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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die deutschen Einwanderungen in Siebenbürgen

Über die Zahl der Einwanderer läßt sich wohl kaum etwas Bestimmtes
sagen. Man hat die Zahl der ursprünglichen Höfe auf fünfzigtausend schätzen
wollen. Sicher ist das eher zu hoch als zu niedrig gegriffen. -- Umsomehr
Bewunderung verdient die Leistung der Einwanderer. Nicht nur die rund 300
Ortschaften Siebenbürgens, die heute noch deutsch sind, sondern wohl auch die
meisten Orte, die heute entnationalisiert sind und bei denen nur noch ein vor
den Namen gesetztes "Szaß" oder "N6met" (----der Deutsche) verrät, daß hier
einst Deutsche die Herren waren, sind von ihnen gegründet worden. Die zahl¬
reichen Kämpfe, die über das Land gebraust sind, Mongolen- und Türken¬
einfälle, Seuchen und sonstige Nöte brachten es mit sich, daß hier der deutsche
Laut erstarb. An die Stelle der alten Bewohner traten dann später Rumänen
und Maygaren.

"^6 retinLnäam eoronam", zum Schutze der Krone waren die Sachsen
berufen worden, wie die Inschrift des Hermannftädter Wappens besagt. Heute
meh erinnert ein alter Volksbrauch im Dorfe Nadesch daran. Alljährlich treten
an einem bestimmten Tage die Burschen gegürtet, die Tasche an der Seite, den
Streitkolben in der Hand, ihre Fahne vorantragend einen Umzug durch die
Straßen der Gemeinde an. An ihrer Spitze schreitet ein alter Bauer, die
Trommel schlagend. Fragt man aber die Burschen nach der Bedeutung ihres
Tuns, so antworten sie: "Also sind einst unsere Vorfahren, freie Leute, nicht
Jobagyen (-Hörige), wie wir waren, aus Saxonia in dies Land gekommen
hinter der Fahne und der Bunge (---Trommel) her, die Waffen in der Hand
und haben Kriegsdienste getan." (Vgl. Müllers "siebenbürgische Sagen",
Hermannstadt.) Tatsächlich haben diese Kolonien das Gepräge eines einzigen
großen Heerlagers getragen. Ihr Dasein war zwischen schwerer Friedensarbeit
und noch schwereren kriegerischen Tun geteilt. Und wenn es wahr ist, was
Geisas Sohn und Nachfolger, Bela, einmal rühmte, daß er allein von seinen
sächsischen Kolonisten fünfzehntausend Mark Silbers an Abgaben erhalte, so
wäre diese sür damalige Zeiten außerordentliche Summe ein glänzender Beweis
dafür, wie sehr es die Ansiedler verstanden, trotz der gefahrvollen Umstände
den Wohlstand des Landes zu heben.

Andreas der Zweite, Bolas Nachfolger, ist für die Sachsengeschichte insofern
von Bedeutung geworden, als er ihnen den sogenannten "Goldenen Freibrief"
verlieh (1224). Durch ihn wurde das Dasein der Sachsen auf eine erweiterte
und rechtlich gesicherte Grundlage gestellt.

Durch das "Andreanum" wurden sämtliche Kolonien des "alten Landes"
zu einem Gau vereinigt und so die Verschmelzung der Ansiedlergruppen zur
"sächsischen Nation" vorbereitet. An die Spitze des Gaues wurde der "Sachsen¬
graf" gestellt, den der König zu ernennen hatte, der aber seit Mathias Corvinus
von der Stadtgemeinde Hermannstadt gewählt wird; er war der oberste Richter
der Sachsen im Frieden, ihr Heerführer im Kriege. Die Institution des
"Sachsengrafen" besteht auch heute, er hat seinen Sitz in Hermannstadt. --


Grenzboten IV 191" 20
Die deutschen Einwanderungen in Siebenbürgen

Über die Zahl der Einwanderer läßt sich wohl kaum etwas Bestimmtes
sagen. Man hat die Zahl der ursprünglichen Höfe auf fünfzigtausend schätzen
wollen. Sicher ist das eher zu hoch als zu niedrig gegriffen. — Umsomehr
Bewunderung verdient die Leistung der Einwanderer. Nicht nur die rund 300
Ortschaften Siebenbürgens, die heute noch deutsch sind, sondern wohl auch die
meisten Orte, die heute entnationalisiert sind und bei denen nur noch ein vor
den Namen gesetztes „Szaß" oder „N6met" (----der Deutsche) verrät, daß hier
einst Deutsche die Herren waren, sind von ihnen gegründet worden. Die zahl¬
reichen Kämpfe, die über das Land gebraust sind, Mongolen- und Türken¬
einfälle, Seuchen und sonstige Nöte brachten es mit sich, daß hier der deutsche
Laut erstarb. An die Stelle der alten Bewohner traten dann später Rumänen
und Maygaren.

