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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Delli Omer

Aber der Jsniker lud sich seine Matratze auf den Rücken, machte seine
Salams (Verbeugungen) und verschwand im Dunkel der Nacht.

Achmed wurde ihm nachgeschickt, damit er herausfinden sollte, ob der kecke
Bursche die ehrbare Hamalgilde nur zum besten hielt. -- Doch alles stimmte.
Achmed war hinter ihm hergeschlichen und hatte ihn bei Schneider Effendi ins
Haus eintreten sehen.

Ein förmlicher Kriegsrat wurde abgehalten; solche Neuerungen konnten
nicht geduldet werden. Und doch war im Grunde nicht viel gegen Omer zu
sagen; auch mochte niemand es mit ihm verderben, denn er schrieb seinen
Kameraden die Briefe und Postkarten, ohne einen Para dafür zu nehmen.
Deshalb wurde nach fruchtlosem Hin- und Herreden beschlossen, ihn ruhig seineu
eigenen Weg gehen zu lassen.

Omer paßte sich mit großem Geschick seiner neuen Würde an. Und da er
auch seine Arbeit als Lastträger nicht vernachlässigte, fand selbst der gestrenge
Baschi Hassan nichts an ihm auszusetzen.

Bald gab es für ihn keine langen müßigen Arbeitspausen im Kaffeehaus
mehr. Frau Schneider hatte herausgefunden, daß er ein anstelliger und flinker
Geselle war; nach kurzer Probezeit machte sie ihn zu ihrem Wasserträger. Er
mußte auch den Platz vor dem Haus in Ordnung halten und die Blumen im
Garten gießen, und nach dem ersten Monat bekam er vier Medschidieh als
festen Lohn.

Auch andere "Franken" in der Nachbarschaft wurden auf ihn aufmerksam;
es dauerte nicht lange, so besorgte Omer noch zwei andere Gärten in Bebel.
säuberlich legte er alle seine Ersparnisse zu dem. was ihm sein Beruf als
Hauat schon eintrug.

In dieser an Erfolgen so reichen Zeit machte er die Bekanntschaft des
Spaniolen David, der in einer Ecke des kleinen Marktplatzes von Bebe! sein
Handwerk trieb. Jeden Morgen kam der Alte zu Fuß von Stambul herüber,
spannte in seinem Winkel einen uralten, einst blauen Schirm auf und setzte sich
mit seinem Werkzeugkasten darunter, geduldig auf Kunden wartend. Er war
Tenekedschi (Klempner); doch damit ist noch nichts gesagt, denn der Tenekedschi
von Konstantinopel ist ein wahrer Künstler. Allen Tenekehs (rechteckige Be¬
hälter für Petroleum) weiß er auf die Spur zu kommen. An trüben Winter¬
tagen zieht er von Haus zu Haus und kauft die leeren, deren er habhaft
werden kann, um einen Spottpreis auf. Nachher bastele er an diesen Blech¬
kasten herum, bis aus ihnen Wassereimer, Gießkannen und andere nützliche
Geräte werden, die sich zu einem schönen Preis wieder verkaufen lassen.

David begnügte sich in seinen alten Tagen damit, schon gebrauchte
Tenekehs auszubessern, indem er ihnen neue Henkel ansetzte oder die löchrigen
wieder verlötete. Mußte er unter seinem Schirm zu lange auf Kundschaft
warten, so nahm er sein Werkzeug unter den Arm und ging in den Straßen
auf und ab. Vor jedem Haus blieb er stehen und rief: "Tenekedschi!


Delli Omer

Aber der Jsniker lud sich seine Matratze auf den Rücken, machte seine
Salams (Verbeugungen) und verschwand im Dunkel der Nacht.

Achmed wurde ihm nachgeschickt, damit er herausfinden sollte, ob der kecke
Bursche die ehrbare Hamalgilde nur zum besten hielt. — Doch alles stimmte.
Achmed war hinter ihm hergeschlichen und hatte ihn bei Schneider Effendi ins
Haus eintreten sehen.

Ein förmlicher Kriegsrat wurde abgehalten; solche Neuerungen konnten
nicht geduldet werden. Und doch war im Grunde nicht viel gegen Omer zu
sagen; auch mochte niemand es mit ihm verderben, denn er schrieb seinen
Kameraden die Briefe und Postkarten, ohne einen Para dafür zu nehmen.
Deshalb wurde nach fruchtlosem Hin- und Herreden beschlossen, ihn ruhig seineu
eigenen Weg gehen zu lassen.

Omer paßte sich mit großem Geschick seiner neuen Würde an. Und da er
auch seine Arbeit als Lastträger nicht vernachlässigte, fand selbst der gestrenge
Baschi Hassan nichts an ihm auszusetzen.

Bald gab es für ihn keine langen müßigen Arbeitspausen im Kaffeehaus
mehr. Frau Schneider hatte herausgefunden, daß er ein anstelliger und flinker
Geselle war; nach kurzer Probezeit machte sie ihn zu ihrem Wasserträger. Er
mußte auch den Platz vor dem Haus in Ordnung halten und die Blumen im
Garten gießen, und nach dem ersten Monat bekam er vier Medschidieh als
festen Lohn.

