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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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sondern immer privater und geheimer wurde. Denn es ist psychologisch nur
zu begreiflich, daß mit der Ausscheidung des Bedürfnisses nach politischer Anteil¬
nahme und seiner Detachierung auf neue feste Berufsordnungen das Verbleibende
sich entlastet fühlte und in rückläufige Bewegung einschwenkte. Der private
Mensch erweiterte sich zur privaten Klasse, das geheime Haus zum geheimen
Kreise. Die Klassen und Kreise des deutschen inneren Lebens, jeder das eigene
Geheimnis argwöhnisch hudert, alle bedacht, "unter sich" zu bleiben, bauten
sich unübersteigbar und unzugänglich gegeneinander aus. Die Betätigungs-
berufe des äußeren Lebens, Obrigkeits-, Parlaments-, Zeitungs". Regierungs¬
gruppen, Beamtungen nach Bezügen und Berechtigungsscheinen geordnet, starrten
einander gewaffnet und drohend ins Gesicht. Jeder hatte gegen jeden den
eigenen "offiziellen" Ton; jeder hatte dem anderen zu imponieren und ihn
wegzuschrecken. Wenn Deutschland aus Bauplätzen für die Weltgebäude der
Zukunft bestand, was ich nicht diskutiere, so war doch indiskutabel, daß auf
keinem dieser Bauplätze das Schild fehlte, das Unberufenen den Eingang verbot.
Schon das Kind wurde darauf dressiert, daß es sein Ehrgeiz sein müsse,
irgendwo "vom Bau" zu sein. In anderen Völkern gab es leitende Männer,
bei uns leitende Kreise. Es ist begreiflich, daß sie uns nirgendhin geleitet
haben, denn Leiten ist Sache der Richtung und Richtung nicht Sache eines
Kreises, sondern eines Punktes, einer Eins. Der Punkt ist am besten, wenn
er die schärfste Spitze ist, ein Pfeil oder ein gereckter Zeigefinger wie bei Weg¬
weisern. Niemand steckt, um den Weg nach Luckenwalde zu zeigen, eine Scheibe
auf eine Stange neben den Chausseegraben, oder ein Rad, dessen Speichen nach
allen Winden weisen.

Aber ich will hier weder, wie der erschreckte Leser befürchten könnte, nach
einem Bismarck rufen, noch mich über den Krieg verbreiten insofern als er
dem Durchschnittsdeutschen gewisse Striche durch sein Weltbild gemacht hat.
Ich begnüge mich damit festzustellen, daß mein Herr Mitbürger sich plötzlich vor die
Staatsgeschäfte als öffentliche Angelegenheiten gestellt gesehen hat, und zwar
durch die einfache Tatsache, daß Krieg und Kriegsbegleiterscheinungen seine
Wohlfahrt zuerst störten und dann aufhoben, daß seine Unzufriedenheit nach
der Ursache forschte, daß seine Forschung in ein unentwirrbares Labyrinth
geriet. Er sah, daß von überallher seines Gleichen aus ihren Kreisen, Klassen,
Gruppen und Fächern heraufgelaufen kamen, daß alle Wissenschaften, die
doch längst samt und sonders Geheimwissenschaften geworden waren, auf
offenem Markte ratschlagten, daß Professoren sich plötzlich darauf besannen, daß
sie öffentliche Professoren waren, daß Geheime Räte nicht mehr ganz geheim
und Privatdozenten nicht mehr ganz privat vorgingen. Man weiß was drauf
erfolgte. Der Durchschnittsdeutsche stellte fest, daß seine alten öffentlichen
Angelegenheiten, deren Gestion er sich erkämpft und dann an die neuen poli¬
tischen Berufsarten und deren Träger abgegeben hatte, in deren Händen ge¬
heim: statt öffentlich geworden waren und vor allem, daß sie nicht gegangen


sondern immer privater und geheimer wurde. Denn es ist psychologisch nur
zu begreiflich, daß mit der Ausscheidung des Bedürfnisses nach politischer Anteil¬
nahme und seiner Detachierung auf neue feste Berufsordnungen das Verbleibende
sich entlastet fühlte und in rückläufige Bewegung einschwenkte. Der private
Mensch erweiterte sich zur privaten Klasse, das geheime Haus zum geheimen
Kreise. Die Klassen und Kreise des deutschen inneren Lebens, jeder das eigene
Geheimnis argwöhnisch hudert, alle bedacht, „unter sich" zu bleiben, bauten
sich unübersteigbar und unzugänglich gegeneinander aus. Die Betätigungs-
berufe des äußeren Lebens, Obrigkeits-, Parlaments-, Zeitungs». Regierungs¬
gruppen, Beamtungen nach Bezügen und Berechtigungsscheinen geordnet, starrten
einander gewaffnet und drohend ins Gesicht. Jeder hatte gegen jeden den
eigenen „offiziellen" Ton; jeder hatte dem anderen zu imponieren und ihn
wegzuschrecken. Wenn Deutschland aus Bauplätzen für die Weltgebäude der
Zukunft bestand, was ich nicht diskutiere, so war doch indiskutabel, daß auf
keinem dieser Bauplätze das Schild fehlte, das Unberufenen den Eingang verbot.
Schon das Kind wurde darauf dressiert, daß es sein Ehrgeiz sein müsse,
irgendwo „vom Bau" zu sein. In anderen Völkern gab es leitende Männer,
bei uns leitende Kreise. Es ist begreiflich, daß sie uns nirgendhin geleitet
haben, denn Leiten ist Sache der Richtung und Richtung nicht Sache eines
Kreises, sondern eines Punktes, einer Eins. Der Punkt ist am besten, wenn
er die schärfste Spitze ist, ein Pfeil oder ein gereckter Zeigefinger wie bei Weg¬
weisern. Niemand steckt, um den Weg nach Luckenwalde zu zeigen, eine Scheibe
auf eine Stange neben den Chausseegraben, oder ein Rad, dessen Speichen nach
allen Winden weisen.

Aber ich will hier weder, wie der erschreckte Leser befürchten könnte, nach
einem Bismarck rufen, noch mich über den Krieg verbreiten insofern als er
dem Durchschnittsdeutschen gewisse Striche durch sein Weltbild gemacht hat.
Ich begnüge mich damit festzustellen, daß mein Herr Mitbürger sich plötzlich vor die
Staatsgeschäfte als öffentliche Angelegenheiten gestellt gesehen hat, und zwar
durch die einfache Tatsache, daß Krieg und Kriegsbegleiterscheinungen seine
Wohlfahrt zuerst störten und dann aufhoben, daß seine Unzufriedenheit nach
der Ursache forschte, daß seine Forschung in ein unentwirrbares Labyrinth
geriet. Er sah, daß von überallher seines Gleichen aus ihren Kreisen, Klassen,
Gruppen und Fächern heraufgelaufen kamen, daß alle Wissenschaften, die
doch längst samt und sonders Geheimwissenschaften geworden waren, auf
offenem Markte ratschlagten, daß Professoren sich plötzlich darauf besannen, daß
sie öffentliche Professoren waren, daß Geheime Räte nicht mehr ganz geheim
und Privatdozenten nicht mehr ganz privat vorgingen. Man weiß was drauf
erfolgte. Der Durchschnittsdeutsche stellte fest, daß seine alten öffentlichen
Angelegenheiten, deren Gestion er sich erkämpft und dann an die neuen poli¬
tischen Berufsarten und deren Träger abgegeben hatte, in deren Händen ge¬
heim: statt öffentlich geworden waren und vor allem, daß sie nicht gegangen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/400>, abgerufen am 29.05.2024.