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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Belgiens Zukunft

in die eigene Tasche. Ihre volle Blüte werden aber die vlämischen Häfen erst
erleben, wenn sie ohne Zollschranke an das große deutsche Hinterland angeschlossen
sind. Deutsche und belgische Interessen gehen hier restlos ineinander auf. Man
hat oft gesprochen und geplant von einer deutschen Rheinmündung. um für
Deutschlands größten Strom einen eigenen Zugang zum Weltmeere zu gewinnen.
Eine solche Mündung im Dollart bei Emden, die bisher allein möglich gewesen
wäre, lag viel zu weit ab von den großen Straßen des Weltverkehrs. Jetzt
haben wir sie in dem herrlichen Hafen von Antwerpen. Die Flußsysteme des
Rheins und der Schelde, durch ein ausreichendes Kanalnetz miteinander und mit
der Donau verbunden, bieten das großartigste mit dem Weltmeere in Verbindung
stehende Gebiet der Binnenschiffahrt, das sich denken läßt.

Belgien ist endlich sür Deutschland wirtschaftlich unentbehrlich.

Das gilt zunächst für die deutschen wirtschaftlichen Unternehmungen, die
sich unmittelbar in Belgien niedergelassen haben. Gerade weil Belgien mit
seiner Küste das Vorland eines der reichsten Teile Deutschlands bildet, mußten
deutsche wirtschaftliche Unternehmungen oder wenigstens Zweigniederlassungen
in großer Anzahl und von hoher Bedeutung das belgische Gebiet aufsuchen.
In einem selbständigen Belgien wäre das für die Zukunft in dem Maße wie
bisher unmöglich. Mag man sich noch so sehr durch vertragsmäßige Bestimmungen
zu sichern suchen, es gibt tatsächlich kein Mittel, wenn eine feindliche Bevölkerung
und eine feindliche Regierung den Deutschen den Aufenthalt im Lande zu
verekeln sucht. Wie soll man sich z. B. gegen den Boykott schützen, zu dem
nicht einmal öffentlich aufgefordert zu werden braucht? Und der Deutschenhaß in
einem wiederhergestellten selbständigen Belgien würde zunächst ungeheuerlich sein.
Dagegen schützt nur die eigene deutsche Verwaltung. Sonst wären deutsche
Unternehmungen in Belgien für die Zukunft fast vogelfrei. Und das siegreiche
Deutschland müßte dies, solange kein förmlicher Rechtsbruch vorliegt, über sich
ergehen lassen, hätte seine Angehörigen jedenfalls in eine schlechtere Wirtschafts¬
lage versetzt, als vor dem .Kriege.

Dazu kommen die Bedürfnisse der deutschen Gesamtwirtschaft. Unbeschadet
der deutschen Einfuhr- und Ausfuhrinteressen, hat gerade der Krieg auf das
klarste gezeigt, daß nur eine im Notfalle auch sich selbst genügende deutsche
Volkswirtschaft großen Weltkrisen gewachsen ist. Damit wird das Ideal von
Fichtes geschlossenem Handelsstaat zu einer Forderung der Gegenwart. Noch
sind wir von diesem Ideale weit entfernt, aber wir müssen ihm im Interesse
unserer nationalen Unabhängigkeit auch auf wirtschaftlichem Gebiete immer
mehr nachstreben. Unsere weltwirtschaftlichen Bestrebungen können ruhig daneben
hergehen.

Für diese in sich geschlossene deutsche Gesamtwirtschaft bieten Industrie und
Bergbau Belgiens in ihrer hohen Entwicklung die notwendige Ergänzung. Wie
wir diese Ergänzung nach der anderen Seite nicht nur in intensiver Landwirt¬
schaft, sondern auch in neuen Ackerbaugebieten suchen müssen, soll hier nicht


Belgiens Zukunft

in die eigene Tasche. Ihre volle Blüte werden aber die vlämischen Häfen erst
erleben, wenn sie ohne Zollschranke an das große deutsche Hinterland angeschlossen
sind. Deutsche und belgische Interessen gehen hier restlos ineinander auf. Man
hat oft gesprochen und geplant von einer deutschen Rheinmündung. um für
Deutschlands größten Strom einen eigenen Zugang zum Weltmeere zu gewinnen.
Eine solche Mündung im Dollart bei Emden, die bisher allein möglich gewesen
wäre, lag viel zu weit ab von den großen Straßen des Weltverkehrs. Jetzt
haben wir sie in dem herrlichen Hafen von Antwerpen. Die Flußsysteme des
Rheins und der Schelde, durch ein ausreichendes Kanalnetz miteinander und mit
der Donau verbunden, bieten das großartigste mit dem Weltmeere in Verbindung
stehende Gebiet der Binnenschiffahrt, das sich denken läßt.

Belgien ist endlich sür Deutschland wirtschaftlich unentbehrlich.

Das gilt zunächst für die deutschen wirtschaftlichen Unternehmungen, die
sich unmittelbar in Belgien niedergelassen haben. Gerade weil Belgien mit
seiner Küste das Vorland eines der reichsten Teile Deutschlands bildet, mußten
deutsche wirtschaftliche Unternehmungen oder wenigstens Zweigniederlassungen
in großer Anzahl und von hoher Bedeutung das belgische Gebiet aufsuchen.
In einem selbständigen Belgien wäre das für die Zukunft in dem Maße wie
bisher unmöglich. Mag man sich noch so sehr durch vertragsmäßige Bestimmungen
zu sichern suchen, es gibt tatsächlich kein Mittel, wenn eine feindliche Bevölkerung
und eine feindliche Regierung den Deutschen den Aufenthalt im Lande zu
verekeln sucht. Wie soll man sich z. B. gegen den Boykott schützen, zu dem
nicht einmal öffentlich aufgefordert zu werden braucht? Und der Deutschenhaß in
einem wiederhergestellten selbständigen Belgien würde zunächst ungeheuerlich sein.
Dagegen schützt nur die eigene deutsche Verwaltung. Sonst wären deutsche
Unternehmungen in Belgien für die Zukunft fast vogelfrei. Und das siegreiche
Deutschland müßte dies, solange kein förmlicher Rechtsbruch vorliegt, über sich
ergehen lassen, hätte seine Angehörigen jedenfalls in eine schlechtere Wirtschafts¬
lage versetzt, als vor dem .Kriege.