Auch andere „Franken" in der Nachbarschaft wurden auf ihn aufmerksam;
es dauerte nicht lange, so besorgte Omer noch zwei andere Gärten in Bebel.
säuberlich legte er alle seine Ersparnisse zu dem. was ihm sein Beruf als
Hauat schon eintrug.

In dieser an Erfolgen so reichen Zeit machte er die Bekanntschaft des
Spaniolen David, der in einer Ecke des kleinen Marktplatzes von Bebe! sein
Handwerk trieb. Jeden Morgen kam der Alte zu Fuß von Stambul herüber,
spannte in seinem Winkel einen uralten, einst blauen Schirm auf und setzte sich
mit seinem Werkzeugkasten darunter, geduldig auf Kunden wartend. Er war
Tenekedschi (Klempner); doch damit ist noch nichts gesagt, denn der Tenekedschi
von Konstantinopel ist ein wahrer Künstler. Allen Tenekehs (rechteckige Be¬
hälter für Petroleum) weiß er auf die Spur zu kommen. An trüben Winter¬
tagen zieht er von Haus zu Haus und kauft die leeren, deren er habhaft
werden kann, um einen Spottpreis auf. Nachher bastele er an diesen Blech¬
kasten herum, bis aus ihnen Wassereimer, Gießkannen und andere nützliche
Geräte werden, die sich zu einem schönen Preis wieder verkaufen lassen.

David begnügte sich in seinen alten Tagen damit, schon gebrauchte
Tenekehs auszubessern, indem er ihnen neue Henkel ansetzte oder die löchrigen
wieder verlötete. Mußte er unter seinem Schirm zu lange auf Kundschaft
warten, so nahm er sein Werkzeug unter den Arm und ging in den Straßen
auf und ab. Vor jedem Haus blieb er stehen und rief: „Tenekedschi!


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[0414] Delli Omer Aber der Jsniker lud sich seine Matratze auf den Rücken, machte seine Salams (Verbeugungen) und verschwand im Dunkel der Nacht. Achmed wurde ihm nachgeschickt, damit er herausfinden sollte, ob der kecke Bursche die ehrbare Hamalgilde nur zum besten hielt. — Doch alles stimmte. Achmed war hinter ihm hergeschlichen und hatte ihn bei Schneider Effendi ins Haus eintreten sehen. Ein förmlicher Kriegsrat wurde abgehalten; solche Neuerungen konnten nicht geduldet werden. Und doch war im Grunde nicht viel gegen Omer zu sagen; auch mochte niemand es mit ihm verderben, denn er schrieb seinen Kameraden die Briefe und Postkarten, ohne einen Para dafür zu nehmen. Deshalb wurde nach fruchtlosem Hin- und Herreden beschlossen, ihn ruhig seineu eigenen Weg gehen zu lassen. Omer paßte sich mit großem Geschick seiner neuen Würde an. Und da er auch seine Arbeit als Lastträger nicht vernachlässigte, fand selbst der gestrenge Baschi Hassan nichts an ihm auszusetzen. Bald gab es für ihn keine langen müßigen Arbeitspausen im Kaffeehaus mehr. Frau Schneider hatte herausgefunden, daß er ein anstelliger und flinker Geselle war; nach kurzer Probezeit machte sie ihn zu ihrem Wasserträger. Er mußte auch den Platz vor dem Haus in Ordnung halten und die Blumen im Garten gießen, und nach dem ersten Monat bekam er vier Medschidieh als festen Lohn. Auch andere „Franken" in der Nachbarschaft wurden auf ihn aufmerksam; es dauerte nicht lange, so besorgte Omer noch zwei andere Gärten in Bebel. säuberlich legte er alle seine Ersparnisse zu dem. was ihm sein Beruf als Hauat schon eintrug. In dieser an Erfolgen so reichen Zeit machte er die Bekanntschaft des Spaniolen David, der in einer Ecke des kleinen Marktplatzes von Bebe! sein Handwerk trieb. Jeden Morgen kam der Alte zu Fuß von Stambul herüber, spannte in seinem Winkel einen uralten, einst blauen Schirm auf und setzte sich mit seinem Werkzeugkasten darunter, geduldig auf Kunden wartend. Er war Tenekedschi (Klempner); doch damit ist noch nichts gesagt, denn der Tenekedschi von Konstantinopel ist ein wahrer Künstler. Allen Tenekehs (rechteckige Be¬ hälter für Petroleum) weiß er auf die Spur zu kommen. An trüben Winter¬ tagen zieht er von Haus zu Haus und kauft die leeren, deren er habhaft werden kann, um einen Spottpreis auf. Nachher bastele er an diesen Blech¬ kasten herum, bis aus ihnen Wassereimer, Gießkannen und andere nützliche Geräte werden, die sich zu einem schönen Preis wieder verkaufen lassen. David begnügte sich in seinen alten Tagen damit, schon gebrauchte Tenekehs auszubessern, indem er ihnen neue Henkel ansetzte oder die löchrigen wieder verlötete. Mußte er unter seinem Schirm zu lange auf Kundschaft warten, so nahm er sein Werkzeug unter den Arm und ging in den Straßen auf und ab. Vor jedem Haus blieb er stehen und rief: „Tenekedschi!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/414>, abgerufen am 29.05.2024.