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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Veffentlicher Geist

zu sein schienen wie sie sollten. Er wollte sie daher wieder an sich nehmen
und sie zu öffentlichen machen. Er meinte das ginge schnell und leicht. Daß
es in allen den Monaten nicht gegangen ist, schiebt er auf die ungeschickte
Handhabung der Zensur. Er wollte Kriegsziele diskutieren, aber die Zensur
gestattete keine Diskussion des Wohin? Er möchte entweder verhindern, daß
die Federn verderben usw. oder daß ein neues Irland usw., aber die Zensur
erstickt sein Wort. Er möchte den gegenwärtigen inneren Zustand politisch
kritisieren, das heißt -- denn er kennt keine andere politische Kategorie --,
parteipolitisch, aber die ritterliche Zensur schützt die etwas ramponierte Jung¬
fräulichkeit der Burgfriedensgöttin gegen parteipolitische Polemik; so kann der
Deutsche auch das 'Was und Wie nicht erörtern. Alle Macht ist in den
Händen der Machthaber. Aber darf man fragen, wie es mit der Diskussion
des Woher bestellt ist? Sie ist ihm peinlich, denn das Woher ist sein
eigener gestriger Tag, sein eigenes ganzes Leben. Da hülfe es plötzlich nichts
mehr kleine Palliative vorausschlagen, wie die Erschließung der diplomatischen
Karriere für die Bürgerlichen, das heißt die Vermehrung des diplomatisterenden
Adels um seine bürgerlichen Assimilanten. Da hieße es das ganze Problem
stellen und fragen, warum der Deutsche bisher keine öffentlichen Angelegen¬
heiten gehabt und alles hat geschehen und hingehen lassen, was in seinen
letzten Folgen ihn heut beschwert. Und da will der Deutsche lieber schnell
nach Hause; oder er will den unbequemen Frager überhören und fortfahren
über die Erstickung der öffentlichen Meinung zu klagen, Ausschüsse, Haupt-
feinde, Sonderfriedensmöglichkeiten gegeneinander auszuwägen und auf den
Tag zu harren, der die Volksstimme befreit. Daher mein Mitgefühl mit seinem
Freunde, dem Durchschnittsdeutschen.

Ich bin sehr weit davon entfernt, und die Zeitschrift, bei der ich zu Gaste
bin, schiene mir keineswegs der Ort. eine Lanze für die Zensur zu brechen.
Ich wollte nur, ich könnte mit voller Aufrichtigkeit sagen, daß sie den öffent¬
lichen Geist und seine politisch schöpferischen Kräfte im Volke dermaßen knebele,
daß im Augenblicke, da die Knebel sich lösen, ein wahrer Sturm öffentlicher
Gesinnung durch Deutschland brausen müsse, alles Mürbe vor sich her fegen,
und frische wilde Luft an die Stelle der tausend Male hin und her geatmeten
lagern. Ich wäre um eine große und herrliche Hoffnung reicher, wenn ich
diesen Glauben mancher vortrefflichen Männer zu teilen vermöchte. Aber ich
sehe nirgends öffentlichen Geist in der politischen Diskusston dieser Tage;
ich sehe ihn so wenig, daß ich sein Fehlen unter uns gerade aus den Vor¬
schlägen zu ersehen glaube, die in seinem Namen gemacht, in den Anklagen
die unter Berufung auf ihn formuliert werden. Ich bin kein Freund weder
der Zensur noch der Art in der sie vielfach gehandhabt worden ist. Aber ich
bedauere, soweit ich sehe, ihr kein Verbrechen gegen das keimende Leben im-
putieren zu können. Ich habe ein wenig den Eindruck, als ob alle Gegner
untereinander sich düpierten: Als ob die Zensur der Kritik des öffentlichen


Veffentlicher Geist

zu sein schienen wie sie sollten. Er wollte sie daher wieder an sich nehmen
und sie zu öffentlichen machen. Er meinte das ginge schnell und leicht. Daß
es in allen den Monaten nicht gegangen ist, schiebt er auf die ungeschickte
Handhabung der Zensur. Er wollte Kriegsziele diskutieren, aber die Zensur
gestattete keine Diskussion des Wohin? Er möchte entweder verhindern, daß
die Federn verderben usw. oder daß ein neues Irland usw., aber die Zensur
erstickt sein Wort. Er möchte den gegenwärtigen inneren Zustand politisch
kritisieren, das heißt — denn er kennt keine andere politische Kategorie —,
parteipolitisch, aber die ritterliche Zensur schützt die etwas ramponierte Jung¬
fräulichkeit der Burgfriedensgöttin gegen parteipolitische Polemik; so kann der
Deutsche auch das 'Was und Wie nicht erörtern. Alle Macht ist in den
Händen der Machthaber. Aber darf man fragen, wie es mit der Diskussion
des Woher bestellt ist? Sie ist ihm peinlich, denn das Woher ist sein
eigener gestriger Tag, sein eigenes ganzes Leben. Da hülfe es plötzlich nichts
mehr kleine Palliative vorausschlagen, wie die Erschließung der diplomatischen
Karriere für die Bürgerlichen, das heißt die Vermehrung des diplomatisterenden
Adels um seine bürgerlichen Assimilanten. Da hieße es das ganze Problem
stellen und fragen, warum der Deutsche bisher keine öffentlichen Angelegen¬
heiten gehabt und alles hat geschehen und hingehen lassen, was in seinen
letzten Folgen ihn heut beschwert. Und da will der Deutsche lieber schnell
nach Hause; oder er will den unbequemen Frager überhören und fortfahren
über die Erstickung der öffentlichen Meinung zu klagen, Ausschüsse, Haupt-
feinde, Sonderfriedensmöglichkeiten gegeneinander auszuwägen und auf den
Tag zu harren, der die Volksstimme befreit. Daher mein Mitgefühl mit seinem
Freunde, dem Durchschnittsdeutschen.

Ich bin sehr weit davon entfernt, und die Zeitschrift, bei der ich zu Gaste
bin, schiene mir keineswegs der Ort. eine Lanze für die Zensur zu brechen.
Ich wollte nur, ich könnte mit voller Aufrichtigkeit sagen, daß sie den öffent¬
lichen Geist und seine politisch schöpferischen Kräfte im Volke dermaßen knebele,
daß im Augenblicke, da die Knebel sich lösen, ein wahrer Sturm öffentlicher
Gesinnung durch Deutschland brausen müsse, alles Mürbe vor sich her fegen,
und frische wilde Luft an die Stelle der tausend Male hin und her geatmeten
lagern. Ich wäre um eine große und herrliche Hoffnung reicher, wenn ich
diesen Glauben mancher vortrefflichen Männer zu teilen vermöchte. Aber ich
sehe nirgends öffentlichen Geist in der politischen Diskusston dieser Tage;
ich sehe ihn so wenig, daß ich sein Fehlen unter uns gerade aus den Vor¬
schlägen zu ersehen glaube, die in seinem Namen gemacht, in den Anklagen
die unter Berufung auf ihn formuliert werden. Ich bin kein Freund weder
der Zensur noch der Art in der sie vielfach gehandhabt worden ist. Aber ich
bedauere, soweit ich sehe, ihr kein Verbrechen gegen das keimende Leben im-
putieren zu können. Ich habe ein wenig den Eindruck, als ob alle Gegner
untereinander sich düpierten: Als ob die Zensur der Kritik des öffentlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/401>, abgerufen am 31.05.2024.