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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Kultur und Sprache

wechselnden Formen in ganz Niederdeutschland, im mitteldeutschen Westen bis
an den Rhein überall, vom Rhein ostwärts im nördlichen Baden, in Hessen,
Thüringen, Anhalt und Nordschlesien. Das übrige Schlesien teilt mit Österreich
den Namen Rauchfang, der gleichfalls aus seiner Verwendung im alten Rauch¬
haus durch Bedeutungswandel in seine geltende Bedeutung übergeführt ist. Auf
dem gleichen Weg ist drittens Esse aus dem "Feuerherd des Metallarbeiters"
zum Schornstein auch des Wohnhauses geworden und dafür jetzt der gangbare
Ausdruck im Königreich Sachsen und seiner Nachbarschaft. Durch Metapher
endlich wurde mittelhochdeutsch 8lLte "Rohr, Schilf" zum einzeln ragenden
Schornstein, es gilt in der Form Schlot vor allem im Ostfränkischen und hat
sich von da aus verbreitet.

Drei Wege tun sich hier auf, die Spannung zwischen Kultur und Sprache
zu entfernen: Entlehnung, Bedeutungswandel und Metapher. Von diesen Dreien
ist die Metapher eine mehr gelegentliche Auskunft, nur da anwendbar, wo in
glücklicher Stunde der Phantasie eine Kombination gelingt, die so schlagkräftig
ist, daß sie Tausenden von Sprachgenossen einleuchtet und darum Dauer gewinnt.
So ist es schwer, das Wirken der Metapher in feste Gesetze zu fassen. Da¬
gegen Entlehnung und Bedeutungswandel sind stetig wirkende Kräfte, von
höchster Bedeutung in dem Verhältnis zwischen Kulturfortschritt und Entwicklung
des Wortschatzes.

Entlehnung der Wörter vollzieht sich Hand in Hand mit der Entlehnung
der Sachen. Unsere Wörter Spiegel und Münze sind entlehnt aus lat. Zpeculum
und monsta. Bodenfunde in Westdeutschland zeigen, daß römische Spiegel
und Münzen der Kaiserzeit ins alte Deutschland eingeführt worden sind, Cäsar
und Tacitus erzählen, daß römische Kaufleute die Germanen besucht haben, und
wie ein Denkmal steht in unserer Sprache das Wort kaufen, zu lat. eaupo
"Schankwirt, Händler" gebildet, ein Beweis dafür, daß die alten Deutschen die
Formen des geordneten Handelsverkehrs den Römern abgelernt haben. Sprach¬
liche und kulturgeschichtliche Kenntnis ergänzen sich hier zum geschlossenen Bilde.
Wo wir keinen solchen glücklichen Reichtum an Nachrichten besitzen, dürfen wir
nach Erfahrungen wie den hier gewonnenen die Lücken unseres kulturgeschicht¬
lichen Wissens aus dem sprachlichen ergänzen. Ein moderner Sprachforscher*)
hat mit Recht gesagt: "Hätten wir keine anderen Nachrichten, würden wir
trotzdem aus den Lehnwörtern die verschiedenen Kulturbeziehungen der Völker
Europas in den Hauptzügen nachweisen können." Wir wüßten aus Lehn¬
wörtern wie Mauer, Pforte, Ziegel, Söller, Speicher, Keller, daß der deutsche
Hausbau in früher Vorzeit einen starken Anstoß von der römischen Kulturwelt
her erfahren hat. Wir wüßten aus Worten wie Anker und Kette, daß zu
gleicher Zeit die gleiche Anregung der deutschen Schmiedekunst und durch sie
der Schiffahrt, aus Speise und Kochen, Spinat und Essig, daß sie der deutschen



