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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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poinearö, Frankreich und die Revanche

Jugend war auf Seite des neugewählten. Eine nationale Hochspannung ging
durch das Land in jenen Tagen von einer Kraft, die den Fremden, die vor
allem den Deutschen überraschte.

War es doch durch Jahre hindurch geradezu ein Dogma bei uns, daß
die Revancheidee mehr und mehr im Ersterben sei, daß die breite Masse des
französischen Volkes nur Friede mit uns wolle. Alle Äußerungen gegenteiliger
Art, mochten sie noch so heftig und auch noch so gehässig sein, setzte man auf
Rechnung jenes, wie man glaubte, nicht recht ernst zu nehmenden Revolver¬
journalismus der Pariser Spektakelpresse, der Fünfpfennigblätter vom Schlage
des "Maler", "Petit Parisien" usw. oder man hielt sie für kaltberechnete, inner¬
licher Überzeugung bare Spekulation jener Politiker, Spekulation auf die immer
noch nicht ganz erstorbenen Nationalinstinkte der geschichtsstolzen Massen.

Als freilich die Revanchegesten immer stärker wurden, als die deutsch¬
feindliche Literatur sich schließlich zu ganzen Bergen turnte, die deutsch-
hässtgen Theaterstücke wie die Pilze emporschössen, haßentflammte Blätter
reißenden Absatz fanden, schließlich sogar friedliche deutsche Bürger drüben mehr
und mehr angerempelt wurden, da schaute man doch allmählich mit erstaunter
Aufmerksamkeit über die Grenze.

Es hatte allerdings eine Zeitlang geschienen, als ob die Revanche und die
Revanchards tot oder doch im Siechtum seien. Es war die Zeit, als die
radikale Partei der Herrschaft entgegenging, die Zeit, als man anfing, gegen
Klerus und Orden, gegen Kirche und Katholizismus vorzugehen, die Zeit, die
in Waldeck-Rousseau und Combes, in Felix Faure und Loubet ihre Höhe¬
punkte hatte. Die ganze Kraft des französischen Staatslebens wandte sich
damals innerpolitischen Aufgaben zu. Im Antiklerikalismus, in der Ver¬
weltlichung des Staates, der Laisierung des öffentlichen Lebens, der Trennung
der staatlichen Gewalten von den kirchlichen, der reinlichen Scheidung beider,
der Stärkung der Staatsmacht gegenüber der außerstaatlichen übernationalen
Kirche, in diesem anscheinend rein innerpolitischen Ziele lebte sich das politische
Leben aus.

Demokratie und Demokratisierung waren die Mittel zu diesem Ziele, ganz
von selbst dann aber auch wieder zum Selbstzweck aufwachsend. Der Kleri¬
kalismus stützte sich ja auf die konservativen, feudalen, aristokratischen und
monarchistischen Schichten. Demokratisierung bedeutete Ausschaltung ihres Ein¬
flusses, bedeutete zugleich auch Festigung und Stärkung der Republik. Also
Kampf für die Republik, Kampf für die Demokratie, Kampf für den weltlichen
Staat, das waren die Schlagworte für die damals anstürmenden und das
Land durchtobenden politischen Ideen.

Der Klerikalismus wehrte sich gegen den Sturm mit aller Macht. Er war
von jeher der Hauptträger der Revancheidee, von jeher vom Nationalismus
am schärfsten durchtränkt gewesen. Er kannte die Macht des Nationalitäts¬
gedankens auf die empfindlichen Gemüter aller Volkskreise. Mit ihm fiel er


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poinearö, Frankreich und die Revanche

Jugend war auf Seite des neugewählten. Eine nationale Hochspannung ging
durch das Land in jenen Tagen von einer Kraft, die den Fremden, die vor
allem den Deutschen überraschte.

War es doch durch Jahre hindurch geradezu ein Dogma bei uns, daß
die Revancheidee mehr und mehr im Ersterben sei, daß die breite Masse des
französischen Volkes nur Friede mit uns wolle. Alle Äußerungen gegenteiliger
Art, mochten sie noch so heftig und auch noch so gehässig sein, setzte man auf
Rechnung jenes, wie man glaubte, nicht recht ernst zu nehmenden Revolver¬
journalismus der Pariser Spektakelpresse, der Fünfpfennigblätter vom Schlage
des „Maler", „Petit Parisien" usw. oder man hielt sie für kaltberechnete, inner¬
licher Überzeugung bare Spekulation jener Politiker, Spekulation auf die immer
noch nicht ganz erstorbenen Nationalinstinkte der geschichtsstolzen Massen.

Als freilich die Revanchegesten immer stärker wurden, als die deutsch¬
feindliche Literatur sich schließlich zu ganzen Bergen turnte, die deutsch-
hässtgen Theaterstücke wie die Pilze emporschössen, haßentflammte Blätter
reißenden Absatz fanden, schließlich sogar friedliche deutsche Bürger drüben mehr
und mehr angerempelt wurden, da schaute man doch allmählich mit erstaunter
Aufmerksamkeit über die Grenze.

