Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Delli Omer

Aber die große Trommel dröhnte jede Nacht dicht vor seinem Fenster und
schreckte ihn aus dem Schlaf. Einmal hörte er ganz deutlich, wie der Nachtwächter
mit gellender Stimme die Zwanzigjährigen zu den Waffen rief. Galt das
auch ihm? Unmöglich! Wer würde dann Tachstm Beys Garten in Ordnung
halten und Nische Harum den Joghurt holen? Omer getraute sich kaum auf
die Straße. Drei Tage später kam der Polizist von Bebel und führte ihn aus
feiner Stube fort, in der er sich verborgen gehalten hatte.

"Wo bringst du mich hin, Effendi," fragte verstört der geängstigte Bursche.

"Nach Stambul in die Kaserne, mein Lämmchen: der Padischah braucht
jetzt alle seine Kinder!"

"Gut, so will ich zum Padischah gehen und ihm sagen, daß Nische Harum
mich viel nötiger hat!"

Der Polizist lächelte verschmitzt. "Versuch's nur, wenn du's kannst; mich
geht das nichts an."

Er wurde in eine Uniform gesteckt, bekam ein nagelneues Gewehr in die
Hand und mußte von früh bis spät auf dem Kasernenhof sich plagen. Hunderte
von andern Soldaten teilten dasselbe Schicksal, aber keiner dachte daran, zum
Padischah zu gehen. Wie sollte sich Omer allein in seinen Palast getrauen?
Still und ergeben tat er seinen Dienst, lernte lange heiße Märsche ertragen,
Gräben ausheben und auf ferne Ziele schießen. Er hungerte und fror mit den
andern, lag nachts auf nassem Stroh und sah über sich den silbernen Mond.
Es war noch in Tachstm Beys Garten gewesen, als ihm dieses runde Himmels¬
fenster gestrahlt hatte. Wie lange mochte das her sein? Was tat Nische Harum
ohne ihn, den Diener? Wann würde er sie wiedersehen?

Die Abende wurden dunkler und kälter, in den Nächten regnete es immerzu,
und als er eines Tages mit seinem Regiment auf einer fernen Station den
Bahnzug verließ, hatte der Winter begonnen. Durch Eis und Schnee marschierten
die Soldaten, bis es Nacht wurde, dann mußten sie sich auf einem Höhenzug
eingraben.

Immer wieder fragten sie in den nächsten Tagen ihren On-Baschi: (Unter¬
offizier) "Wo ist der Feind? Wann greifen wir ihn an?" Aber er zeigte sich
nicht. Statt dessen rollte ununterbrochen der Donner über ihren Köpfen hin,
ringsum fielen Blitze auf die Erde und wühlten mit fürchterlichem Tosen den
Boden auf. am Himmel platzten kleine weiße Wölkchen. Die Soldaten duckten
sich oder krochen in ihre Löcher, und wenn sie wieder herauskamen, waren sie
bleich und sprachen, kein Wort. Denn neben ihnen lagen drei, vier Kameraden
in ihrem Blut und rührten sich nicht.

Auch Omer ereilte das Schicksal. --

Nach langen: Schlaf tat er die Augen auf, das Donnern und Pfeifen
hatte aufgehört. Wohlige Wärme umgab ihn, er lag still und zufrieden in
einem sauberen Bett. Fränkische Frauen mit weißen Kopftüchern gingen geschäftig
hin und her oder blieben vor einem der vielen Betten stehen, die im großen


Delli Omer

Aber die große Trommel dröhnte jede Nacht dicht vor seinem Fenster und
schreckte ihn aus dem Schlaf. Einmal hörte er ganz deutlich, wie der Nachtwächter
mit gellender Stimme die Zwanzigjährigen zu den Waffen rief. Galt das
auch ihm? Unmöglich! Wer würde dann Tachstm Beys Garten in Ordnung
halten und Nische Harum den Joghurt holen? Omer getraute sich kaum auf
die Straße. Drei Tage später kam der Polizist von Bebel und führte ihn aus
feiner Stube fort, in der er sich verborgen gehalten hatte.

„Wo bringst du mich hin, Effendi," fragte verstört der geängstigte Bursche.

„Nach Stambul in die Kaserne, mein Lämmchen: der Padischah braucht
jetzt alle seine Kinder!"

„Gut, so will ich zum Padischah gehen und ihm sagen, daß Nische Harum
mich viel nötiger hat!"

Der Polizist lächelte verschmitzt. „Versuch's nur, wenn du's kannst; mich
geht das nichts an."

