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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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von Not und Teuerung vor hundert Jahren und ihrer Abwehr

scheute Not zu lindern. Der König von Württemberg ließ als erster das Wild
in seinen Forsten abschießen und die Tiergärten schließen, um die dafür aufge¬
stapelten Vorräte dem Volke zugute kommen zu lassen. Das Fleisch der ge¬
töteten Tiere wurde zu billigsten Preisen verkauft. Der Pferdebestand der
Kavallerie wurde beträchtlich vermindert. Wichtiger aber noch als solche, auch
in einigen anderen Bundesstaaten erlassenen Anordnungen, war der Ankauf
größerer Mengen Getreide durch die einzelnen Regierungen in den russischen
Ostseeprovinzen und in Polen. So sicherten sich Württemberg. Bayern, Hessen
und vor allen Sachsen und Preußen große Vorräte, die allerdings meist erst
im Frühjahr 1817, nachdem die russischen und preußischen Flüsse eisfrei ge¬
worden waren, zur Ablieferung kommen konnten, um den besonders notleidenden
Gegenden zugeführt zu werden. Allein in Preußen wurden wett über zwei Mil¬
lionen Taler dafür ausgesetzt und ein besonderer Kommissar mit der Angelegen¬
heit betraut.*) Der größte Teil des von Preußen aufgekauften Getreides ging
über Holland, den Rhein und den Münsterschen Max-Clemenskanal, ferner
über Eins und Weser nach dem Niederrhein und Westfalen. Aus dem Rhein¬
land ist noch eine Einrichtung bemerkenswert. Für Köln wurde, um den Vor¬
ankauf von Lebensmitteln und den damit verbundenen Wucher zu verhindern,
ausdrücklich bestimmt, daß alles zum Verkauf bestimmte Getreide auf dem
Fruchtmarkt zum öffentlichen Verkauf gebracht werden müsse. Die Zufuhr des
auf den Flüssen angelieferten Getreides in die weiter abgelegenen Bezirke er¬
folgte teils durch freiwillige Fuhren, oder, wie in Sachsen, auf Kosten der
Landeskassen. Die weitere Verteilung wurde durch Beratung mit den Kreis¬
behörden geregelt und durch Kommissionen vorgenommen, die aus Mitgliedern
der Kreisbehörde, den Ortspsarrern und Abgeordneten der "Kornvereine", oder
sonst angesehenen Männern bestanden. Neben dieser direkten Versorgung mit
Lebensmitteln wurde aber auch nicht vergessen, den Arbeitslosen Arbeit und
Beschäftigung zu verschaffen.

So ist man, so gut es bei den damaligen Verhältnissen ging, über die
schwierige Zeit hinweggekommen, und der furchtbarsten Not konnte nach Mög¬
lichkeit Einhalt getan werden. Daß hier und dort Mißstände nicht ganz be¬
seitigt werden konnten, ist aus den überaus schlechten Transport- und Wege¬
verhältnissen zu erklären. Jedenfalls haben freiwillige Hilfe von einzelnen und
den "Kornvereinen" und die Regierungen getan, was in ihren Kräften stand,
um der Not Herr zu werden.

Daß in dieser Zeit die Auswanderung besonders stark einsetzte, ist nicht
zu verwundern. Von Mainz wird Anfang Mai 1817 berichtet, daß seit
Januar desselben Jahres bereits über 10000 Auswanderer aus Süddeutschland
die Stadt passiert hätten. Eine ähnlich starke Auswanderung scheint über
Hamburg erfolgt zu sein.



*) Kgl. Kabinettsordre gegen den Wucher vom 30. Nov. ISIS.
von Not und Teuerung vor hundert Jahren und ihrer Abwehr

scheute Not zu lindern. Der König von Württemberg ließ als erster das Wild
in seinen Forsten abschießen und die Tiergärten schließen, um die dafür aufge¬
stapelten Vorräte dem Volke zugute kommen zu lassen. Das Fleisch der ge¬
töteten Tiere wurde zu billigsten Preisen verkauft. Der Pferdebestand der
Kavallerie wurde beträchtlich vermindert. Wichtiger aber noch als solche, auch
in einigen anderen Bundesstaaten erlassenen Anordnungen, war der Ankauf
größerer Mengen Getreide durch die einzelnen Regierungen in den russischen
Ostseeprovinzen und in Polen. So sicherten sich Württemberg. Bayern, Hessen
und vor allen Sachsen und Preußen große Vorräte, die allerdings meist erst
im Frühjahr 1817, nachdem die russischen und preußischen Flüsse eisfrei ge¬
worden waren, zur Ablieferung kommen konnten, um den besonders notleidenden
Gegenden zugeführt zu werden. Allein in Preußen wurden wett über zwei Mil¬
lionen Taler dafür ausgesetzt und ein besonderer Kommissar mit der Angelegen¬
heit betraut.*) Der größte Teil des von Preußen aufgekauften Getreides ging
über Holland, den Rhein und den Münsterschen Max-Clemenskanal, ferner
über Eins und Weser nach dem Niederrhein und Westfalen. Aus dem Rhein¬
land ist noch eine Einrichtung bemerkenswert. Für Köln wurde, um den Vor¬
ankauf von Lebensmitteln und den damit verbundenen Wucher zu verhindern,
ausdrücklich bestimmt, daß alles zum Verkauf bestimmte Getreide auf dem
Fruchtmarkt zum öffentlichen Verkauf gebracht werden müsse. Die Zufuhr des
auf den Flüssen angelieferten Getreides in die weiter abgelegenen Bezirke er¬
folgte teils durch freiwillige Fuhren, oder, wie in Sachsen, auf Kosten der
Landeskassen. Die weitere Verteilung wurde durch Beratung mit den Kreis¬
behörden geregelt und durch Kommissionen vorgenommen, die aus Mitgliedern
der Kreisbehörde, den Ortspsarrern und Abgeordneten der „Kornvereine", oder
sonst angesehenen Männern bestanden. Neben dieser direkten Versorgung mit
Lebensmitteln wurde aber auch nicht vergessen, den Arbeitslosen Arbeit und
Beschäftigung zu verschaffen.

