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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Kultur und Sprache

Küche zuteil geworden ist, und wir erführen aus Brief, Siegel und Schreiben,
daß zu gleicher Zeit die Deutschen von den Römern die Schreibkunst über¬
nommen haben.

In alter Zeit ist es die tiefgehende Kraft einheitlicher Kulturanstöße, in
neuer Zeit die Buntheit der weltumspannenden Einflüsse, die uns überrascht.
Da steht der arabische Kaffee neben dem annamitischen Tee. der indische Zucker
neben dem malaischen Sago und dem amerikanischen Tabak, wenn wir uns zu¬
nächst rein auf die äußerliche technische Kultur und ihren gangbarsten Wortvorrat
beschränken. Aber all das gilt eben auch von der Herübernahme geselliger, sitt¬
licher und geistiger Kultur. Wenn im Deutschen des siebzehnten Jahrhunderts
eine Welle spanischer Lehnwörter auftritt, Galan, Dame. Baselman "Handkuß"
aus span. Miau, äanm, beso las manos "ich küsse die Hände", ohne sichtbare
Spuren der sonst üblichen französischen Vermittlung, auch nicht zuerst an der
Westgrenze des deutschen Sprachgebiets, sondern viel früher weit im Osten, in
Österreich, wenn zudem alle diese Wörter in die Welt höfischer Geselligkeit weisen,
so lenkt sich der Blick auf den Wiener Hof der spanisch-östereichischen Habs¬
burger, der in der Tat hier die vermittelnde Rolle gespielt hat. Zugleich wird
sichtbar, welche Bedeutung und Macht das Hofleben jener Zeit gehabt, wie stark
es auf die Entwicklung der Sprache eingewirkt hat. So spiegeln die Lehnwörter
die verschiedenen Kulturströmungen wieder und zeigen in ihrer Gesamtheit, was
ein Volk vom anderen gelernt hat.

Aber man darf, wenn man diese Einflüsse abmessen will, nicht bei den
Wörtern stehen bleiben, die fremdes Lautgewand tragen. Wolkenkratzer ist
äußerlich rein aus deutschen Sprachmitteln gebildet, und doch würden wir das
deutsche Wort nicht gebrauchen, wäre nicht mit Kenntnis und Nachahmung der
himmelhohen Häuser aus Nordamerika das englische Wort öl^ scraper über
den Ozean gelangt. In der Form der Lehnübersetzung ist das Wort zu
Franzosen, Dänen, Russen und in alle europäischen Sprachen gedrungen. Auch
aus diesem Gebiet wieder nimmt geistige Kultur an der Entwicklung bedeut¬
samen Anteil. Zu einer Zeit, da die Germanen aus Eigenem noch nicht zu
den sittlichen Begriffen Gewissen und Mitleid gelangt sein konnten, sind die
Worte, die beide so trefflich bezeichnen, den lateinischen Kirchenwörtern Lonscientia
und compas8w nachgebildet und als Gaben der christlichen Mission zu allen
Germanen und Slawen getragen worden, genau wie vorher die lateinischen
Wörter ihren griechischen Vorbildern -zvv-iZ?,--^ und vo^"'"-!" Silbe um Silbe
nachgebildet worden waren.

Ja, noch schärfer muß man zusehen. Nicht immer ist es nötig, daß die
Lehnübersetzung neue Wörter schafft -- auch neue Bedeutungen können ein¬
heimische Wörter unter ihrem Einfluß entfalten. Unser Wort Stimme hat neben
seiner alten gemeingermanischen Bedeutung ,.vox" die jüngere "votum" entwickelt
als Lehnübersetzung aus französisch voix: Parlamentarismus und Volkssouveränität
sind in Westeuropa älter als bei uns. Anderseits ist es deutsche Entwicklung,


Kultur und Sprache

Küche zuteil geworden ist, und wir erführen aus Brief, Siegel und Schreiben,
daß zu gleicher Zeit die Deutschen von den Römern die Schreibkunst über¬
nommen haben.

In alter Zeit ist es die tiefgehende Kraft einheitlicher Kulturanstöße, in
neuer Zeit die Buntheit der weltumspannenden Einflüsse, die uns überrascht.
Da steht der arabische Kaffee neben dem annamitischen Tee. der indische Zucker
neben dem malaischen Sago und dem amerikanischen Tabak, wenn wir uns zu¬
nächst rein auf die äußerliche technische Kultur und ihren gangbarsten Wortvorrat
beschränken. Aber all das gilt eben auch von der Herübernahme geselliger, sitt¬
licher und geistiger Kultur. Wenn im Deutschen des siebzehnten Jahrhunderts
eine Welle spanischer Lehnwörter auftritt, Galan, Dame. Baselman „Handkuß"
aus span. Miau, äanm, beso las manos „ich küsse die Hände", ohne sichtbare
Spuren der sonst üblichen französischen Vermittlung, auch nicht zuerst an der
Westgrenze des deutschen Sprachgebiets, sondern viel früher weit im Osten, in
Österreich, wenn zudem alle diese Wörter in die Welt höfischer Geselligkeit weisen,
so lenkt sich der Blick auf den Wiener Hof der spanisch-östereichischen Habs¬
burger, der in der Tat hier die vermittelnde Rolle gespielt hat. Zugleich wird
sichtbar, welche Bedeutung und Macht das Hofleben jener Zeit gehabt, wie stark
es auf die Entwicklung der Sprache eingewirkt hat. So spiegeln die Lehnwörter
die verschiedenen Kulturströmungen wieder und zeigen in ihrer Gesamtheit, was
ein Volk vom anderen gelernt hat.

