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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Erdkunde in den höheren Schulen

Weg angedeutet, den eine künftige Schulreform wird gehen müssen, will sie
nicht gegenüber einer dringenden pädagogischen Forderung der Gegenwart als
rückständig erfunden werden. --

Vergessen wir nicht den weiteren Zusammenhang, in dem wiederum die
Schulreform als Ganzes mit der Reform des Universitätsunterrichts steht!
Gern und dankbar sei der Verdienste der akademischen Vertreter der Geographie
um die Schulerdkunde gedacht. Ich nenne nur bekanntere Namen, wie Ratzel,
Kirchhofs, H. Wagner. Aber von diesen und einigen weiteren rühmlichen Aus¬
nahmen abgesehen, liegt trotz allem, was darüber geredet und geschrieben ist,
die akademische Ausbildung der künftigen Erdkundelehrer der höheren Schulen
vielfach immer noch im Argen. Es ist ungemein bequem und einleuchtend, vom
Schulunterricht zu verlangen, er solle endlich einmal seine alte bläßlich-papierene
Farbe ablegen und sich mehr Freilicht- und Luftkultur zum Grundsatz machen.
Man darf versichert sein, daß diese und viele andere derartige Wünsche noch
nach einem Menschenalter zu den "frommen" gehören werden, wenn nicht in¬
zwischen der akademisch-geographische Unterricht, so namentlich durch regelmäßig
wiederkehrende und planvoll geleitete geographische Studienreisen, vorsorgt.
Daß gewisse, im Schulunterricht der Erdkunde besonders wichtige Teilgebiete,
wie z. B. die Wirtschaftsgeographie, an manchen Universitäten allzu stiefmütter¬
lich behandelt werden, erwähne ich nur der Merkwürdigkeit wegen. Was soll
man aber dazu sagen, wenn ein namhafter Universitätslehrer der Geographie
ebenso geringschätzig wie sachunkundig redet von der geographischen Hochschul¬
bildung als einer "Wissenssumme, die dann beim Unterricht nur zu verdünnen
ist"*). -- Unter den obwaltenden Verhältnissen ist es von vornherein verfehlt,
eine Reform des geographischen Unterrichts an höheren Schulen ohne ent¬
sprechende durchgreifende Änderungen im Universitätsbetrieb der geographischen
Wissenschaft zu erhoffen. Diese Erkenntnis bricht sich in den beteiligten Fach¬
kreisen zwar sehr langsam, hoffentlich aber sicher Bahn. Die Schulmethodik
und die verschiedenartigsten Lehrmittel für die Erdkunde sind -- mindestens in
der Theorie -- so weit vervollkommnet, daß wir als das nächste Ziel, aber
auch als die Lonäitio sine qua non, eine den Zeitverhältnissen angepaßte
äußere Stellung im Lehrplan und Lehrbetrieb der höheren Schule bezeichnen
müssen. --

Möchten meine Ausführungen mit dazu beitragen, die mancherlei veralteten
und einseitigen Anschauungen über Wesen und Aufgaben neuzeitlicher Schul¬
erdkunde zu klären und so die Verwirklichung ihrer Forderungen zu beschleunigen.





*) Geographischer Anzeiger 1916, S. 228.
Grenzboten IV 19104
Erdkunde in den höheren Schulen

Weg angedeutet, den eine künftige Schulreform wird gehen müssen, will sie
nicht gegenüber einer dringenden pädagogischen Forderung der Gegenwart als
rückständig erfunden werden. —

Vergessen wir nicht den weiteren Zusammenhang, in dem wiederum die
Schulreform als Ganzes mit der Reform des Universitätsunterrichts steht!
Gern und dankbar sei der Verdienste der akademischen Vertreter der Geographie
um die Schulerdkunde gedacht. Ich nenne nur bekanntere Namen, wie Ratzel,
Kirchhofs, H. Wagner. Aber von diesen und einigen weiteren rühmlichen Aus¬
nahmen abgesehen, liegt trotz allem, was darüber geredet und geschrieben ist,
die akademische Ausbildung der künftigen Erdkundelehrer der höheren Schulen
vielfach immer noch im Argen. Es ist ungemein bequem und einleuchtend, vom
Schulunterricht zu verlangen, er solle endlich einmal seine alte bläßlich-papierene
Farbe ablegen und sich mehr Freilicht- und Luftkultur zum Grundsatz machen.
Man darf versichert sein, daß diese und viele andere derartige Wünsche noch
nach einem Menschenalter zu den „frommen" gehören werden, wenn nicht in¬
zwischen der akademisch-geographische Unterricht, so namentlich durch regelmäßig
wiederkehrende und planvoll geleitete geographische Studienreisen, vorsorgt.
Daß gewisse, im Schulunterricht der Erdkunde besonders wichtige Teilgebiete,
wie z. B. die Wirtschaftsgeographie, an manchen Universitäten allzu stiefmütter¬
lich behandelt werden, erwähne ich nur der Merkwürdigkeit wegen. Was soll
man aber dazu sagen, wenn ein namhafter Universitätslehrer der Geographie
ebenso geringschätzig wie sachunkundig redet von der geographischen Hochschul¬
bildung als einer „Wissenssumme, die dann beim Unterricht nur zu verdünnen
ist"*). — Unter den obwaltenden Verhältnissen ist es von vornherein verfehlt,
eine Reform des geographischen Unterrichts an höheren Schulen ohne ent¬
sprechende durchgreifende Änderungen im Universitätsbetrieb der geographischen
Wissenschaft zu erhoffen. Diese Erkenntnis bricht sich in den beteiligten Fach¬
kreisen zwar sehr langsam, hoffentlich aber sicher Bahn. Die Schulmethodik
und die verschiedenartigsten Lehrmittel für die Erdkunde sind — mindestens in
der Theorie — so weit vervollkommnet, daß wir als das nächste Ziel, aber
auch als die Lonäitio sine qua non, eine den Zeitverhältnissen angepaßte
äußere Stellung im Lehrplan und Lehrbetrieb der höheren Schule bezeichnen
müssen. —

