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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Noch ein Wort über Belgiens Zukunft

schließlicher die entschlossensten Vertreter des absoluten britischen Imperialismus,
Leute wie Llovd George und Carson, das Staatsruder an sich reißen. Ist
darum Antwerpen die Pistole, die auf das Herz Englands gerichtet ist, so
wollen wir auch nach Kräften aus ihr schießen und demzufolge mit Ruhe frei
heraussagen, daß wir entschlossen sind, ganz Belgien, Maaslinie und Kanal¬
küste, freiwillig nicht wieder herauszugeben.

Belgien soll nach Bornhaks Vorschlag aufhören zu bestehen, und sein
Gebiet soll, nach der Sprachgrenze geschieden in zwei Reichsländer. Vlamland
und Wallonei, in den Verband des Deutschen Reiches eintreten. Die Be¬
völkerung müßte sich entweder damit abfinden oder gegen die Reichsangehörigkeit
optieren und dann binnen Jahresfrist auswandern, binnen weiterer Jahresfrist
aber auch ihren gesamten Besitz an belgischen Grund und Boden, Jndustrie-
und Handelskapital veräußern. Dies letzte darf ihr nicht erlassen werden.
Wir haben diesen Fehler 1871 in Lothringen gemacht, wo das ländliche Grund¬
eigentum großenteils nicht in den Händen der ansässigen Bauern war, sondern
Rentnern in Paris oder Nancy gehörte, deren wirtschaftlicher Einfluß dann
vierzig Jahre lang dem Fortschritt deutscher Gesinnung entgegenarbeiten konnte.
Wir wollen den Fehler nirgends wiederholen, am allerwenigsten in Belgien.

Wenn man ein Land gewinnen will, so muß man seine Menschen an der
Seele packen, d. h. man muß die Mächte in seinem Sinne wirken lassen, die
über die Seele des Volkes Gewalt haben. Jede Annexionspolitik, die diesen
Grundsatz nicht anerkennt, ist von vornherein zum Tode verurteilt. Die Seele
jedes Volkes, also auch die des vlämischen und wallonischen, wird zunächst be¬
herrscht durch seine materiellen Interessen. Man muß darum das Volk von
Antwerpen und Lüttich, von Brüssel und Charleroi so behandeln, daß es durch
den Anschluß an Deutschland kein schlechtes Geschäft macht, und man muß auch
verhindern, daß deutschfeindliche ausgewanderte Optanten ökonomischen Einfluß
im Lande behalten und mit diesem ein hervorragendes Machtinstrument, die
"Kultur" der Weltmächte durch tausend Kanäle immer wieder neu in die Ge¬
sinnungen des Volkes zu leiten. Aber vergessen darf man zweitens auch nicht,
daß der Mensch nicht vom Brot allein lebt. Neben den wirtschaftlichen Inter¬
essen werden die Seelen des vlämischen und wallonischen Volkes in weitem
Umfange beherrscht von der Kirche, mit der man sich darum von vornherein
abfinden muß. Das Gebiet der Kirchen- und Kulturpolitik ist das einzige, auf
dem der Aufsatz von Bornhak ein klares Programm vermissen läßt. Deshalb
unternehme ich es, ihm diese Zeilen hinzuzufügen.

Das vlämische und wallonische Volk war bisher ideell doppelt gebunden:
einmal an den belgischen Staatsgedanken und durch diesen an den größeren
Gedanken der weltlichen politischen Kultur Westeuropas, und zweitens an die
katholische Kirche. Unsere Aufgabe ist, die Machtstellung des westeuropäischen
politischen Gedankens in den Gesinnungen der Belgier zu brechen. Wir würden
einen groben Fehler begehen, wenn wir unsere Kräfte in diesem Kampfe irgend-


Noch ein Wort über Belgiens Zukunft

schließlicher die entschlossensten Vertreter des absoluten britischen Imperialismus,
Leute wie Llovd George und Carson, das Staatsruder an sich reißen. Ist
darum Antwerpen die Pistole, die auf das Herz Englands gerichtet ist, so
wollen wir auch nach Kräften aus ihr schießen und demzufolge mit Ruhe frei
heraussagen, daß wir entschlossen sind, ganz Belgien, Maaslinie und Kanal¬
küste, freiwillig nicht wieder herauszugeben.

Belgien soll nach Bornhaks Vorschlag aufhören zu bestehen, und sein
Gebiet soll, nach der Sprachgrenze geschieden in zwei Reichsländer. Vlamland
und Wallonei, in den Verband des Deutschen Reiches eintreten. Die Be¬
völkerung müßte sich entweder damit abfinden oder gegen die Reichsangehörigkeit
optieren und dann binnen Jahresfrist auswandern, binnen weiterer Jahresfrist
aber auch ihren gesamten Besitz an belgischen Grund und Boden, Jndustrie-
und Handelskapital veräußern. Dies letzte darf ihr nicht erlassen werden.
Wir haben diesen Fehler 1871 in Lothringen gemacht, wo das ländliche Grund¬
eigentum großenteils nicht in den Händen der ansässigen Bauern war, sondern
Rentnern in Paris oder Nancy gehörte, deren wirtschaftlicher Einfluß dann
vierzig Jahre lang dem Fortschritt deutscher Gesinnung entgegenarbeiten konnte.
Wir wollen den Fehler nirgends wiederholen, am allerwenigsten in Belgien.

