwecken. Gerade deshalb brauchen wir Belgien. Die beständige Be¬ drohung Englands, die in einem deutschen Belgien liegt, nötigt England, nur an seine Verteidigung zu denken und die Revanche zu vergessen. Nur der militärische Besitz von ganz Belgien deckt nicht nur Deutschlands Westgrenzen, sondern bedroht Englands und Frankreichs militärische Sicherheit in dem Maße, daß sie an keinen Angriffskrieg mehr denken können. Deutsch¬ land hat in vierundvierzigjährigem Frieden bewiesen, daß es nicht kriegslustig ist, und dabei wird es auch weiter bleiben. Damit sichert der militärische Besitz Belgiens durch Deutschland allein den Weltfrieden. Wir brauchen Belgien ferner maritim, sowohl für die Kriegs- wie für die Handelsflotte. Die längste deutsche Küste liegt an der Ostsee, nur durch die dänischen Meerengen und durch den Kaiser-Wilhelm-Kanal mit dem offenen Meere in Verbindung stehend. Unsere Nordseeküste ist auffallend verkümmert und umfaßt eigentlich nur die allerdings leicht zu verteidigende, aber auch leicht abzuschließende Helgoländer Bucht. Wir müssen heraus aus dem Winkel, hat daher schon Ballin gesagt, der gewiß als Sachverständiger betrachtet werde» muß. Dagegen gäbe es nur eine einzige Widerlegung, die ein englischer Reeber versucht, Deutschland werde nach dem Kriege keine Flotte mehr haben. Da aber Deutschland gewiß nicht untergehen wird, kann es auch nie auf feine See¬ geltung verzichten. Denn seine Zukunft liegt auf dem Wasser. Dazu bedarf es aber weiterer Zugänge zum offenen Weltmeere. Diese sind vorläufig nur durch Belgien zu haben. Die belgischen Häfen leben überdies zum großen Teile von Deutschland. Lothringen, die Rheinprovinz und ein Teil von Westfalen ist von der deutschen Nordseeküste zu weit entfernt und auf die belgische Küste angewiesen. Die belgischen Häfen sind ein Hausschlüssel für Deutschland, und den steckt jeder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/308>, abgerufen am 23.05.2024.