„^6 retinLnäam eoronam", zum Schutze der Krone waren die Sachsen
berufen worden, wie die Inschrift des Hermannftädter Wappens besagt. Heute
meh erinnert ein alter Volksbrauch im Dorfe Nadesch daran. Alljährlich treten
an einem bestimmten Tage die Burschen gegürtet, die Tasche an der Seite, den
Streitkolben in der Hand, ihre Fahne vorantragend einen Umzug durch die
Straßen der Gemeinde an. An ihrer Spitze schreitet ein alter Bauer, die
Trommel schlagend. Fragt man aber die Burschen nach der Bedeutung ihres
Tuns, so antworten sie: „Also sind einst unsere Vorfahren, freie Leute, nicht
Jobagyen (-Hörige), wie wir waren, aus Saxonia in dies Land gekommen
hinter der Fahne und der Bunge (---Trommel) her, die Waffen in der Hand
und haben Kriegsdienste getan." (Vgl. Müllers „siebenbürgische Sagen",
Hermannstadt.) Tatsächlich haben diese Kolonien das Gepräge eines einzigen
großen Heerlagers getragen. Ihr Dasein war zwischen schwerer Friedensarbeit
und noch schwereren kriegerischen Tun geteilt. Und wenn es wahr ist, was
Geisas Sohn und Nachfolger, Bela, einmal rühmte, daß er allein von seinen
sächsischen Kolonisten fünfzehntausend Mark Silbers an Abgaben erhalte, so
wäre diese sür damalige Zeiten außerordentliche Summe ein glänzender Beweis
dafür, wie sehr es die Ansiedler verstanden, trotz der gefahrvollen Umstände
den Wohlstand des Landes zu heben.

Andreas der Zweite, Bolas Nachfolger, ist für die Sachsengeschichte insofern
von Bedeutung geworden, als er ihnen den sogenannten „Goldenen Freibrief"
verlieh (1224). Durch ihn wurde das Dasein der Sachsen auf eine erweiterte
und rechtlich gesicherte Grundlage gestellt.

Durch das „Andreanum" wurden sämtliche Kolonien des „alten Landes"
zu einem Gau vereinigt und so die Verschmelzung der Ansiedlergruppen zur
„sächsischen Nation" vorbereitet. An die Spitze des Gaues wurde der „Sachsen¬
graf" gestellt, den der König zu ernennen hatte, der aber seit Mathias Corvinus
von der Stadtgemeinde Hermannstadt gewählt wird; er war der oberste Richter
der Sachsen im Frieden, ihr Heerführer im Kriege. Die Institution des
„Sachsengrafen" besteht auch heute, er hat seinen Sitz in Hermannstadt. —


Grenzboten IV 191« 20
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[0317] Die deutschen Einwanderungen in Siebenbürgen Über die Zahl der Einwanderer läßt sich wohl kaum etwas Bestimmtes sagen. Man hat die Zahl der ursprünglichen Höfe auf fünfzigtausend schätzen wollen. Sicher ist das eher zu hoch als zu niedrig gegriffen. — Umsomehr Bewunderung verdient die Leistung der Einwanderer. Nicht nur die rund 300 Ortschaften Siebenbürgens, die heute noch deutsch sind, sondern wohl auch die meisten Orte, die heute entnationalisiert sind und bei denen nur noch ein vor den Namen gesetztes „Szaß" oder „N6met" (----der Deutsche) verrät, daß hier einst Deutsche die Herren waren, sind von ihnen gegründet worden. Die zahl¬ reichen Kämpfe, die über das Land gebraust sind, Mongolen- und Türken¬ einfälle, Seuchen und sonstige Nöte brachten es mit sich, daß hier der deutsche Laut erstarb. An die Stelle der alten Bewohner traten dann später Rumänen und Maygaren. „^6 retinLnäam eoronam", zum Schutze der Krone waren die Sachsen berufen worden, wie die Inschrift des Hermannftädter Wappens besagt. Heute meh erinnert ein alter Volksbrauch im Dorfe Nadesch daran. Alljährlich treten an einem bestimmten Tage die Burschen gegürtet, die Tasche an der Seite, den Streitkolben in der Hand, ihre Fahne vorantragend einen Umzug durch die Straßen der Gemeinde an. An ihrer Spitze schreitet ein alter Bauer, die Trommel schlagend. Fragt man aber die Burschen nach der Bedeutung ihres Tuns, so antworten sie: „Also sind einst unsere Vorfahren, freie Leute, nicht Jobagyen (-Hörige), wie wir waren, aus Saxonia in dies Land gekommen hinter der Fahne und der Bunge (---Trommel) her, die Waffen in der Hand und haben Kriegsdienste getan." (Vgl. Müllers „siebenbürgische Sagen", Hermannstadt.) Tatsächlich haben diese Kolonien das Gepräge eines einzigen großen Heerlagers getragen. Ihr Dasein war zwischen schwerer Friedensarbeit und noch schwereren kriegerischen Tun geteilt. Und wenn es wahr ist, was Geisas Sohn und Nachfolger, Bela, einmal rühmte, daß er allein von seinen sächsischen Kolonisten fünfzehntausend Mark Silbers an Abgaben erhalte, so wäre diese sür damalige Zeiten außerordentliche Summe ein glänzender Beweis dafür, wie sehr es die Ansiedler verstanden, trotz der gefahrvollen Umstände den Wohlstand des Landes zu heben. Andreas der Zweite, Bolas Nachfolger, ist für die Sachsengeschichte insofern von Bedeutung geworden, als er ihnen den sogenannten „Goldenen Freibrief" verlieh (1224). Durch ihn wurde das Dasein der Sachsen auf eine erweiterte und rechtlich gesicherte Grundlage gestellt. Durch das „Andreanum" wurden sämtliche Kolonien des „alten Landes" zu einem Gau vereinigt und so die Verschmelzung der Ansiedlergruppen zur „sächsischen Nation" vorbereitet. An die Spitze des Gaues wurde der „Sachsen¬ graf" gestellt, den der König zu ernennen hatte, der aber seit Mathias Corvinus von der Stadtgemeinde Hermannstadt gewählt wird; er war der oberste Richter der Sachsen im Frieden, ihr Heerführer im Kriege. Die Institution des „Sachsengrafen" besteht auch heute, er hat seinen Sitz in Hermannstadt. — Grenzboten IV 191« 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/317>, abgerufen am 26.05.2024.