Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Kurs des neuen Kanzlers

des Kanzlers gedreht und gedeutet worden. Ganz wohl war freilich den
Zeitungen dieser Richtung bei ihren Auslegungskünsten selbst nicht: am 1. August
machte jedenfalls die "Deutsche Tageszeitung" noch einen sorgfältigen Unter¬
schied zwischen dem Vertrauen, das sie der Obersten Heeresleitung und dem,
das sie dem Reichskanzler entgegenbringe: "Wir vertrauen der Obersten Heeres¬
leitung und sind auch frei von kleinlichen Mißtrauen gegen die staatspolitische
Neichsleitung; wir vertrauen unseren Feldherren und Truppen, die jetzt wieder
so Herrliches vollbringen!"

Aller Augen richteten sich bei dieser allgemeinen Unsicherheit der Auf¬
fassung auf den bevorstehenden Wechsel in den höchsten Reichs- und Staats¬
ämtern, der durch die Fahrt des Kaisers-und Königs zum östlichen Kriegs¬
schauplatz für kurze Zeit verschoben war. In der Zwischenzeit wurde in der
Presse um die gehenden und kommenden Männer ein förmlicher Schwertertanz
vollführt. Von altdeutsch-konservativer Seite wurde dem Reichskanzler immer
deutlicher zu verstehen gegeben, daß das Maß von Vertrauen, das man ihm
entgegenzubringen gewillt sei, von der richtigen Auswahl seiner nächsten Ge¬
hilfen im Reich und im Staat abhängig sein werde. Die "Deutsche Tages¬
zeitung" legte dabei das Hauptgewicht auf die Ernennung des Staatssekretärs
des Auswärtigen, die "Kreuzzeitung" auf die Frage, ob ein Sozialdemokrat
für irgendeins der höchsten Ämter in Betracht gezogen werde. Jene wandte
sich im voraus mit besonderer Schärfe gegen die Kandidatur des bisherigen
Botschafters von Konstantinopel, Herrn von Kühlmann, für das Staatssekretariat
des Auswärtigen. Sie wollte in ihm durchaus den Hauptvertreter einer "Politik
von Anschauungen und Zielen" sehen, "welche völlig, aber auch bis aufs letzte
abgewirtschaftet haben, deren eine lange Reihe von Tatsachen erwiesen worden
sind, und deren Vertreter nicht nur als Konstrukteure von politischen Karten¬
häusern auf die Nachwelt kommen werden, sondern als Propagatoren einer
oberflächlich-kurzsichtigen und unheilvollen Politik, welche das Deutsche Reich
so oder so auf die schiefe Ebene bringen mußte." Offen sprach die "Deutsche
Tageszeitung" es aus: es wäre merkwürdig und bedenklich, wenn gerade einem
solchen Manne jetzt das Steuer der auswärtigen Politik anvertraut werden sollte;
man würde dann der Entwicklung der Dinge mit besonderer Aufmerksamkeit
und Sorge folgen müssen, im Hinblick auf den Fortgang des Krieges ebenso¬
wohl wie auch der Friedensverhandlungen." -- Nicht geringere Bedenken hat
die "Kreuzzeitung" gegen die mögliche Ernennung eines Sozialdemokraten zum
Minister geltend gemacht. Indem sie an der fragwürdigen Fiktion festhielt, als
ob die Sozialdemokraten schlechthin Feinde des Staatswesens, wie es gegen¬
wärtig bestehe, seien, schrieb sie (31. Juli): "Sollten die Sozialdemokraten nun
in ihrem Kampfe unterstützt und gefördert werden, indem sie an der Regierung
desselben Staates beteiligt werden, den sie negieren? Wäre das nicht gerade¬
zu Selbstmord des Staates? Ist ein Sozialdemokrat Minister, kann es dann
noch für irgendeinen Staatsbürger ein Pudendum sein, um diesen Bismarckschen


Der Kurs des neuen Kanzlers

des Kanzlers gedreht und gedeutet worden. Ganz wohl war freilich den
Zeitungen dieser Richtung bei ihren Auslegungskünsten selbst nicht: am 1. August
machte jedenfalls die „Deutsche Tageszeitung" noch einen sorgfältigen Unter¬
schied zwischen dem Vertrauen, das sie der Obersten Heeresleitung und dem,
das sie dem Reichskanzler entgegenbringe: „Wir vertrauen der Obersten Heeres¬
leitung und sind auch frei von kleinlichen Mißtrauen gegen die staatspolitische
Neichsleitung; wir vertrauen unseren Feldherren und Truppen, die jetzt wieder
so Herrliches vollbringen!"

