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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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von Not und Teuerung vor hundert Jahren und ihrer Abwehr

wichtiger als die direkte Unterstützung, die von diesen Vereinigungen aus¬
ging, ist ihr Einfluß auf die allgemeine Festsetzung der Getreidepreise gewesen.
Denn es ist klar, daß durch sie den schlimmsten Preistreibereien und dem
furchtbarsten Wucher Einhalt getan wurde. Einer der ersten und erfolgreichsten
war der Elberfelder Verein. Er wurde bereits im Sommer 1816 gegründet.
Anfang Dezember hat er anscheinend die ersten "Brotmarken" eingeführt. Sie
wurden geprägt, um dem Mißbrauch zu steuern, daß das auf Kosten des Ver¬
eins gebackene billige Brot aus Elberfeld ausgeführt und so den Bedürftigen
der Stadt entzogen würde. Jeder Arme erhielt soviel Brotmarken, als ihm
nach dem Satz von ^ Pfund für den Kopf und Tag zukamen. Diese Marken
kosteten das Stück 5 Stüver. Man gab sie den Bäckern zu diesem Werte in
Zahlung. Dieser wieder konnte mit ihnen den von der Vereinsdeputation ge¬
lieferten Roggen kaufen.

Unendlich wichtiger noch als die Tätigkeit dieser Vereine waren die Ma߬
regeln, die die einzelnen Staaten und Regierungen zur Bekämpfung der Not
ergriffen. Ganz allgemein war die Verfügung von Ausfuhrverboten und die
Befreiung der Getreideeinfuhr von Abgaben und Zöllen. So erfolgten Aus¬
fuhrverbote in den Niederlanden. Luxemburg, Frankreich, Marokko und zahlreichen
deutschen Staaten. Frankreich ging sogar noch einen Schritt weiter. Es setzte schon
im November 1816 Prämien fest für die Einfuhr von Getreide: 5 Francs für
den Zentner Weizen, 3^ Francs für Roggen und 2^/" Francs für Gerste. Es
erfolgte daraus eine ziemlich beträchtliche Einfuhr von Odessa und. nach der
Aufhebung des Ausfuhrverbotes von Marokko, auch von dort über Marseille
nach Frankreich. Ein Teil davon (40000 Tonnen) durste mit besonderer Ge¬
nehmigung der französischen Regierung nach der notleidenden Schweiz durch¬
geführt werden. Von vielen Regierungen wurde das Bierbrauen ganz oder
teilweise untersagt, ebenso das Brennen von Korn- und Kartoffelschnaps. In
der Schweiz ging man in einzelnen Kantonen soweit, das Backen von Kuchen
und das Abhalten von Lustbarkeiten einschließlich des Theaters zu verbieten,
um unnützes Geldausgeben zu verbinden.

In Deutschland fehlte es bei der durch den Wiener Kongreß neu geschaf¬
fenen Zersplitterung im Deutschen Bunde an der notwendigen Einheitlichkeit
der zu ergreifenden Maßregeln. Zwar ist von Preußen versucht worden, auf
dem Bundestag ein Übereinkommen mit den andern deutschen Staaten zu
schließen, um alle Hindernisse zu beseitigen, die dem freien Verkehr mit Ge¬
treide und sonstigen Lebensmitteln im Wege standen.*) Ob ein solch allge¬
meines Abkommen wirklich erzielt worden ist, läßt sich aus den vorliegenden
Quellen nicht ermitteln. Anscheinend ist nur jedesmal von Fall zu Fall
Mischen den in Betracht kommenden Bundesstaaten ein Übereinkommen erreicht
worden. Immerhin haben die einzelnen Regierungen alles versucht, die Herr-



*) Korrespondent vom 4. Dez. 1316.
von Not und Teuerung vor hundert Jahren und ihrer Abwehr

wichtiger als die direkte Unterstützung, die von diesen Vereinigungen aus¬
ging, ist ihr Einfluß auf die allgemeine Festsetzung der Getreidepreise gewesen.
Denn es ist klar, daß durch sie den schlimmsten Preistreibereien und dem
furchtbarsten Wucher Einhalt getan wurde. Einer der ersten und erfolgreichsten
war der Elberfelder Verein. Er wurde bereits im Sommer 1816 gegründet.
Anfang Dezember hat er anscheinend die ersten „Brotmarken" eingeführt. Sie
wurden geprägt, um dem Mißbrauch zu steuern, daß das auf Kosten des Ver¬
eins gebackene billige Brot aus Elberfeld ausgeführt und so den Bedürftigen
der Stadt entzogen würde. Jeder Arme erhielt soviel Brotmarken, als ihm
nach dem Satz von ^ Pfund für den Kopf und Tag zukamen. Diese Marken
kosteten das Stück 5 Stüver. Man gab sie den Bäckern zu diesem Werte in
Zahlung. Dieser wieder konnte mit ihnen den von der Vereinsdeputation ge¬
lieferten Roggen kaufen.

