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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Delli Gener

Tenekedschi!" Dann öffnete sich hier und da ein Fenster und jemand winkte
ihn herein, um Petroleum "anzuzapfen", oder um einen Wassereimer zu flicken.
Seit fünfundzwanzig Jahren war er die bekannteste Persönlichkeit in Bebel.
Seine langen dürren Beine steckten immer in dünnen weißen Hosen, dazu
trug er einen verschlissenen grauen Rock, und die große Hakennase glühte stets
im Schnupfen.

Nur am Sabbat blieb David als braver Jude zu Hause, besuchte am Morgen
die Synagoge und verbrachte den Rest des Tages, in seinen langen Pelz ge¬
hüllt, sitzend vor seiner Haustüre, während um ihn seine zehn Enkelkinder
lärmten und schrien.

Da er während der Arbeit die Augen stets offen hatte, war es ihm nicht
entgangen, daß Omer bei den angesehensten "Franken" im Dorf in Lohn stand.
Der mußte wissen, ob die Reichen unbenützte Tenekehs im Keller liegen hatten.
Eines Tages lud er den jungen Hauat ein, sich zu ihm unter seinen Schirm
zu setzen und einen "Kaweh" mit ihm zu trinken.

Omer ließ sich die kleine Aufmerksamkeit gern gefallen und plauderte von
diesem und jenem, was er bei den "Franken" gesehen hatte. Nach einer
halben Stunde waren beide handelseinig. Omer versprach, alle Tenekehs, die
in seinen Häusern weggeworfen wurden, dem Juden zu bringen, und er er¬
hielt die Erlaubnis, sich jederzeit seinen "Kaweh" an den Holzkohlen des Alten
sieden zu dürfen.

David machte ein glänzendes Geschäft dabei. Die alten Tenekehs, die er
nun bekam, und aus welchen sich nichts Neues zaubern ließ, nahm er mit
nach Hause, klopfte sie dort auseinander und benagelte mit dem Blech die ge¬
borstenen Hüttenwünde seiner Bekannten, die schwer dafür zahlen mußten.

Auch Omer lächelte das Glück in ungeahntem Maße. schenkten doch
seine Brodherrn alle ihre alten Schuhe, Kragen und Schupse her, und Schneider
Effendi vermachte ihm einen schwarzen Rock! Mit Kragen und Schlips wußte
er nichts Rechtes anzufangen, aber den Rock trug er mit Stolz; nur in seiner
Eigenschaft als Lastträger zog er ihn aus.

Die Kameraden meldeten ihm das kostbare Kleidungsstück und pflegten es
zu verstecken, wenn er es zufällig im Kaffeehaus hängen ließ.

"Glaubt ihr, ich hätte im ,weißen Haus' keinen Wandschrank?" sagte er
mit boshaftem Lächeln und brachte seinen Schatz in Sicherheit. Als er sich
das nächste Mal ,ä la krankt bei den Hamals zeigte, führte er einen kleinen
Handkoffer bei sich, einen nagelneuen Handkoffer.

"Ich verreise morgen auf zehn Tage nach Jsnik", eröffnete Omer das
Gespräch und stellte das Prunkstück auf den Tisch im Kaffeehaus. "Wollt ihr
einmal hineingucken?"

Umständlich zog er den Schlüssel aus dem Gürtel, steckte ihn ins Schloß,
drehte, und: klack! sprang es auf. "Seht," fuhr er fort, "dort liegt ein
schönes Hemd, daneben ein Paar "fränkischer" Schuhe, und hier sogar eine


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Delli Gener

Tenekedschi!" Dann öffnete sich hier und da ein Fenster und jemand winkte
ihn herein, um Petroleum „anzuzapfen", oder um einen Wassereimer zu flicken.
Seit fünfundzwanzig Jahren war er die bekannteste Persönlichkeit in Bebel.
Seine langen dürren Beine steckten immer in dünnen weißen Hosen, dazu
trug er einen verschlissenen grauen Rock, und die große Hakennase glühte stets
im Schnupfen.

Nur am Sabbat blieb David als braver Jude zu Hause, besuchte am Morgen
die Synagoge und verbrachte den Rest des Tages, in seinen langen Pelz ge¬
hüllt, sitzend vor seiner Haustüre, während um ihn seine zehn Enkelkinder
lärmten und schrien.

Da er während der Arbeit die Augen stets offen hatte, war es ihm nicht
entgangen, daß Omer bei den angesehensten „Franken" im Dorf in Lohn stand.
Der mußte wissen, ob die Reichen unbenützte Tenekehs im Keller liegen hatten.
Eines Tages lud er den jungen Hauat ein, sich zu ihm unter seinen Schirm
zu setzen und einen „Kaweh" mit ihm zu trinken.

Omer ließ sich die kleine Aufmerksamkeit gern gefallen und plauderte von
diesem und jenem, was er bei den „Franken" gesehen hatte. Nach einer
halben Stunde waren beide handelseinig. Omer versprach, alle Tenekehs, die
in seinen Häusern weggeworfen wurden, dem Juden zu bringen, und er er¬
hielt die Erlaubnis, sich jederzeit seinen „Kaweh" an den Holzkohlen des Alten
sieden zu dürfen.

David machte ein glänzendes Geschäft dabei. Die alten Tenekehs, die er
nun bekam, und aus welchen sich nichts Neues zaubern ließ, nahm er mit
nach Hause, klopfte sie dort auseinander und benagelte mit dem Blech die ge¬
borstenen Hüttenwünde seiner Bekannten, die schwer dafür zahlen mußten.

Auch Omer lächelte das Glück in ungeahntem Maße. schenkten doch
seine Brodherrn alle ihre alten Schuhe, Kragen und Schupse her, und Schneider
Effendi vermachte ihm einen schwarzen Rock! Mit Kragen und Schlips wußte
er nichts Rechtes anzufangen, aber den Rock trug er mit Stolz; nur in seiner
Eigenschaft als Lastträger zog er ihn aus.

Die Kameraden meldeten ihm das kostbare Kleidungsstück und pflegten es
zu verstecken, wenn er es zufällig im Kaffeehaus hängen ließ.

„Glaubt ihr, ich hätte im ,weißen Haus' keinen Wandschrank?" sagte er
mit boshaftem Lächeln und brachte seinen Schatz in Sicherheit. Als er sich
das nächste Mal ,ä la krankt bei den Hamals zeigte, führte er einen kleinen
Handkoffer bei sich, einen nagelneuen Handkoffer.

„Ich verreise morgen auf zehn Tage nach Jsnik", eröffnete Omer das
Gespräch und stellte das Prunkstück auf den Tisch im Kaffeehaus. „Wollt ihr
einmal hineingucken?"

Umständlich zog er den Schlüssel aus dem Gürtel, steckte ihn ins Schloß,
drehte, und: klack! sprang es auf. „Seht," fuhr er fort, „dort liegt ein
schönes Hemd, daneben ein Paar „fränkischer" Schuhe, und hier sogar eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/415>, abgerufen am 29.05.2024.