Aller Augen richteten sich bei dieser allgemeinen Unsicherheit der Auf¬
fassung auf den bevorstehenden Wechsel in den höchsten Reichs- und Staats¬
ämtern, der durch die Fahrt des Kaisers-und Königs zum östlichen Kriegs¬
schauplatz für kurze Zeit verschoben war. In der Zwischenzeit wurde in der
Presse um die gehenden und kommenden Männer ein förmlicher Schwertertanz
vollführt. Von altdeutsch-konservativer Seite wurde dem Reichskanzler immer
deutlicher zu verstehen gegeben, daß das Maß von Vertrauen, das man ihm
entgegenzubringen gewillt sei, von der richtigen Auswahl seiner nächsten Ge¬
hilfen im Reich und im Staat abhängig sein werde. Die „Deutsche Tages¬
zeitung" legte dabei das Hauptgewicht auf die Ernennung des Staatssekretärs
des Auswärtigen, die „Kreuzzeitung" auf die Frage, ob ein Sozialdemokrat
für irgendeins der höchsten Ämter in Betracht gezogen werde. Jene wandte
sich im voraus mit besonderer Schärfe gegen die Kandidatur des bisherigen
Botschafters von Konstantinopel, Herrn von Kühlmann, für das Staatssekretariat
des Auswärtigen. Sie wollte in ihm durchaus den Hauptvertreter einer „Politik
von Anschauungen und Zielen" sehen, „welche völlig, aber auch bis aufs letzte
abgewirtschaftet haben, deren eine lange Reihe von Tatsachen erwiesen worden
sind, und deren Vertreter nicht nur als Konstrukteure von politischen Karten¬
häusern auf die Nachwelt kommen werden, sondern als Propagatoren einer
oberflächlich-kurzsichtigen und unheilvollen Politik, welche das Deutsche Reich
so oder so auf die schiefe Ebene bringen mußte." Offen sprach die „Deutsche
Tageszeitung" es aus: es wäre merkwürdig und bedenklich, wenn gerade einem
solchen Manne jetzt das Steuer der auswärtigen Politik anvertraut werden sollte;
man würde dann der Entwicklung der Dinge mit besonderer Aufmerksamkeit
und Sorge folgen müssen, im Hinblick auf den Fortgang des Krieges ebenso¬
wohl wie auch der Friedensverhandlungen." — Nicht geringere Bedenken hat
die „Kreuzzeitung" gegen die mögliche Ernennung eines Sozialdemokraten zum
Minister geltend gemacht. Indem sie an der fragwürdigen Fiktion festhielt, als
ob die Sozialdemokraten schlechthin Feinde des Staatswesens, wie es gegen¬
wärtig bestehe, seien, schrieb sie (31. Juli): „Sollten die Sozialdemokraten nun
in ihrem Kampfe unterstützt und gefördert werden, indem sie an der Regierung
desselben Staates beteiligt werden, den sie negieren? Wäre das nicht gerade¬
zu Selbstmord des Staates? Ist ein Sozialdemokrat Minister, kann es dann
noch für irgendeinen Staatsbürger ein Pudendum sein, um diesen Bismarckschen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0206" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/332485"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Kurs des neuen Kanzlers</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_638" prev="#ID_637"> des Kanzlers gedreht und gedeutet worden. Ganz wohl war freilich den<lb/>
Zeitungen dieser Richtung bei ihren Auslegungskünsten selbst nicht: am 1. August<lb/>
machte jedenfalls die &#x201E;Deutsche Tageszeitung" noch einen sorgfältigen Unter¬<lb/>
schied zwischen dem Vertrauen, das sie der Obersten Heeresleitung und dem,<lb/>
das sie dem Reichskanzler entgegenbringe: &#x201E;Wir vertrauen der Obersten Heeres¬<lb/>