Er wurde in eine Uniform gesteckt, bekam ein nagelneues Gewehr in die
Hand und mußte von früh bis spät auf dem Kasernenhof sich plagen. Hunderte
von andern Soldaten teilten dasselbe Schicksal, aber keiner dachte daran, zum
Padischah zu gehen. Wie sollte sich Omer allein in seinen Palast getrauen?
Still und ergeben tat er seinen Dienst, lernte lange heiße Märsche ertragen,
Gräben ausheben und auf ferne Ziele schießen. Er hungerte und fror mit den
andern, lag nachts auf nassem Stroh und sah über sich den silbernen Mond.
Es war noch in Tachstm Beys Garten gewesen, als ihm dieses runde Himmels¬
fenster gestrahlt hatte. Wie lange mochte das her sein? Was tat Nische Harum
ohne ihn, den Diener? Wann würde er sie wiedersehen?

Die Abende wurden dunkler und kälter, in den Nächten regnete es immerzu,
und als er eines Tages mit seinem Regiment auf einer fernen Station den
Bahnzug verließ, hatte der Winter begonnen. Durch Eis und Schnee marschierten
die Soldaten, bis es Nacht wurde, dann mußten sie sich auf einem Höhenzug
eingraben.

Immer wieder fragten sie in den nächsten Tagen ihren On-Baschi: (Unter¬
offizier) „Wo ist der Feind? Wann greifen wir ihn an?" Aber er zeigte sich
nicht. Statt dessen rollte ununterbrochen der Donner über ihren Köpfen hin,
ringsum fielen Blitze auf die Erde und wühlten mit fürchterlichem Tosen den
Boden auf. am Himmel platzten kleine weiße Wölkchen. Die Soldaten duckten
sich oder krochen in ihre Löcher, und wenn sie wieder herauskamen, waren sie
bleich und sprachen, kein Wort. Denn neben ihnen lagen drei, vier Kameraden
in ihrem Blut und rührten sich nicht.