So ist man, so gut es bei den damaligen Verhältnissen ging, über die
schwierige Zeit hinweggekommen, und der furchtbarsten Not konnte nach Mög¬
lichkeit Einhalt getan werden. Daß hier und dort Mißstände nicht ganz be¬
seitigt werden konnten, ist aus den überaus schlechten Transport- und Wege¬
verhältnissen zu erklären. Jedenfalls haben freiwillige Hilfe von einzelnen und
den „Kornvereinen" und die Regierungen getan, was in ihren Kräften stand,
um der Not Herr zu werden.

Daß in dieser Zeit die Auswanderung besonders stark einsetzte, ist nicht
zu verwundern. Von Mainz wird Anfang Mai 1817 berichtet, daß seit
Januar desselben Jahres bereits über 10000 Auswanderer aus Süddeutschland
die Stadt passiert hätten. Eine ähnlich starke Auswanderung scheint über
Hamburg erfolgt zu sein.



*) Kgl. Kabinettsordre gegen den Wucher vom 30. Nov. ISIS.
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[0354] von Not und Teuerung vor hundert Jahren und ihrer Abwehr scheute Not zu lindern. Der König von Württemberg ließ als erster das Wild in seinen Forsten abschießen und die Tiergärten schließen, um die dafür aufge¬ stapelten Vorräte dem Volke zugute kommen zu lassen. Das Fleisch der ge¬ töteten Tiere wurde zu billigsten Preisen verkauft. Der Pferdebestand der Kavallerie wurde beträchtlich vermindert. Wichtiger aber noch als solche, auch in einigen anderen Bundesstaaten erlassenen Anordnungen, war der Ankauf größerer Mengen Getreide durch die einzelnen Regierungen in den russischen Ostseeprovinzen und in Polen. So sicherten sich Württemberg. Bayern, Hessen und vor allen Sachsen und Preußen große Vorräte, die allerdings meist erst im Frühjahr 1817, nachdem die russischen und preußischen Flüsse eisfrei ge¬ worden waren, zur Ablieferung kommen konnten, um den besonders notleidenden Gegenden zugeführt zu werden. Allein in Preußen wurden wett über zwei Mil¬ lionen Taler dafür ausgesetzt und ein besonderer Kommissar mit der Angelegen¬ heit betraut.*) Der größte Teil des von Preußen aufgekauften Getreides ging über Holland, den Rhein und den Münsterschen Max-Clemenskanal, ferner über Eins und Weser nach dem Niederrhein und Westfalen. Aus dem Rhein¬ land ist noch eine Einrichtung bemerkenswert. Für Köln wurde, um den Vor¬ ankauf von Lebensmitteln und den damit verbundenen Wucher zu verhindern, ausdrücklich bestimmt, daß alles zum Verkauf bestimmte Getreide auf dem Fruchtmarkt zum öffentlichen Verkauf gebracht werden müsse. Die Zufuhr des auf den Flüssen angelieferten Getreides in die weiter abgelegenen Bezirke er¬ folgte teils durch freiwillige Fuhren, oder, wie in Sachsen, auf Kosten der Landeskassen. Die weitere Verteilung wurde durch Beratung mit den Kreis¬ behörden geregelt und durch Kommissionen vorgenommen, die aus Mitgliedern der Kreisbehörde, den Ortspsarrern und Abgeordneten der „Kornvereine", oder sonst angesehenen Männern bestanden. Neben dieser direkten Versorgung mit Lebensmitteln wurde aber auch nicht vergessen, den Arbeitslosen Arbeit und Beschäftigung zu verschaffen. So ist man, so gut es bei den damaligen Verhältnissen ging, über die schwierige Zeit hinweggekommen, und der furchtbarsten Not konnte nach Mög¬ lichkeit Einhalt getan werden. Daß hier und dort Mißstände nicht ganz be¬ seitigt werden konnten, ist aus den überaus schlechten Transport- und Wege¬ verhältnissen zu erklären. Jedenfalls haben freiwillige Hilfe von einzelnen und den „Kornvereinen" und die Regierungen getan, was in ihren Kräften stand, um der Not Herr zu werden. Daß in dieser Zeit die Auswanderung besonders stark einsetzte, ist nicht zu verwundern. Von Mainz wird Anfang Mai 1817 berichtet, daß seit Januar desselben Jahres bereits über 10000 Auswanderer aus Süddeutschland die Stadt passiert hätten. Eine ähnlich starke Auswanderung scheint über Hamburg erfolgt zu sein. *) Kgl. Kabinettsordre gegen den Wucher vom 30. Nov. ISIS.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/354>, abgerufen am 13.05.2024.