Aber man darf, wenn man diese Einflüsse abmessen will, nicht bei den
Wörtern stehen bleiben, die fremdes Lautgewand tragen. Wolkenkratzer ist
äußerlich rein aus deutschen Sprachmitteln gebildet, und doch würden wir das
deutsche Wort nicht gebrauchen, wäre nicht mit Kenntnis und Nachahmung der
himmelhohen Häuser aus Nordamerika das englische Wort öl^ scraper über
den Ozean gelangt. In der Form der Lehnübersetzung ist das Wort zu
Franzosen, Dänen, Russen und in alle europäischen Sprachen gedrungen. Auch
aus diesem Gebiet wieder nimmt geistige Kultur an der Entwicklung bedeut¬
samen Anteil. Zu einer Zeit, da die Germanen aus Eigenem noch nicht zu
den sittlichen Begriffen Gewissen und Mitleid gelangt sein konnten, sind die
Worte, die beide so trefflich bezeichnen, den lateinischen Kirchenwörtern Lonscientia
und compas8w nachgebildet und als Gaben der christlichen Mission zu allen
Germanen und Slawen getragen worden, genau wie vorher die lateinischen
Wörter ihren griechischen Vorbildern -zvv-iZ?,--^ und vo^«'»-!« Silbe um Silbe
nachgebildet worden waren.

Ja, noch schärfer muß man zusehen. Nicht immer ist es nötig, daß die
Lehnübersetzung neue Wörter schafft — auch neue Bedeutungen können ein¬
heimische Wörter unter ihrem Einfluß entfalten. Unser Wort Stimme hat neben
seiner alten gemeingermanischen Bedeutung ,.vox" die jüngere „votum" entwickelt
als Lehnübersetzung aus französisch voix: Parlamentarismus und Volkssouveränität
sind in Westeuropa älter als bei uns. Anderseits ist es deutsche Entwicklung,


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[0357] Kultur und Sprache Küche zuteil geworden ist, und wir erführen aus Brief, Siegel und Schreiben, daß zu gleicher Zeit die Deutschen von den Römern die Schreibkunst über¬ nommen haben. In alter Zeit ist es die tiefgehende Kraft einheitlicher Kulturanstöße, in neuer Zeit die Buntheit der weltumspannenden Einflüsse, die uns überrascht. Da steht der arabische Kaffee neben dem annamitischen Tee. der indische Zucker neben dem malaischen Sago und dem amerikanischen Tabak, wenn wir uns zu¬ nächst rein auf die äußerliche technische Kultur und ihren gangbarsten Wortvorrat beschränken. Aber all das gilt eben auch von der Herübernahme geselliger, sitt¬ licher und geistiger Kultur. Wenn im Deutschen des siebzehnten Jahrhunderts eine Welle spanischer Lehnwörter auftritt, Galan, Dame. Baselman „Handkuß" aus span. Miau, äanm, beso las manos „ich küsse die Hände", ohne sichtbare Spuren der sonst üblichen französischen Vermittlung, auch nicht zuerst an der Westgrenze des deutschen Sprachgebiets, sondern viel früher weit im Osten, in Österreich, wenn zudem alle diese Wörter in die Welt höfischer Geselligkeit weisen, so lenkt sich der Blick auf den Wiener Hof der spanisch-östereichischen Habs¬ burger, der in der Tat hier die vermittelnde Rolle gespielt hat. Zugleich wird sichtbar, welche Bedeutung und Macht das Hofleben jener Zeit gehabt, wie stark es auf die Entwicklung der Sprache eingewirkt hat. So spiegeln die Lehnwörter die verschiedenen Kulturströmungen wieder und zeigen in ihrer Gesamtheit, was ein Volk vom anderen gelernt hat. Aber man darf, wenn man diese Einflüsse abmessen will, nicht bei den Wörtern stehen bleiben, die fremdes Lautgewand tragen. Wolkenkratzer ist äußerlich rein aus deutschen Sprachmitteln gebildet, und doch würden wir das deutsche Wort nicht gebrauchen, wäre nicht mit Kenntnis und Nachahmung der himmelhohen Häuser aus Nordamerika das englische Wort öl^ scraper über den Ozean gelangt. In der Form der Lehnübersetzung ist das Wort zu Franzosen, Dänen, Russen und in alle europäischen Sprachen gedrungen. Auch aus diesem Gebiet wieder nimmt geistige Kultur an der Entwicklung bedeut¬ samen Anteil. Zu einer Zeit, da die Germanen aus Eigenem noch nicht zu den sittlichen Begriffen Gewissen und Mitleid gelangt sein konnten, sind die Worte, die beide so trefflich bezeichnen, den lateinischen Kirchenwörtern Lonscientia und compas8w nachgebildet und als Gaben der christlichen Mission zu allen Germanen und Slawen getragen worden, genau wie vorher die lateinischen Wörter ihren griechischen Vorbildern -zvv-iZ?,--^ und vo^«'»-!« Silbe um Silbe nachgebildet worden waren. Ja, noch schärfer muß man zusehen. Nicht immer ist es nötig, daß die Lehnübersetzung neue Wörter schafft — auch neue Bedeutungen können ein¬ heimische Wörter unter ihrem Einfluß entfalten. Unser Wort Stimme hat neben seiner alten gemeingermanischen Bedeutung ,.vox" die jüngere „votum" entwickelt als Lehnübersetzung aus französisch voix: Parlamentarismus und Volkssouveränität sind in Westeuropa älter als bei uns. Anderseits ist es deutsche Entwicklung,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/357>, abgerufen am 28.05.2024.