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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Venvs? fiussie, vencZe? vite!

er für sein Geschäft aus, der im Gange befindliche Patriotismus lieferte ihm
die besten Gimpel für seine Sprenkel. Heute abend schreibt Herr Rennikow oder
Herr Resanow in der "Nowoje Wremja" über die verdächtig deutschfreundliche
Firma Karl Karlowitsch S..., morgen präsentiert Manuilow pünktlich seinen
Wechsel im Geschäftslokal. Das Geschäft blüht und die Gelder fließen. Im
Bären und bei Cubae kostet die Flasche französischer "Limonade" 40 Rubel.
Da heißt es verdienen. Aber schließlich geht der Krug solange zu Wasser, bis
er bricht. Manuilow, der kluge und weltkundige Mann, kam an den Falschen.
Er soll sich an den Grafen Tatischtschew, Direktor der Moskaner Unionbank
und Ministerkandidat, herangewagt haben. Der verstand keinen Spaß, oder
vielmehr verstand ihn besser als Manassewitsch-Manuilow. Die 50 000 Rubel,
die der Gauner forderte, wurden Nummer für Nummer im Beisein von
Zeugen notiert, am nächsten Tage lieferte eine Haussuchung die Scheinchen
alle ans Tageslicht. Man hatte Herrn Stürmer benachrichtigt, der gerade
noch Zeit hatte, den einflußreichen Mann, den Freund hoher Personen, seines
Beamtencharakters zu entkleiden.

Venäs? Kussie. . . Manuilow ist nur ein Fall unter vielen. Er ist
nur eine Illustration. Rußland wird im kleinen verkauft und im großen, im
wirklichen und übertragenen Sinne. Man könnte lange Geschichten über das
verkaufte Rußland schreiben.

Da gibt es eine Brot- und eine Mehlnot fast in allen großen Städten. In
Petersburg kriegt man kein Weißbrot mehr, eine Art Kleister stellen die Bäcker
her, aus dem sie ein übelschmeckendes weißliches Gebäck bereiten. Während
der Ministergehilfe Glinka feierlich erklärt, von der alten Ernte sei noch
über eine halbe Milliarde Pud vorhanden, stehen in Moskau vor allen Läden
lange Reihen von Leuten, um ein halbes Pfund Schwarzbrot zu erhalten. Der
Oberkommandierende der Stadt erläßt einen Aufruf an die hungernde Be¬
völkerung, der ganz an die Zeiten Trepows erinnert. Zwar drohte er nicht,
wie dieser damit, daß er seine Truppen angewiesen habe "Mronow ne
snalAtj" (die Patronen nicht zu sparen), aber er wies für den Fall von Un¬
ruhen mit nicht mißverständlicher Gebärde auf den Kriegszustand hin. Die
Moskaner "Wetschernija Jswestia" vom 10. September sprechen es deut¬
lich aus:

"Alles ertrugen wir, alle Teuerungssorgen. Nun stehen wir vor der
größten Heimsuchung: wir hungernl Wir haben weder Milch noch Eier
noch Butter noch Fleisch. Seit gestern sind Zucker und Brot aus Moskau
verschwunden. Zucker und Brot sind für Moskau Luxusmittel... Die
hungernde Bevölkerung vermag nicht, diesen Bund zwischen bösem Willen
und Talentlosigkeit zu beseitigen. Gegen diesen Bund müssen wir einen
langen, hartnäckigen und wohlüberlegten Kampf beginnen. Allerdings ohne
Aufreizung zu Unruhen, die jetzt nicht am Platze wären. Gegen diesen
Bund muß die Gesellschaft zur Selbsthilfe schreiten. Zu diesem Zwecke


Venvs? fiussie, vencZe? vite!

er für sein Geschäft aus, der im Gange befindliche Patriotismus lieferte ihm
die besten Gimpel für seine Sprenkel. Heute abend schreibt Herr Rennikow oder
Herr Resanow in der „Nowoje Wremja" über die verdächtig deutschfreundliche
Firma Karl Karlowitsch S..., morgen präsentiert Manuilow pünktlich seinen
Wechsel im Geschäftslokal. Das Geschäft blüht und die Gelder fließen. Im
Bären und bei Cubae kostet die Flasche französischer „Limonade" 40 Rubel.
Da heißt es verdienen. Aber schließlich geht der Krug solange zu Wasser, bis
er bricht. Manuilow, der kluge und weltkundige Mann, kam an den Falschen.
Er soll sich an den Grafen Tatischtschew, Direktor der Moskaner Unionbank
und Ministerkandidat, herangewagt haben. Der verstand keinen Spaß, oder
vielmehr verstand ihn besser als Manassewitsch-Manuilow. Die 50 000 Rubel,
die der Gauner forderte, wurden Nummer für Nummer im Beisein von
Zeugen notiert, am nächsten Tage lieferte eine Haussuchung die Scheinchen
alle ans Tageslicht. Man hatte Herrn Stürmer benachrichtigt, der gerade
noch Zeit hatte, den einflußreichen Mann, den Freund hoher Personen, seines
Beamtencharakters zu entkleiden.

Venäs? Kussie. . . Manuilow ist nur ein Fall unter vielen. Er ist
nur eine Illustration. Rußland wird im kleinen verkauft und im großen, im
wirklichen und übertragenen Sinne. Man könnte lange Geschichten über das
verkaufte Rußland schreiben.

Da gibt es eine Brot- und eine Mehlnot fast in allen großen Städten. In
Petersburg kriegt man kein Weißbrot mehr, eine Art Kleister stellen die Bäcker
her, aus dem sie ein übelschmeckendes weißliches Gebäck bereiten. Während
der Ministergehilfe Glinka feierlich erklärt, von der alten Ernte sei noch
über eine halbe Milliarde Pud vorhanden, stehen in Moskau vor allen Läden
lange Reihen von Leuten, um ein halbes Pfund Schwarzbrot zu erhalten. Der
Oberkommandierende der Stadt erläßt einen Aufruf an die hungernde Be¬
völkerung, der ganz an die Zeiten Trepows erinnert. Zwar drohte er nicht,
wie dieser damit, daß er seine Truppen angewiesen habe „Mronow ne
snalAtj" (die Patronen nicht zu sparen), aber er wies für den Fall von Un¬
ruhen mit nicht mißverständlicher Gebärde auf den Kriegszustand hin. Die
Moskaner „Wetschernija Jswestia" vom 10. September sprechen es deut¬
lich aus:

„Alles ertrugen wir, alle Teuerungssorgen. Nun stehen wir vor der
größten Heimsuchung: wir hungernl Wir haben weder Milch noch Eier
noch Butter noch Fleisch. Seit gestern sind Zucker und Brot aus Moskau
verschwunden. Zucker und Brot sind für Moskau Luxusmittel... Die
hungernde Bevölkerung vermag nicht, diesen Bund zwischen bösem Willen
und Talentlosigkeit zu beseitigen. Gegen diesen Bund müssen wir einen
langen, hartnäckigen und wohlüberlegten Kampf beginnen. Allerdings ohne
Aufreizung zu Unruhen, die jetzt nicht am Platze wären. Gegen diesen
Bund muß die Gesellschaft zur Selbsthilfe schreiten. Zu diesem Zwecke


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/46>, abgerufen am 12.05.2024.