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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Venae? Kussie, vcncle? vite!

Vor mir liegt ein Aufsatz des bekannten russischen linksstehenden Politikers
Peschechonow in den "Rußkija Sapiski", der die russische schwebende Schuld an
England auf Grund des russisch-englischen Finanzabkommens auf 7 Milliarden
Rubel beziffert. Peschechonow fährt fort:

"Zugleich mit dieser Hilfe ... hat sich England verpflichtet, uns unter
der Bedingung mit Gold zu versehen, daß dieses Gold die ganze Zeit in den
Kellern der englischen Bank bleibt, aber bei Schluß des Krieges unverzüglich
an das uns leidende England zurückgegeben wird. Solches Gold im Ausland
hat die Reichsbank nach dem Ausweis von 23. Mai jetzt über 1400 Millionen
Rubel. . .*) Auf diese Weise sind wir an "Gold im Ausland jetzt erheblich reicher
geworden und haben dort nur etwas weniger als im Inlande (1540 Millionen
Rubel). Dieses ausländische, in Wirklichkeit nur nominelle (auf dem Papiere
stehende) Gold ist der Reichsbank nötig, um im Innern weiter Papiergeld
ausgeben zu können . . .".

Ist wirklich, wie es hiernach den Anschein hat, von England die Be¬
dingung der Rückgabe in Gold nach Beendigung des Krieges an Rußland
gestellt worden, so ist in Wahrheit kein Gold mehr in den Kassen der russischen
Staatsbank vorhanden, sondern alles russische Gold gehört England und
Buchanan hatte wirklich Anlaß, sich dieser Wohltaten zu rühmen ... -- Venae?
l?u88le!

Einer der interessantesten Aufsätze, die in der letzten Zeit über das russisch¬
englische Zusammenarbeiten geschrieben worden sind, ist zweifellos der von
Migulin im "Nowy Ekonomist" vom 2. September. Migulin ist ein naher Ver¬
wandter von Alexejenko, dem Präsidenten der Budgetkommission der russischen
Duma, also ein sehr unterrichteter Mann. Er steht anscheinend ganz auf dem
Boden der englisch-russischen Freundschaft. Interessant ist seine Darstellung,
daß sich England nur unter der Bedingung Rußland gegenüber zum Mit¬
gehen verpflichtet hat, daß Rußland keinen Sonderfrieden schließt. Ist
das richtig, so ist die englische Politik wirklich sehr klug und vorausschauend
gewesen. Migulin aber fühlt sich verpflichtet, über die Zukunft zu sprechen,
über die glückliche Zukunft, die kommen wird, wenn Deutschland vernichtet ist.
Und was er da sagt, ist von hohem Interesse, weil es die Furcht und zugleich
die Naivität zeigt, die noch jetzt in manchem Russen steckt. Ich zitiere Herrn
Migulin wörtlich:

"Wenn aber Deutschland nicht mehr sein wird, wenn Österreich-Ungarn
in seine Bestandteile zerfallen und die Türkei untergegangen sein wird, wer
wird dann noch Rußland bedrohen? Und wie kann England denn Rußland
bei Lösung feiner Lebensaufgabe, den Ausgang zu dem warmen Meere zu er¬
langen, hinderlich in den Weg treten? Zu welchem Zweck würde England
dies tun wollen? England wird nach dem schweren Kriege ebenso einen



*) Jetzt ist die zweite Milliarde schon überschritten!
Venae? Kussie, vcncle? vite!

Vor mir liegt ein Aufsatz des bekannten russischen linksstehenden Politikers
Peschechonow in den „Rußkija Sapiski", der die russische schwebende Schuld an
England auf Grund des russisch-englischen Finanzabkommens auf 7 Milliarden
Rubel beziffert. Peschechonow fährt fort:

„Zugleich mit dieser Hilfe ... hat sich England verpflichtet, uns unter
der Bedingung mit Gold zu versehen, daß dieses Gold die ganze Zeit in den
Kellern der englischen Bank bleibt, aber bei Schluß des Krieges unverzüglich
an das uns leidende England zurückgegeben wird. Solches Gold im Ausland
hat die Reichsbank nach dem Ausweis von 23. Mai jetzt über 1400 Millionen
Rubel. . .*) Auf diese Weise sind wir an „Gold im Ausland jetzt erheblich reicher
geworden und haben dort nur etwas weniger als im Inlande (1540 Millionen
Rubel). Dieses ausländische, in Wirklichkeit nur nominelle (auf dem Papiere
stehende) Gold ist der Reichsbank nötig, um im Innern weiter Papiergeld
ausgeben zu können . . .".

Ist wirklich, wie es hiernach den Anschein hat, von England die Be¬
dingung der Rückgabe in Gold nach Beendigung des Krieges an Rußland
gestellt worden, so ist in Wahrheit kein Gold mehr in den Kassen der russischen
Staatsbank vorhanden, sondern alles russische Gold gehört England und
Buchanan hatte wirklich Anlaß, sich dieser Wohltaten zu rühmen ... — Venae?
l?u88le!

Einer der interessantesten Aufsätze, die in der letzten Zeit über das russisch¬
englische Zusammenarbeiten geschrieben worden sind, ist zweifellos der von
Migulin im „Nowy Ekonomist" vom 2. September. Migulin ist ein naher Ver¬
wandter von Alexejenko, dem Präsidenten der Budgetkommission der russischen
Duma, also ein sehr unterrichteter Mann. Er steht anscheinend ganz auf dem
Boden der englisch-russischen Freundschaft. Interessant ist seine Darstellung,
daß sich England nur unter der Bedingung Rußland gegenüber zum Mit¬
gehen verpflichtet hat, daß Rußland keinen Sonderfrieden schließt. Ist
das richtig, so ist die englische Politik wirklich sehr klug und vorausschauend
gewesen. Migulin aber fühlt sich verpflichtet, über die Zukunft zu sprechen,
über die glückliche Zukunft, die kommen wird, wenn Deutschland vernichtet ist.
Und was er da sagt, ist von hohem Interesse, weil es die Furcht und zugleich
die Naivität zeigt, die noch jetzt in manchem Russen steckt. Ich zitiere Herrn
Migulin wörtlich:

„Wenn aber Deutschland nicht mehr sein wird, wenn Österreich-Ungarn
in seine Bestandteile zerfallen und die Türkei untergegangen sein wird, wer
wird dann noch Rußland bedrohen? Und wie kann England denn Rußland
bei Lösung feiner Lebensaufgabe, den Ausgang zu dem warmen Meere zu er¬
langen, hinderlich in den Weg treten? Zu welchem Zweck würde England
dies tun wollen? England wird nach dem schweren Kriege ebenso einen



*) Jetzt ist die zweite Milliarde schon überschritten!
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/50>, abgerufen am 14.05.2024.