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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Oettl Omer

Saal standen. Omer hatte seinen ganzen Kopf und die linke Gesichtshälfte
verbunden, in seiner Stirn hämmerte ein leiser Schmerz. Was war mit ihm
geschehen?

Zuletzt nahm er sich ein Herz. "Wo bin ich, Harum Effendi?" fragte er
die Krankenschwester.

"In Stambul, mein Sohn!" Sie gab ihm etwas zu trinken, und wieder
fiel er in Schlaf. --

Als er aufsitzen und mit den Kameraden sprechen und scherzen konnte,
ging an einem Nachmittag die Tür des Saales auf und er sah Tachsim Bey,
seinen Herrn, eintreten. Vor Freude streckte er ihm beide Hände entgegen und
drückte die dargebotene Rechte so stark, daß Tachsim im Schmerz das Gesicht verzog.

"Ich sehe, du kommst wieder zu Kräften, mein Junge," rief er, "das
schlimmste hast du überstanden. Der Arzt hat nicht geglaubt, mit einer solchen
Kopfwunde könnte ein Mensch wieder aufstehen. Ihr Jsniker müßt aus besserem
Stoff gemacht sein, als wir andern Sterblichen! Nur mußt du wissen, Omer
dein linkes Auge kommt nicht zurück; es ist hin."

"Das macht nichts, Effendi; sag' mir nur, ob du auch den einäugigen
Omer noch brauchen kannst!"

"Das versteht sich, mein Lämmchen! Hab' nur Geduld, noch zweimal
nutz es Vollmond werden, dann lassen sie dich hier heraus, und du findest
dein kleines Stübchen im Dall so wieder, wie du es verlassen hast. Hier habe
ich dir auch etwas mitgebracht, wähle! Diese Veilchen schickt Nische Harum,
deine Herrin; die Zigaretten sind von mir!"

"Hast du mich jemals rauchen sehen, Effendi? Aber die Blumen!"

Er nahm sie zärtlich in die Hände und drückte das Gesicht hinein. "Ach,
mein Garten," stammelte er, "und meine Tiere, und Aische Harum! Willst
du ihr meine Salams bringen, Effendi?"

"Mütterchen ist schon lange krank; werde mir bald wieder gesund, sie fragt
oft nach dir!" --

Zwei Monate später konnte Omer aus dem Krankenhaus entlassen werden.
Sein Gesicht war schmal geworden, ans dem zerstörten Auge lag ein breites
Schutzleder, eine frische Narbe zog sich längs über den glattrasierten Kopf.
Der alte Gärtner und die Köche im Daii erkannten ihn kaum wieder.

"Was ist aus meinen früheren Kameraden, den Hamals, geworden?"
fragte er, als sie beim Essen zusammensaßen.

"Nur die älteren sind noch da," bekam er zur Antwort, "die jungen
mußten in den Krieg; von ihnen ist noch keiner zurückgekehrt."

Sein erster Besuch im Garten galt den Tieren. Sie machten mürrische
Gesichter, ihr glänzendes Fell war matt und fleckig geworden. "Hat sich
niemand um euch gekümmert?" rief er, und ging sofort daran, den großen
Löwen zu putzen. Die gewohnte Arbeit erfüllte ihn mit Behagen. Stunde
um Stunde verrann, und erst bei sinkender Sonne dachte er daran, daß es Zeit


Oettl Omer

Saal standen. Omer hatte seinen ganzen Kopf und die linke Gesichtshälfte
verbunden, in seiner Stirn hämmerte ein leiser Schmerz. Was war mit ihm
geschehen?

Zuletzt nahm er sich ein Herz. „Wo bin ich, Harum Effendi?" fragte er
die Krankenschwester.

„In Stambul, mein Sohn!" Sie gab ihm etwas zu trinken, und wieder
fiel er in Schlaf. —

Als er aufsitzen und mit den Kameraden sprechen und scherzen konnte,
ging an einem Nachmittag die Tür des Saales auf und er sah Tachsim Bey,
seinen Herrn, eintreten. Vor Freude streckte er ihm beide Hände entgegen und
drückte die dargebotene Rechte so stark, daß Tachsim im Schmerz das Gesicht verzog.

„Ich sehe, du kommst wieder zu Kräften, mein Junge," rief er, „das
schlimmste hast du überstanden. Der Arzt hat nicht geglaubt, mit einer solchen
Kopfwunde könnte ein Mensch wieder aufstehen. Ihr Jsniker müßt aus besserem
Stoff gemacht sein, als wir andern Sterblichen! Nur mußt du wissen, Omer
dein linkes Auge kommt nicht zurück; es ist hin."

„Das macht nichts, Effendi; sag' mir nur, ob du auch den einäugigen
Omer noch brauchen kannst!"

„Das versteht sich, mein Lämmchen! Hab' nur Geduld, noch zweimal
nutz es Vollmond werden, dann lassen sie dich hier heraus, und du findest
dein kleines Stübchen im Dall so wieder, wie du es verlassen hast. Hier habe
ich dir auch etwas mitgebracht, wähle! Diese Veilchen schickt Nische Harum,
deine Herrin; die Zigaretten sind von mir!"