leitung und sind auch frei von kleinlichen Mißtrauen gegen die staatspolitische<lb/>
Neichsleitung; wir vertrauen unseren Feldherren und Truppen, die jetzt wieder<lb/>
so Herrliches vollbringen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_639" next="#ID_640"> Aller Augen richteten sich bei dieser allgemeinen Unsicherheit der Auf¬<lb/>
fassung auf den bevorstehenden Wechsel in den höchsten Reichs- und Staats¬<lb/>
ämtern, der durch die Fahrt des Kaisers-und Königs zum östlichen Kriegs¬<lb/>
schauplatz für kurze Zeit verschoben war. In der Zwischenzeit wurde in der<lb/>
Presse um die gehenden und kommenden Männer ein förmlicher Schwertertanz<lb/>
vollführt. Von altdeutsch-konservativer Seite wurde dem Reichskanzler immer<lb/>
deutlicher zu verstehen gegeben, daß das Maß von Vertrauen, das man ihm<lb/>
entgegenzubringen gewillt sei, von der richtigen Auswahl seiner nächsten Ge¬<lb/>
hilfen im Reich und im Staat abhängig sein werde. Die &#x201E;Deutsche Tages¬<lb/>
zeitung" legte dabei das Hauptgewicht auf die Ernennung des Staatssekretärs<lb/>
des Auswärtigen, die &#x201E;Kreuzzeitung" auf die Frage, ob ein Sozialdemokrat<lb/>
für irgendeins der höchsten Ämter in Betracht gezogen werde. Jene wandte<lb/>
sich im voraus mit besonderer Schärfe gegen die Kandidatur des bisherigen<lb/>
Botschafters von Konstantinopel, Herrn von Kühlmann, für das Staatssekretariat<lb/>
des Auswärtigen. Sie wollte in ihm durchaus den Hauptvertreter einer &#x201E;Politik<lb/>
von Anschauungen und Zielen" sehen, &#x201E;welche völlig, aber auch bis aufs letzte<lb/>
abgewirtschaftet haben, deren eine lange Reihe von Tatsachen erwiesen worden<lb/>
sind, und deren Vertreter nicht nur als Konstrukteure von politischen Karten¬<lb/>
häusern auf die Nachwelt kommen werden, sondern als Propagatoren einer<lb/>
oberflächlich-kurzsichtigen und unheilvollen Politik, welche das Deutsche Reich<lb/>
so oder so auf die schiefe Ebene bringen mußte." Offen sprach die &#x201E;Deutsche<lb/>
Tageszeitung" es aus: es wäre merkwürdig und bedenklich, wenn gerade einem<lb/>
solchen Manne jetzt das Steuer der auswärtigen Politik anvertraut werden sollte;<lb/>
man würde dann der Entwicklung der Dinge mit besonderer Aufmerksamkeit<lb/>
und Sorge folgen müssen, im Hinblick auf den Fortgang des Krieges ebenso¬<lb/>
wohl wie auch der Friedensverhandlungen." &#x2014; Nicht geringere Bedenken hat<lb/>
die &#x201E;Kreuzzeitung" gegen die mögliche Ernennung eines Sozialdemokraten zum<lb/>
Minister geltend gemacht. Indem sie an der fragwürdigen Fiktion festhielt, als<lb/>
ob die Sozialdemokraten schlechthin Feinde des Staatswesens, wie es gegen¬<lb/>
wärtig bestehe, seien, schrieb sie (31. Juli): &#x201E;Sollten die Sozialdemokraten nun<lb/>
in ihrem Kampfe unterstützt und gefördert werden, indem sie an der Regierung<lb/>
desselben Staates beteiligt werden, den sie negieren? Wäre das nicht gerade¬<lb/>
zu Selbstmord des Staates? Ist ein Sozialdemokrat Minister, kann es dann<lb/>