Auch Omer ereilte das Schicksal. —

Nach langen: Schlaf tat er die Augen auf, das Donnern und Pfeifen
hatte aufgehört. Wohlige Wärme umgab ihn, er lag still und zufrieden in
einem sauberen Bett. Fränkische Frauen mit weißen Kopftüchern gingen geschäftig
hin und her oder blieben vor einem der vielen Betten stehen, die im großen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0419" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331391"/>
          <fw type="header" place="top"> Delli Omer</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1630"> Aber die große Trommel dröhnte jede Nacht dicht vor seinem Fenster und<lb/>
schreckte ihn aus dem Schlaf. Einmal hörte er ganz deutlich, wie der Nachtwächter<lb/>
mit gellender Stimme die Zwanzigjährigen zu den Waffen rief. Galt das<lb/>
auch ihm? Unmöglich! Wer würde dann Tachstm Beys Garten in Ordnung<lb/>
halten und Nische Harum den Joghurt holen? Omer getraute sich kaum auf<lb/>
die Straße. Drei Tage später kam der Polizist von Bebel und führte ihn aus<lb/>
feiner Stube fort, in der er sich verborgen gehalten hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1631"> &#x201E;Wo bringst du mich hin, Effendi," fragte verstört der geängstigte Bursche.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1632"> &#x201E;Nach Stambul in die Kaserne, mein Lämmchen: der Padischah braucht<lb/>
jetzt alle seine Kinder!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1633"> &#x201E;Gut, so will ich zum Padischah gehen und ihm sagen, daß Nische Harum<lb/>
mich viel nötiger hat!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1634"> Der Polizist lächelte verschmitzt. &#x201E;Versuch's nur, wenn du's kannst; mich<lb/>
geht das nichts an."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1635"> Er wurde in eine Uniform gesteckt, bekam ein nagelneues Gewehr in die<lb/>
Hand und mußte von früh bis spät auf dem Kasernenhof sich plagen. Hunderte<lb/>
von andern Soldaten teilten dasselbe Schicksal, aber keiner dachte daran, zum<lb/>
Padischah zu gehen. Wie sollte sich Omer allein in seinen Palast getrauen?<lb/>
Still und ergeben tat er seinen Dienst, lernte lange heiße Märsche ertragen,<lb/>
Gräben ausheben und auf ferne Ziele schießen. Er hungerte und fror mit den<lb/>
andern, lag nachts auf nassem Stroh und sah über sich den silbernen Mond.<lb/>
Es war noch in Tachstm Beys Garten gewesen, als ihm dieses runde Himmels¬<lb/>
fenster gestrahlt hatte. Wie lange mochte das her sein? Was tat Nische Harum<lb/>
ohne ihn, den Diener?  Wann würde er sie wiedersehen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1636"> Die Abende wurden dunkler und kälter, in den Nächten regnete es immerzu,<lb/>
und als er eines Tages mit seinem Regiment auf einer fernen Station den<lb/>
Bahnzug verließ, hatte der Winter begonnen. Durch Eis und Schnee marschierten<lb/>
die Soldaten, bis es Nacht wurde, dann mußten sie sich auf einem Höhenzug<lb/>
eingraben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1637"> Immer wieder fragten sie in den nächsten Tagen ihren On-Baschi: (Unter¬<lb/>
offizier) &#x201E;Wo ist der Feind? Wann greifen wir ihn an?" Aber er zeigte sich<lb/>
nicht. Statt dessen rollte ununterbrochen der Donner über ihren Köpfen hin,<lb/>
ringsum fielen Blitze auf die Erde und wühlten mit fürchterlichem Tosen den<lb/>
Boden auf. am Himmel platzten kleine weiße Wölkchen. Die Soldaten duckten<lb/>
sich oder krochen in ihre Löcher, und wenn sie wieder herauskamen, waren sie<lb/>
bleich und sprachen, kein Wort. Denn neben ihnen lagen drei, vier Kameraden<lb/>
in ihrem Blut und rührten sich nicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1638"> Auch Omer ereilte das Schicksal. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1639" next="#ID_1640"> Nach langen: Schlaf tat er die Augen auf, das Donnern und Pfeifen<lb/>
hatte aufgehört. Wohlige Wärme umgab ihn, er lag still und zufrieden in<lb/>
einem sauberen Bett. Fränkische Frauen mit weißen Kopftüchern gingen geschäftig<lb/>
hin und her oder blieben vor einem der vielen Betten stehen, die im großen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0419] Delli Omer Aber die große Trommel dröhnte jede Nacht dicht vor seinem Fenster und schreckte ihn aus dem Schlaf. Einmal hörte er ganz deutlich, wie der Nachtwächter mit gellender Stimme die Zwanzigjährigen zu den Waffen rief. Galt das auch ihm? Unmöglich! Wer würde dann Tachstm Beys Garten in Ordnung halten und Nische Harum den Joghurt holen? Omer getraute sich kaum auf die Straße. Drei Tage später kam der Polizist von Bebel und führte ihn aus feiner Stube fort, in der er sich verborgen gehalten hatte. „Wo bringst du mich hin, Effendi," fragte verstört der geängstigte Bursche. „Nach Stambul in die Kaserne, mein Lämmchen: der Padischah braucht jetzt alle seine Kinder!" „Gut, so will ich zum Padischah gehen und ihm sagen, daß Nische Harum mich viel nötiger hat!" Der Polizist lächelte verschmitzt. „Versuch's nur, wenn du's kannst; mich geht das nichts an." Er wurde in eine Uniform gesteckt, bekam ein nagelneues Gewehr in die Hand und mußte von früh bis spät auf dem Kasernenhof sich plagen. Hunderte von andern Soldaten teilten dasselbe Schicksal, aber keiner dachte daran, zum Padischah zu gehen. Wie sollte sich Omer allein in seinen Palast getrauen? Still und ergeben tat er seinen Dienst, lernte lange heiße Märsche ertragen, Gräben ausheben und auf ferne Ziele schießen. Er hungerte und fror mit den andern, lag nachts auf nassem Stroh und sah über sich den silbernen Mond. Es war noch in Tachstm Beys Garten gewesen, als ihm dieses runde Himmels¬ fenster gestrahlt hatte. Wie lange mochte das her sein? Was tat Nische Harum ohne ihn, den Diener? Wann würde er sie wiedersehen? Die Abende wurden dunkler und kälter, in den Nächten regnete es immerzu, und als er eines Tages mit seinem Regiment auf einer fernen Station den Bahnzug verließ, hatte der Winter begonnen. Durch Eis und Schnee marschierten die Soldaten, bis es Nacht wurde, dann mußten sie sich auf einem Höhenzug eingraben. Immer wieder fragten sie in den nächsten Tagen ihren On-Baschi: (Unter¬ offizier) „Wo ist der Feind? Wann greifen wir ihn an?" Aber er zeigte sich nicht. Statt dessen rollte ununterbrochen der Donner über ihren Köpfen hin, ringsum fielen Blitze auf die Erde und wühlten mit fürchterlichem Tosen den Boden auf. am Himmel platzten kleine weiße Wölkchen. Die Soldaten duckten sich oder krochen in ihre Löcher, und wenn sie wieder herauskamen, waren sie bleich und sprachen, kein Wort. Denn neben ihnen lagen drei, vier Kameraden in ihrem Blut und rührten sich nicht. Auch Omer ereilte das Schicksal. — Nach langen: Schlaf tat er die Augen auf, das Donnern und Pfeifen hatte aufgehört. Wohlige Wärme umgab ihn, er lag still und zufrieden in einem sauberen Bett. Fränkische Frauen mit weißen Kopftüchern gingen geschäftig hin und her oder blieben vor einem der vielen Betten stehen, die im großen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/419
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/419>, abgerufen am 29.05.2024.