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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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nur die Hälfte des bisherigen Staatsgebietes umfaßt, neben und unter der
Statthalterei überflüssig. Wohl aber empfiehlt sich die Durchführung der
preußischen Kreiseinteilung mit Landräten, unbeschadet der Sonderstellung der
größeren Städte. Kommunale Aufgaben und Vermögen der bisherigen Pro¬
vinzen sind auf die Kreise zu übertragen. Zwischen Reichsland und Gemeinde
findet sich daher der Kreis als einzige Mittelinstanz.

Die erste und vorzüglichste Aufgabe der Diktatur wird es sein, die ge¬
samte Reichsgesetzgebung in den beiden Reichsländern durchzuführen. Daß
dies Jahre langer Arbeit bedarf, versteht sich von selbst. Für die Zukunft
treten allgemeine Reichsgesetze für beide Neichsländer unmittelbar in Kraft.
Es bleibt den Statthaltereien überlassen, vom Reichs gesetzblatte in Vlamland
eine vlämische, in der Wallonei eine französische Übersetzung erscheinen zu
lassen, auch von wichtigeren älteren Werken der Gesetzgebung wie von den
Justizgesetzen, der Gewerbeordnung, der Neichsverstcherungsordnung, vlämische
und französische Übersetzungen zu veranstalten. Für die ganzen älteren Jahr¬
gänge des Reichsgesetzblattes ist das natürlich nicht möglich.

Die zweite Aufgabe der außerhalb des Gebietes der Reichsgesetzgebung
auch mit gesetzgebender Gewalt ausgestatteten Diktatur, ist die Entwicklung ver¬
fassungsmäßiger Einrichtungen in beiden Reichsländern.

Eine geeignete Grundlage dazu ist schon jetzt vorhanden. Wie nahe ver¬
wandt die öffentlichen Rechtszustände Belgiens denen des benachbarten Frank¬
reichs sein mögen, in einem Punkte hat sich doch das germanische Element
Vlamlands durchgesetzt, in der Gemeindcfreiheit. Sie war schon bisher gegen¬
über dem französischen System der Bürgermeistereien und ihrer Abhängigkeit
von den höheren Staatsbehörden der charakteristische Zug in dem öffentlichen
Rechte Belgiens. Diese Selbstverwaltung der Gemeinden zu erhalten und
fortzuentwickeln, ist eine der ersten Aufgaben der deutschen Verwaltung. Nur
eine Schranke ist der Gemeindefreiheit zu ziehen: alle deutschfeindlichen Be¬
strebungen in der Gemeindeverwaltung sind auf das entschiedenste zu unterdrücken.

Läßt sich feststellen, daß die Gemeindeverwaltung weiter ihren ruhigen
und sicheren Gang geht, so läßt sich darauf nach dem Vorbilde der Gemeinde
die Selbstverwaltung des Kreises aufbauen. Er hat alle diejenigen Aufgaben
zu übernehmen, die über die Kräfte der einzelnen Gemeinde hinausgehen.

Erst wenn auch die .Kreisverfassung im Gange ist, wird ein Landtag für
Vlamland und ein solcher für die Wallonei zu bilden sein, am besten durch
Wahl der Kreistage und der Gemeindevertretungen der kreisfreien Städte.
Dieser Landtag hat zunächst nur die kommunalen Interessen des betreffenden
Neichslandes wahrzunehmen. Zeigt sich die Bevölkerung mit den bestehenden
Zuständen einigermaßen ausgesöhnt, so kann man auf die Diktatur der Gesetz¬
gebung verzichten und deu Landtagen ein Zustimmungsrecht zur Gesetzgebung,
soweit sie außerhalb der gemeingültigen Reichskompetenz liegt, also zur so¬
genannten Landesgesetzgebung gewähren.


nur die Hälfte des bisherigen Staatsgebietes umfaßt, neben und unter der
Statthalterei überflüssig. Wohl aber empfiehlt sich die Durchführung der
preußischen Kreiseinteilung mit Landräten, unbeschadet der Sonderstellung der
größeren Städte. Kommunale Aufgaben und Vermögen der bisherigen Pro¬
vinzen sind auf die Kreise zu übertragen. Zwischen Reichsland und Gemeinde
findet sich daher der Kreis als einzige Mittelinstanz.

Die erste und vorzüglichste Aufgabe der Diktatur wird es sein, die ge¬
samte Reichsgesetzgebung in den beiden Reichsländern durchzuführen. Daß
dies Jahre langer Arbeit bedarf, versteht sich von selbst. Für die Zukunft
treten allgemeine Reichsgesetze für beide Neichsländer unmittelbar in Kraft.
Es bleibt den Statthaltereien überlassen, vom Reichs gesetzblatte in Vlamland
eine vlämische, in der Wallonei eine französische Übersetzung erscheinen zu
lassen, auch von wichtigeren älteren Werken der Gesetzgebung wie von den
Justizgesetzen, der Gewerbeordnung, der Neichsverstcherungsordnung, vlämische
und französische Übersetzungen zu veranstalten. Für die ganzen älteren Jahr¬
gänge des Reichsgesetzblattes ist das natürlich nicht möglich.

Die zweite Aufgabe der außerhalb des Gebietes der Reichsgesetzgebung
auch mit gesetzgebender Gewalt ausgestatteten Diktatur, ist die Entwicklung ver¬
fassungsmäßiger Einrichtungen in beiden Reichsländern.

Eine geeignete Grundlage dazu ist schon jetzt vorhanden. Wie nahe ver¬
wandt die öffentlichen Rechtszustände Belgiens denen des benachbarten Frank¬
reichs sein mögen, in einem Punkte hat sich doch das germanische Element
Vlamlands durchgesetzt, in der Gemeindcfreiheit. Sie war schon bisher gegen¬
über dem französischen System der Bürgermeistereien und ihrer Abhängigkeit
von den höheren Staatsbehörden der charakteristische Zug in dem öffentlichen
Rechte Belgiens. Diese Selbstverwaltung der Gemeinden zu erhalten und
fortzuentwickeln, ist eine der ersten Aufgaben der deutschen Verwaltung. Nur
eine Schranke ist der Gemeindefreiheit zu ziehen: alle deutschfeindlichen Be¬
strebungen in der Gemeindeverwaltung sind auf das entschiedenste zu unterdrücken.

Läßt sich feststellen, daß die Gemeindeverwaltung weiter ihren ruhigen
und sicheren Gang geht, so läßt sich darauf nach dem Vorbilde der Gemeinde
die Selbstverwaltung des Kreises aufbauen. Er hat alle diejenigen Aufgaben
zu übernehmen, die über die Kräfte der einzelnen Gemeinde hinausgehen.

Erst wenn auch die .Kreisverfassung im Gange ist, wird ein Landtag für
Vlamland und ein solcher für die Wallonei zu bilden sein, am besten durch
Wahl der Kreistage und der Gemeindevertretungen der kreisfreien Städte.
Dieser Landtag hat zunächst nur die kommunalen Interessen des betreffenden
Neichslandes wahrzunehmen. Zeigt sich die Bevölkerung mit den bestehenden
Zuständen einigermaßen ausgesöhnt, so kann man auf die Diktatur der Gesetz¬
gebung verzichten und deu Landtagen ein Zustimmungsrecht zur Gesetzgebung,
soweit sie außerhalb der gemeingültigen Reichskompetenz liegt, also zur so¬
genannten Landesgesetzgebung gewähren.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/313>, abgerufen am 06.06.2024.