*) Kr. Sandfeld-Imsen: "Die Sprachwissenschaft", B. G. Teubner, Leipzig 1915,
S. SS. Dem empfehlenswerten Büchlein dankt diese Skizze mancherlei Anregung.
Kultur und Sprache

wechselnden Formen in ganz Niederdeutschland, im mitteldeutschen Westen bis
an den Rhein überall, vom Rhein ostwärts im nördlichen Baden, in Hessen,
Thüringen, Anhalt und Nordschlesien. Das übrige Schlesien teilt mit Österreich
den Namen Rauchfang, der gleichfalls aus seiner Verwendung im alten Rauch¬
haus durch Bedeutungswandel in seine geltende Bedeutung übergeführt ist. Auf
dem gleichen Weg ist drittens Esse aus dem „Feuerherd des Metallarbeiters"
zum Schornstein auch des Wohnhauses geworden und dafür jetzt der gangbare
Ausdruck im Königreich Sachsen und seiner Nachbarschaft. Durch Metapher
endlich wurde mittelhochdeutsch 8lLte „Rohr, Schilf" zum einzeln ragenden
Schornstein, es gilt in der Form Schlot vor allem im Ostfränkischen und hat
sich von da aus verbreitet.

Drei Wege tun sich hier auf, die Spannung zwischen Kultur und Sprache
zu entfernen: Entlehnung, Bedeutungswandel und Metapher. Von diesen Dreien
ist die Metapher eine mehr gelegentliche Auskunft, nur da anwendbar, wo in
glücklicher Stunde der Phantasie eine Kombination gelingt, die so schlagkräftig
ist, daß sie Tausenden von Sprachgenossen einleuchtet und darum Dauer gewinnt.
So ist es schwer, das Wirken der Metapher in feste Gesetze zu fassen. Da¬
gegen Entlehnung und Bedeutungswandel sind stetig wirkende Kräfte, von
höchster Bedeutung in dem Verhältnis zwischen Kulturfortschritt und Entwicklung
des Wortschatzes.

Entlehnung der Wörter vollzieht sich Hand in Hand mit der Entlehnung
der Sachen. Unsere Wörter Spiegel und Münze sind entlehnt aus lat. Zpeculum
und monsta. Bodenfunde in Westdeutschland zeigen, daß römische Spiegel
und Münzen der Kaiserzeit ins alte Deutschland eingeführt worden sind, Cäsar
und Tacitus erzählen, daß römische Kaufleute die Germanen besucht haben, und
wie ein Denkmal steht in unserer Sprache das Wort kaufen, zu lat. eaupo
„Schankwirt, Händler" gebildet, ein Beweis dafür, daß die alten Deutschen die
Formen des geordneten Handelsverkehrs den Römern abgelernt haben. Sprach¬
liche und kulturgeschichtliche Kenntnis ergänzen sich hier zum geschlossenen Bilde.
Wo wir keinen solchen glücklichen Reichtum an Nachrichten besitzen, dürfen wir
nach Erfahrungen wie den hier gewonnenen die Lücken unseres kulturgeschicht¬
lichen Wissens aus dem sprachlichen ergänzen. Ein moderner Sprachforscher*)
hat mit Recht gesagt: „Hätten wir keine anderen Nachrichten, würden wir
trotzdem aus den Lehnwörtern die verschiedenen Kulturbeziehungen der Völker
Europas in den Hauptzügen nachweisen können." Wir wüßten aus Lehn¬
wörtern wie Mauer, Pforte, Ziegel, Söller, Speicher, Keller, daß der deutsche
Hausbau in früher Vorzeit einen starken Anstoß von der römischen Kulturwelt
her erfahren hat. Wir wüßten aus Worten wie Anker und Kette, daß zu
gleicher Zeit die gleiche Anregung der deutschen Schmiedekunst und durch sie
der Schiffahrt, aus Speise und Kochen, Spinat und Essig, daß sie der deutschen