Es hatte allerdings eine Zeitlang geschienen, als ob die Revanche und die
Revanchards tot oder doch im Siechtum seien. Es war die Zeit, als die
radikale Partei der Herrschaft entgegenging, die Zeit, als man anfing, gegen
Klerus und Orden, gegen Kirche und Katholizismus vorzugehen, die Zeit, die
in Waldeck-Rousseau und Combes, in Felix Faure und Loubet ihre Höhe¬
punkte hatte. Die ganze Kraft des französischen Staatslebens wandte sich
damals innerpolitischen Aufgaben zu. Im Antiklerikalismus, in der Ver¬
weltlichung des Staates, der Laisierung des öffentlichen Lebens, der Trennung
der staatlichen Gewalten von den kirchlichen, der reinlichen Scheidung beider,
der Stärkung der Staatsmacht gegenüber der außerstaatlichen übernationalen
Kirche, in diesem anscheinend rein innerpolitischen Ziele lebte sich das politische
Leben aus.

Demokratie und Demokratisierung waren die Mittel zu diesem Ziele, ganz
von selbst dann aber auch wieder zum Selbstzweck aufwachsend. Der Kleri¬
kalismus stützte sich ja auf die konservativen, feudalen, aristokratischen und
monarchistischen Schichten. Demokratisierung bedeutete Ausschaltung ihres Ein¬
flusses, bedeutete zugleich auch Festigung und Stärkung der Republik. Also
Kampf für die Republik, Kampf für die Demokratie, Kampf für den weltlichen
Staat, das waren die Schlagworte für die damals anstürmenden und das
Land durchtobenden politischen Ideen.

Der Klerikalismus wehrte sich gegen den Sturm mit aller Macht. Er war
von jeher der Hauptträger der Revancheidee, von jeher vom Nationalismus
am schärfsten durchtränkt gewesen. Er kannte die Macht des Nationalitäts¬
gedankens auf die empfindlichen Gemüter aller Volkskreise. Mit ihm fiel er


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[0079] poinearö, Frankreich und die Revanche Jugend war auf Seite des neugewählten. Eine nationale Hochspannung ging durch das Land in jenen Tagen von einer Kraft, die den Fremden, die vor allem den Deutschen überraschte. War es doch durch Jahre hindurch geradezu ein Dogma bei uns, daß die Revancheidee mehr und mehr im Ersterben sei, daß die breite Masse des französischen Volkes nur Friede mit uns wolle. Alle Äußerungen gegenteiliger Art, mochten sie noch so heftig und auch noch so gehässig sein, setzte man auf Rechnung jenes, wie man glaubte, nicht recht ernst zu nehmenden Revolver¬ journalismus der Pariser Spektakelpresse, der Fünfpfennigblätter vom Schlage des „Maler", „Petit Parisien" usw. oder man hielt sie für kaltberechnete, inner¬ licher Überzeugung bare Spekulation jener Politiker, Spekulation auf die immer noch nicht ganz erstorbenen Nationalinstinkte der geschichtsstolzen Massen. Als freilich die Revanchegesten immer stärker wurden, als die deutsch¬ feindliche Literatur sich schließlich zu ganzen Bergen turnte, die deutsch- hässtgen Theaterstücke wie die Pilze emporschössen, haßentflammte Blätter reißenden Absatz fanden, schließlich sogar friedliche deutsche Bürger drüben mehr und mehr angerempelt wurden, da schaute man doch allmählich mit erstaunter Aufmerksamkeit über die Grenze. Es hatte allerdings eine Zeitlang geschienen, als ob die Revanche und die Revanchards tot oder doch im Siechtum seien. Es war die Zeit, als die radikale Partei der Herrschaft entgegenging, die Zeit, als man anfing, gegen Klerus und Orden, gegen Kirche und Katholizismus vorzugehen, die Zeit, die in Waldeck-Rousseau und Combes, in Felix Faure und Loubet ihre Höhe¬ punkte hatte. Die ganze Kraft des französischen Staatslebens wandte sich damals innerpolitischen Aufgaben zu. Im Antiklerikalismus, in der Ver¬ weltlichung des Staates, der Laisierung des öffentlichen Lebens, der Trennung der staatlichen Gewalten von den kirchlichen, der reinlichen Scheidung beider, der Stärkung der Staatsmacht gegenüber der außerstaatlichen übernationalen Kirche, in diesem anscheinend rein innerpolitischen Ziele lebte sich das politische Leben aus. Demokratie und Demokratisierung waren die Mittel zu diesem Ziele, ganz von selbst dann aber auch wieder zum Selbstzweck aufwachsend. Der Kleri¬ kalismus stützte sich ja auf die konservativen, feudalen, aristokratischen und monarchistischen Schichten. Demokratisierung bedeutete Ausschaltung ihres Ein¬ flusses, bedeutete zugleich auch Festigung und Stärkung der Republik. Also Kampf für die Republik, Kampf für die Demokratie, Kampf für den weltlichen Staat, das waren die Schlagworte für die damals anstürmenden und das Land durchtobenden politischen Ideen. Der Klerikalismus wehrte sich gegen den Sturm mit aller Macht. Er war von jeher der Hauptträger der Revancheidee, von jeher vom Nationalismus am schärfsten durchtränkt gewesen. Er kannte die Macht des Nationalitäts¬ gedankens auf die empfindlichen Gemüter aller Volkskreise. Mit ihm fiel er 6*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/79>, abgerufen am 24.05.2024.