Möchten meine Ausführungen mit dazu beitragen, die mancherlei veralteten
und einseitigen Anschauungen über Wesen und Aufgaben neuzeitlicher Schul¬
erdkunde zu klären und so die Verwirklichung ihrer Forderungen zu beschleunigen.





*) Geographischer Anzeiger 1916, S. 228.
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[0061] Erdkunde in den höheren Schulen Weg angedeutet, den eine künftige Schulreform wird gehen müssen, will sie nicht gegenüber einer dringenden pädagogischen Forderung der Gegenwart als rückständig erfunden werden. — Vergessen wir nicht den weiteren Zusammenhang, in dem wiederum die Schulreform als Ganzes mit der Reform des Universitätsunterrichts steht! Gern und dankbar sei der Verdienste der akademischen Vertreter der Geographie um die Schulerdkunde gedacht. Ich nenne nur bekanntere Namen, wie Ratzel, Kirchhofs, H. Wagner. Aber von diesen und einigen weiteren rühmlichen Aus¬ nahmen abgesehen, liegt trotz allem, was darüber geredet und geschrieben ist, die akademische Ausbildung der künftigen Erdkundelehrer der höheren Schulen vielfach immer noch im Argen. Es ist ungemein bequem und einleuchtend, vom Schulunterricht zu verlangen, er solle endlich einmal seine alte bläßlich-papierene Farbe ablegen und sich mehr Freilicht- und Luftkultur zum Grundsatz machen. Man darf versichert sein, daß diese und viele andere derartige Wünsche noch nach einem Menschenalter zu den „frommen" gehören werden, wenn nicht in¬ zwischen der akademisch-geographische Unterricht, so namentlich durch regelmäßig wiederkehrende und planvoll geleitete geographische Studienreisen, vorsorgt. Daß gewisse, im Schulunterricht der Erdkunde besonders wichtige Teilgebiete, wie z. B. die Wirtschaftsgeographie, an manchen Universitäten allzu stiefmütter¬ lich behandelt werden, erwähne ich nur der Merkwürdigkeit wegen. Was soll man aber dazu sagen, wenn ein namhafter Universitätslehrer der Geographie ebenso geringschätzig wie sachunkundig redet von der geographischen Hochschul¬ bildung als einer „Wissenssumme, die dann beim Unterricht nur zu verdünnen ist"*). — Unter den obwaltenden Verhältnissen ist es von vornherein verfehlt, eine Reform des geographischen Unterrichts an höheren Schulen ohne ent¬ sprechende durchgreifende Änderungen im Universitätsbetrieb der geographischen Wissenschaft zu erhoffen. Diese Erkenntnis bricht sich in den beteiligten Fach¬ kreisen zwar sehr langsam, hoffentlich aber sicher Bahn. Die Schulmethodik und die verschiedenartigsten Lehrmittel für die Erdkunde sind — mindestens in der Theorie — so weit vervollkommnet, daß wir als das nächste Ziel, aber auch als die Lonäitio sine qua non, eine den Zeitverhältnissen angepaßte äußere Stellung im Lehrplan und Lehrbetrieb der höheren Schule bezeichnen müssen. — Möchten meine Ausführungen mit dazu beitragen, die mancherlei veralteten und einseitigen Anschauungen über Wesen und Aufgaben neuzeitlicher Schul¬ erdkunde zu klären und so die Verwirklichung ihrer Forderungen zu beschleunigen. *) Geographischer Anzeiger 1916, S. 228. Grenzboten IV 19104

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/61>, abgerufen am 13.05.2024.