Unendlich wichtiger noch als die Tätigkeit dieser Vereine waren die Ma߬
regeln, die die einzelnen Staaten und Regierungen zur Bekämpfung der Not
ergriffen. Ganz allgemein war die Verfügung von Ausfuhrverboten und die
Befreiung der Getreideeinfuhr von Abgaben und Zöllen. So erfolgten Aus¬
fuhrverbote in den Niederlanden. Luxemburg, Frankreich, Marokko und zahlreichen
deutschen Staaten. Frankreich ging sogar noch einen Schritt weiter. Es setzte schon
im November 1816 Prämien fest für die Einfuhr von Getreide: 5 Francs für
den Zentner Weizen, 3^ Francs für Roggen und 2^/» Francs für Gerste. Es
erfolgte daraus eine ziemlich beträchtliche Einfuhr von Odessa und. nach der
Aufhebung des Ausfuhrverbotes von Marokko, auch von dort über Marseille
nach Frankreich. Ein Teil davon (40000 Tonnen) durste mit besonderer Ge¬
nehmigung der französischen Regierung nach der notleidenden Schweiz durch¬
geführt werden. Von vielen Regierungen wurde das Bierbrauen ganz oder
teilweise untersagt, ebenso das Brennen von Korn- und Kartoffelschnaps. In
der Schweiz ging man in einzelnen Kantonen soweit, das Backen von Kuchen
und das Abhalten von Lustbarkeiten einschließlich des Theaters zu verbieten,
um unnützes Geldausgeben zu verbinden.

In Deutschland fehlte es bei der durch den Wiener Kongreß neu geschaf¬
fenen Zersplitterung im Deutschen Bunde an der notwendigen Einheitlichkeit
der zu ergreifenden Maßregeln. Zwar ist von Preußen versucht worden, auf
dem Bundestag ein Übereinkommen mit den andern deutschen Staaten zu
schließen, um alle Hindernisse zu beseitigen, die dem freien Verkehr mit Ge¬
treide und sonstigen Lebensmitteln im Wege standen.*) Ob ein solch allge¬
meines Abkommen wirklich erzielt worden ist, läßt sich aus den vorliegenden
Quellen nicht ermitteln. Anscheinend ist nur jedesmal von Fall zu Fall
Mischen den in Betracht kommenden Bundesstaaten ein Übereinkommen erreicht
worden. Immerhin haben die einzelnen Regierungen alles versucht, die Herr-



*) Korrespondent vom 4. Dez. 1316.
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[0353] von Not und Teuerung vor hundert Jahren und ihrer Abwehr wichtiger als die direkte Unterstützung, die von diesen Vereinigungen aus¬ ging, ist ihr Einfluß auf die allgemeine Festsetzung der Getreidepreise gewesen. Denn es ist klar, daß durch sie den schlimmsten Preistreibereien und dem furchtbarsten Wucher Einhalt getan wurde. Einer der ersten und erfolgreichsten war der Elberfelder Verein. Er wurde bereits im Sommer 1816 gegründet. Anfang Dezember hat er anscheinend die ersten „Brotmarken" eingeführt. Sie wurden geprägt, um dem Mißbrauch zu steuern, daß das auf Kosten des Ver¬ eins gebackene billige Brot aus Elberfeld ausgeführt und so den Bedürftigen der Stadt entzogen würde. Jeder Arme erhielt soviel Brotmarken, als ihm nach dem Satz von ^ Pfund für den Kopf und Tag zukamen. Diese Marken kosteten das Stück 5 Stüver. Man gab sie den Bäckern zu diesem Werte in Zahlung. Dieser wieder konnte mit ihnen den von der Vereinsdeputation ge¬ lieferten Roggen kaufen. Unendlich wichtiger noch als die Tätigkeit dieser Vereine waren die Ma߬ regeln, die die einzelnen Staaten und Regierungen zur Bekämpfung der Not ergriffen. Ganz allgemein war die Verfügung von Ausfuhrverboten und die Befreiung der Getreideeinfuhr von Abgaben und Zöllen. So erfolgten Aus¬ fuhrverbote in den Niederlanden. Luxemburg, Frankreich, Marokko und zahlreichen deutschen Staaten. Frankreich ging sogar noch einen Schritt weiter. Es setzte schon im November 1816 Prämien fest für die Einfuhr von Getreide: 5 Francs für den Zentner Weizen, 3^ Francs für Roggen und 2^/» Francs für Gerste. Es erfolgte daraus eine ziemlich beträchtliche Einfuhr von Odessa und. nach der Aufhebung des Ausfuhrverbotes von Marokko, auch von dort über Marseille nach Frankreich. Ein Teil davon (40000 Tonnen) durste mit besonderer Ge¬ nehmigung der französischen Regierung nach der notleidenden Schweiz durch¬ geführt werden. Von vielen Regierungen wurde das Bierbrauen ganz oder teilweise untersagt, ebenso das Brennen von Korn- und Kartoffelschnaps. In der Schweiz ging man in einzelnen Kantonen soweit, das Backen von Kuchen und das Abhalten von Lustbarkeiten einschließlich des Theaters zu verbieten, um unnützes Geldausgeben zu verbinden. In Deutschland fehlte es bei der durch den Wiener Kongreß neu geschaf¬ fenen Zersplitterung im Deutschen Bunde an der notwendigen Einheitlichkeit der zu ergreifenden Maßregeln. Zwar ist von Preußen versucht worden, auf dem Bundestag ein Übereinkommen mit den andern deutschen Staaten zu schließen, um alle Hindernisse zu beseitigen, die dem freien Verkehr mit Ge¬ treide und sonstigen Lebensmitteln im Wege standen.*) Ob ein solch allge¬ meines Abkommen wirklich erzielt worden ist, läßt sich aus den vorliegenden Quellen nicht ermitteln. Anscheinend ist nur jedesmal von Fall zu Fall Mischen den in Betracht kommenden Bundesstaaten ein Übereinkommen erreicht worden. Immerhin haben die einzelnen Regierungen alles versucht, die Herr- *) Korrespondent vom 4. Dez. 1316.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/353>, abgerufen am 27.05.2024.