noch für irgendeinen Staatsbürger ein Pudendum sein, um diesen Bismarckschen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0206] Der Kurs des neuen Kanzlers des Kanzlers gedreht und gedeutet worden. Ganz wohl war freilich den Zeitungen dieser Richtung bei ihren Auslegungskünsten selbst nicht: am 1. August machte jedenfalls die „Deutsche Tageszeitung" noch einen sorgfältigen Unter¬ schied zwischen dem Vertrauen, das sie der Obersten Heeresleitung und dem, das sie dem Reichskanzler entgegenbringe: „Wir vertrauen der Obersten Heeres¬ leitung und sind auch frei von kleinlichen Mißtrauen gegen die staatspolitische Neichsleitung; wir vertrauen unseren Feldherren und Truppen, die jetzt wieder so Herrliches vollbringen!" Aller Augen richteten sich bei dieser allgemeinen Unsicherheit der Auf¬ fassung auf den bevorstehenden Wechsel in den höchsten Reichs- und Staats¬ ämtern, der durch die Fahrt des Kaisers-und Königs zum östlichen Kriegs¬ schauplatz für kurze Zeit verschoben war. In der Zwischenzeit wurde in der Presse um die gehenden und kommenden Männer ein förmlicher Schwertertanz vollführt. Von altdeutsch-konservativer Seite wurde dem Reichskanzler immer deutlicher zu verstehen gegeben, daß das Maß von Vertrauen, das man ihm entgegenzubringen gewillt sei, von der richtigen Auswahl seiner nächsten Ge¬ hilfen im Reich und im Staat abhängig sein werde. Die „Deutsche Tages¬ zeitung" legte dabei das Hauptgewicht auf die Ernennung des Staatssekretärs des Auswärtigen, die „Kreuzzeitung" auf die Frage, ob ein Sozialdemokrat für irgendeins der höchsten Ämter in Betracht gezogen werde. Jene wandte sich im voraus mit besonderer Schärfe gegen die Kandidatur des bisherigen Botschafters von Konstantinopel, Herrn von Kühlmann, für das Staatssekretariat des Auswärtigen. Sie wollte in ihm durchaus den Hauptvertreter einer „Politik von Anschauungen und Zielen" sehen, „welche völlig, aber auch bis aufs letzte abgewirtschaftet haben, deren eine lange Reihe von Tatsachen erwiesen worden sind, und deren Vertreter nicht nur als Konstrukteure von politischen Karten¬ häusern auf die Nachwelt kommen werden, sondern als Propagatoren einer oberflächlich-kurzsichtigen und unheilvollen Politik, welche das Deutsche Reich so oder so auf die schiefe Ebene bringen mußte." Offen sprach die „Deutsche Tageszeitung" es aus: es wäre merkwürdig und bedenklich, wenn gerade einem solchen Manne jetzt das Steuer der auswärtigen Politik anvertraut werden sollte; man würde dann der Entwicklung der Dinge mit besonderer Aufmerksamkeit und Sorge folgen müssen, im Hinblick auf den Fortgang des Krieges ebenso¬ wohl wie auch der Friedensverhandlungen." — Nicht geringere Bedenken hat die „Kreuzzeitung" gegen die mögliche Ernennung eines Sozialdemokraten zum Minister geltend gemacht. Indem sie an der fragwürdigen Fiktion festhielt, als ob die Sozialdemokraten schlechthin Feinde des Staatswesens, wie es gegen¬ wärtig bestehe, seien, schrieb sie (31. Juli): „Sollten die Sozialdemokraten nun in ihrem Kampfe unterstützt und gefördert werden, indem sie an der Regierung desselben Staates beteiligt werden, den sie negieren? Wäre das nicht gerade¬ zu Selbstmord des Staates? Ist ein Sozialdemokrat Minister, kann es dann noch für irgendeinen Staatsbürger ein Pudendum sein, um diesen Bismarckschen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/206
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/206>, abgerufen am 23.05.2024.