*) Kr. Sandfeld-Imsen: „Die Sprachwissenschaft", B. G. Teubner, Leipzig 1915,
S. SS. Dem empfehlenswerten Büchlein dankt diese Skizze mancherlei Anregung.
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[0356] Kultur und Sprache wechselnden Formen in ganz Niederdeutschland, im mitteldeutschen Westen bis an den Rhein überall, vom Rhein ostwärts im nördlichen Baden, in Hessen, Thüringen, Anhalt und Nordschlesien. Das übrige Schlesien teilt mit Österreich den Namen Rauchfang, der gleichfalls aus seiner Verwendung im alten Rauch¬ haus durch Bedeutungswandel in seine geltende Bedeutung übergeführt ist. Auf dem gleichen Weg ist drittens Esse aus dem „Feuerherd des Metallarbeiters" zum Schornstein auch des Wohnhauses geworden und dafür jetzt der gangbare Ausdruck im Königreich Sachsen und seiner Nachbarschaft. Durch Metapher endlich wurde mittelhochdeutsch 8lLte „Rohr, Schilf" zum einzeln ragenden Schornstein, es gilt in der Form Schlot vor allem im Ostfränkischen und hat sich von da aus verbreitet. Drei Wege tun sich hier auf, die Spannung zwischen Kultur und Sprache zu entfernen: Entlehnung, Bedeutungswandel und Metapher. Von diesen Dreien ist die Metapher eine mehr gelegentliche Auskunft, nur da anwendbar, wo in glücklicher Stunde der Phantasie eine Kombination gelingt, die so schlagkräftig ist, daß sie Tausenden von Sprachgenossen einleuchtet und darum Dauer gewinnt. So ist es schwer, das Wirken der Metapher in feste Gesetze zu fassen. Da¬ gegen Entlehnung und Bedeutungswandel sind stetig wirkende Kräfte, von höchster Bedeutung in dem Verhältnis zwischen Kulturfortschritt und Entwicklung des Wortschatzes. Entlehnung der Wörter vollzieht sich Hand in Hand mit der Entlehnung der Sachen. Unsere Wörter Spiegel und Münze sind entlehnt aus lat. Zpeculum und monsta. Bodenfunde in Westdeutschland zeigen, daß römische Spiegel und Münzen der Kaiserzeit ins alte Deutschland eingeführt worden sind, Cäsar und Tacitus erzählen, daß römische Kaufleute die Germanen besucht haben, und wie ein Denkmal steht in unserer Sprache das Wort kaufen, zu lat. eaupo „Schankwirt, Händler" gebildet, ein Beweis dafür, daß die alten Deutschen die Formen des geordneten Handelsverkehrs den Römern abgelernt haben. Sprach¬ liche und kulturgeschichtliche Kenntnis ergänzen sich hier zum geschlossenen Bilde. Wo wir keinen solchen glücklichen Reichtum an Nachrichten besitzen, dürfen wir nach Erfahrungen wie den hier gewonnenen die Lücken unseres kulturgeschicht¬ lichen Wissens aus dem sprachlichen ergänzen. Ein moderner Sprachforscher*) hat mit Recht gesagt: „Hätten wir keine anderen Nachrichten, würden wir trotzdem aus den Lehnwörtern die verschiedenen Kulturbeziehungen der Völker Europas in den Hauptzügen nachweisen können." Wir wüßten aus Lehn¬ wörtern wie Mauer, Pforte, Ziegel, Söller, Speicher, Keller, daß der deutsche Hausbau in früher Vorzeit einen starken Anstoß von der römischen Kulturwelt her erfahren hat. Wir wüßten aus Worten wie Anker und Kette, daß zu gleicher Zeit die gleiche Anregung der deutschen Schmiedekunst und durch sie der Schiffahrt, aus Speise und Kochen, Spinat und Essig, daß sie der deutschen *) Kr. Sandfeld-Imsen: „Die Sprachwissenschaft", B. G. Teubner, Leipzig 1915, S. SS. Dem empfehlenswerten Büchlein dankt diese Skizze mancherlei Anregung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/356>, abgerufen am 13.05.2024.