„Hast du mich jemals rauchen sehen, Effendi? Aber die Blumen!"

Er nahm sie zärtlich in die Hände und drückte das Gesicht hinein. „Ach,
mein Garten," stammelte er, „und meine Tiere, und Aische Harum! Willst
du ihr meine Salams bringen, Effendi?"

„Mütterchen ist schon lange krank; werde mir bald wieder gesund, sie fragt
oft nach dir!" —

Zwei Monate später konnte Omer aus dem Krankenhaus entlassen werden.
Sein Gesicht war schmal geworden, ans dem zerstörten Auge lag ein breites
Schutzleder, eine frische Narbe zog sich längs über den glattrasierten Kopf.
Der alte Gärtner und die Köche im Daii erkannten ihn kaum wieder.

„Was ist aus meinen früheren Kameraden, den Hamals, geworden?"
fragte er, als sie beim Essen zusammensaßen.

„Nur die älteren sind noch da," bekam er zur Antwort, „die jungen
mußten in den Krieg; von ihnen ist noch keiner zurückgekehrt."

Sein erster Besuch im Garten galt den Tieren. Sie machten mürrische
Gesichter, ihr glänzendes Fell war matt und fleckig geworden. „Hat sich
niemand um euch gekümmert?" rief er, und ging sofort daran, den großen
Löwen zu putzen. Die gewohnte Arbeit erfüllte ihn mit Behagen. Stunde
um Stunde verrann, und erst bei sinkender Sonne dachte er daran, daß es Zeit


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[0420] Oettl Omer Saal standen. Omer hatte seinen ganzen Kopf und die linke Gesichtshälfte verbunden, in seiner Stirn hämmerte ein leiser Schmerz. Was war mit ihm geschehen? Zuletzt nahm er sich ein Herz. „Wo bin ich, Harum Effendi?" fragte er die Krankenschwester. „In Stambul, mein Sohn!" Sie gab ihm etwas zu trinken, und wieder fiel er in Schlaf. — Als er aufsitzen und mit den Kameraden sprechen und scherzen konnte, ging an einem Nachmittag die Tür des Saales auf und er sah Tachsim Bey, seinen Herrn, eintreten. Vor Freude streckte er ihm beide Hände entgegen und drückte die dargebotene Rechte so stark, daß Tachsim im Schmerz das Gesicht verzog. „Ich sehe, du kommst wieder zu Kräften, mein Junge," rief er, „das schlimmste hast du überstanden. Der Arzt hat nicht geglaubt, mit einer solchen Kopfwunde könnte ein Mensch wieder aufstehen. Ihr Jsniker müßt aus besserem Stoff gemacht sein, als wir andern Sterblichen! Nur mußt du wissen, Omer dein linkes Auge kommt nicht zurück; es ist hin." „Das macht nichts, Effendi; sag' mir nur, ob du auch den einäugigen Omer noch brauchen kannst!" „Das versteht sich, mein Lämmchen! Hab' nur Geduld, noch zweimal nutz es Vollmond werden, dann lassen sie dich hier heraus, und du findest dein kleines Stübchen im Dall so wieder, wie du es verlassen hast. Hier habe ich dir auch etwas mitgebracht, wähle! Diese Veilchen schickt Nische Harum, deine Herrin; die Zigaretten sind von mir!" „Hast du mich jemals rauchen sehen, Effendi? Aber die Blumen!" Er nahm sie zärtlich in die Hände und drückte das Gesicht hinein. „Ach, mein Garten," stammelte er, „und meine Tiere, und Aische Harum! Willst du ihr meine Salams bringen, Effendi?" „Mütterchen ist schon lange krank; werde mir bald wieder gesund, sie fragt oft nach dir!" — Zwei Monate später konnte Omer aus dem Krankenhaus entlassen werden. Sein Gesicht war schmal geworden, ans dem zerstörten Auge lag ein breites Schutzleder, eine frische Narbe zog sich längs über den glattrasierten Kopf. Der alte Gärtner und die Köche im Daii erkannten ihn kaum wieder. „Was ist aus meinen früheren Kameraden, den Hamals, geworden?" fragte er, als sie beim Essen zusammensaßen. „Nur die älteren sind noch da," bekam er zur Antwort, „die jungen mußten in den Krieg; von ihnen ist noch keiner zurückgekehrt." Sein erster Besuch im Garten galt den Tieren. Sie machten mürrische Gesichter, ihr glänzendes Fell war matt und fleckig geworden. „Hat sich niemand um euch gekümmert?" rief er, und ging sofort daran, den großen Löwen zu putzen. Die gewohnte Arbeit erfüllte ihn mit Behagen. Stunde um Stunde verrann, und erst bei sinkender Sonne dachte er daran, daß es Zeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/420>, abgerufen am 31.05.2024.