Wenn man ein Land gewinnen will, so muß man seine Menschen an der
Seele packen, d. h. man muß die Mächte in seinem Sinne wirken lassen, die
über die Seele des Volkes Gewalt haben. Jede Annexionspolitik, die diesen
Grundsatz nicht anerkennt, ist von vornherein zum Tode verurteilt. Die Seele
jedes Volkes, also auch die des vlämischen und wallonischen, wird zunächst be¬
herrscht durch seine materiellen Interessen. Man muß darum das Volk von
Antwerpen und Lüttich, von Brüssel und Charleroi so behandeln, daß es durch
den Anschluß an Deutschland kein schlechtes Geschäft macht, und man muß auch
verhindern, daß deutschfeindliche ausgewanderte Optanten ökonomischen Einfluß
im Lande behalten und mit diesem ein hervorragendes Machtinstrument, die
„Kultur" der Weltmächte durch tausend Kanäle immer wieder neu in die Ge¬
sinnungen des Volkes zu leiten. Aber vergessen darf man zweitens auch nicht,
daß der Mensch nicht vom Brot allein lebt. Neben den wirtschaftlichen Inter¬
essen werden die Seelen des vlämischen und wallonischen Volkes in weitem
Umfange beherrscht von der Kirche, mit der man sich darum von vornherein
abfinden muß. Das Gebiet der Kirchen- und Kulturpolitik ist das einzige, auf
dem der Aufsatz von Bornhak ein klares Programm vermissen läßt. Deshalb
unternehme ich es, ihm diese Zeilen hinzuzufügen.

Das vlämische und wallonische Volk war bisher ideell doppelt gebunden:
einmal an den belgischen Staatsgedanken und durch diesen an den größeren
Gedanken der weltlichen politischen Kultur Westeuropas, und zweitens an die
katholische Kirche. Unsere Aufgabe ist, die Machtstellung des westeuropäischen
politischen Gedankens in den Gesinnungen der Belgier zu brechen. Wir würden
einen groben Fehler begehen, wenn wir unsere Kräfte in diesem Kampfe irgend-


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[0376] Noch ein Wort über Belgiens Zukunft schließlicher die entschlossensten Vertreter des absoluten britischen Imperialismus, Leute wie Llovd George und Carson, das Staatsruder an sich reißen. Ist darum Antwerpen die Pistole, die auf das Herz Englands gerichtet ist, so wollen wir auch nach Kräften aus ihr schießen und demzufolge mit Ruhe frei heraussagen, daß wir entschlossen sind, ganz Belgien, Maaslinie und Kanal¬ küste, freiwillig nicht wieder herauszugeben. Belgien soll nach Bornhaks Vorschlag aufhören zu bestehen, und sein Gebiet soll, nach der Sprachgrenze geschieden in zwei Reichsländer. Vlamland und Wallonei, in den Verband des Deutschen Reiches eintreten. Die Be¬ völkerung müßte sich entweder damit abfinden oder gegen die Reichsangehörigkeit optieren und dann binnen Jahresfrist auswandern, binnen weiterer Jahresfrist aber auch ihren gesamten Besitz an belgischen Grund und Boden, Jndustrie- und Handelskapital veräußern. Dies letzte darf ihr nicht erlassen werden. Wir haben diesen Fehler 1871 in Lothringen gemacht, wo das ländliche Grund¬ eigentum großenteils nicht in den Händen der ansässigen Bauern war, sondern Rentnern in Paris oder Nancy gehörte, deren wirtschaftlicher Einfluß dann vierzig Jahre lang dem Fortschritt deutscher Gesinnung entgegenarbeiten konnte. Wir wollen den Fehler nirgends wiederholen, am allerwenigsten in Belgien. Wenn man ein Land gewinnen will, so muß man seine Menschen an der Seele packen, d. h. man muß die Mächte in seinem Sinne wirken lassen, die über die Seele des Volkes Gewalt haben. Jede Annexionspolitik, die diesen Grundsatz nicht anerkennt, ist von vornherein zum Tode verurteilt. Die Seele jedes Volkes, also auch die des vlämischen und wallonischen, wird zunächst be¬ herrscht durch seine materiellen Interessen. Man muß darum das Volk von Antwerpen und Lüttich, von Brüssel und Charleroi so behandeln, daß es durch den Anschluß an Deutschland kein schlechtes Geschäft macht, und man muß auch verhindern, daß deutschfeindliche ausgewanderte Optanten ökonomischen Einfluß im Lande behalten und mit diesem ein hervorragendes Machtinstrument, die „Kultur" der Weltmächte durch tausend Kanäle immer wieder neu in die Ge¬ sinnungen des Volkes zu leiten. Aber vergessen darf man zweitens auch nicht, daß der Mensch nicht vom Brot allein lebt. Neben den wirtschaftlichen Inter¬ essen werden die Seelen des vlämischen und wallonischen Volkes in weitem Umfange beherrscht von der Kirche, mit der man sich darum von vornherein abfinden muß. Das Gebiet der Kirchen- und Kulturpolitik ist das einzige, auf dem der Aufsatz von Bornhak ein klares Programm vermissen läßt. Deshalb unternehme ich es, ihm diese Zeilen hinzuzufügen. Das vlämische und wallonische Volk war bisher ideell doppelt gebunden: einmal an den belgischen Staatsgedanken und durch diesen an den größeren Gedanken der weltlichen politischen Kultur Westeuropas, und zweitens an die katholische Kirche. Unsere Aufgabe ist, die Machtstellung des westeuropäischen politischen Gedankens in den Gesinnungen der Belgier zu brechen. Wir würden einen groben Fehler begehen, wenn wir unsere Kräfte in diesem Kampfe irgend-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/376>, abgerufen am 13.05.2024.