Dazu kommen die Bedürfnisse der deutschen Gesamtwirtschaft. Unbeschadet
der deutschen Einfuhr- und Ausfuhrinteressen, hat gerade der Krieg auf das
klarste gezeigt, daß nur eine im Notfalle auch sich selbst genügende deutsche
Volkswirtschaft großen Weltkrisen gewachsen ist. Damit wird das Ideal von
Fichtes geschlossenem Handelsstaat zu einer Forderung der Gegenwart. Noch
sind wir von diesem Ideale weit entfernt, aber wir müssen ihm im Interesse
unserer nationalen Unabhängigkeit auch auf wirtschaftlichem Gebiete immer
mehr nachstreben. Unsere weltwirtschaftlichen Bestrebungen können ruhig daneben
hergehen.

Für diese in sich geschlossene deutsche Gesamtwirtschaft bieten Industrie und
Bergbau Belgiens in ihrer hohen Entwicklung die notwendige Ergänzung. Wie
wir diese Ergänzung nach der anderen Seite nicht nur in intensiver Landwirt¬
schaft, sondern auch in neuen Ackerbaugebieten suchen müssen, soll hier nicht


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[0309] Belgiens Zukunft in die eigene Tasche. Ihre volle Blüte werden aber die vlämischen Häfen erst erleben, wenn sie ohne Zollschranke an das große deutsche Hinterland angeschlossen sind. Deutsche und belgische Interessen gehen hier restlos ineinander auf. Man hat oft gesprochen und geplant von einer deutschen Rheinmündung. um für Deutschlands größten Strom einen eigenen Zugang zum Weltmeere zu gewinnen. Eine solche Mündung im Dollart bei Emden, die bisher allein möglich gewesen wäre, lag viel zu weit ab von den großen Straßen des Weltverkehrs. Jetzt haben wir sie in dem herrlichen Hafen von Antwerpen. Die Flußsysteme des Rheins und der Schelde, durch ein ausreichendes Kanalnetz miteinander und mit der Donau verbunden, bieten das großartigste mit dem Weltmeere in Verbindung stehende Gebiet der Binnenschiffahrt, das sich denken läßt. Belgien ist endlich sür Deutschland wirtschaftlich unentbehrlich. Das gilt zunächst für die deutschen wirtschaftlichen Unternehmungen, die sich unmittelbar in Belgien niedergelassen haben. Gerade weil Belgien mit seiner Küste das Vorland eines der reichsten Teile Deutschlands bildet, mußten deutsche wirtschaftliche Unternehmungen oder wenigstens Zweigniederlassungen in großer Anzahl und von hoher Bedeutung das belgische Gebiet aufsuchen. In einem selbständigen Belgien wäre das für die Zukunft in dem Maße wie bisher unmöglich. Mag man sich noch so sehr durch vertragsmäßige Bestimmungen zu sichern suchen, es gibt tatsächlich kein Mittel, wenn eine feindliche Bevölkerung und eine feindliche Regierung den Deutschen den Aufenthalt im Lande zu verekeln sucht. Wie soll man sich z. B. gegen den Boykott schützen, zu dem nicht einmal öffentlich aufgefordert zu werden braucht? Und der Deutschenhaß in einem wiederhergestellten selbständigen Belgien würde zunächst ungeheuerlich sein. Dagegen schützt nur die eigene deutsche Verwaltung. Sonst wären deutsche Unternehmungen in Belgien für die Zukunft fast vogelfrei. Und das siegreiche Deutschland müßte dies, solange kein förmlicher Rechtsbruch vorliegt, über sich ergehen lassen, hätte seine Angehörigen jedenfalls in eine schlechtere Wirtschafts¬ lage versetzt, als vor dem .Kriege. Dazu kommen die Bedürfnisse der deutschen Gesamtwirtschaft. Unbeschadet der deutschen Einfuhr- und Ausfuhrinteressen, hat gerade der Krieg auf das klarste gezeigt, daß nur eine im Notfalle auch sich selbst genügende deutsche Volkswirtschaft großen Weltkrisen gewachsen ist. Damit wird das Ideal von Fichtes geschlossenem Handelsstaat zu einer Forderung der Gegenwart. Noch sind wir von diesem Ideale weit entfernt, aber wir müssen ihm im Interesse unserer nationalen Unabhängigkeit auch auf wirtschaftlichem Gebiete immer mehr nachstreben. Unsere weltwirtschaftlichen Bestrebungen können ruhig daneben hergehen. Für diese in sich geschlossene deutsche Gesamtwirtschaft bieten Industrie und Bergbau Belgiens in ihrer hohen Entwicklung die notwendige Ergänzung. Wie wir diese Ergänzung nach der anderen Seite nicht nur in intensiver Landwirt¬ schaft, sondern auch in neuen Ackerbaugebieten suchen müssen, soll hier nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/309>, abgerufen am 16.06.2024.