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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Ausdruck zu gebrauchen, sich zur Sozialdemokratie zu bekennen, für sie ein¬
zutreten und sie zu fördern? Wir halten es für ausgeschlossen (!), daß der
Staat so gewissermaßen den Kampf gegen sich selber legitimieren sollte und daß
deshalb ein Sozialdemokrat für irgendeins der höchsten Ämter im Reich oder
in Preußen in Frage kommen könnte I"

Unbekümmert um alle solche Befürchtungen und Warnungen ist der neue
Reichskanzler seines Weges geschritten. Auf seinen Vortrag hat der Kaiser,
kaum von der Fahrt nach Osten zurückgekehrt, am 5. August über die Neu¬
besetzung von Reichsämtern und preußischen Ministerien seine Entscheidung ge¬
troffen. Der Umfang des Revirements wie die Besetzung der einzelnen Posten
g'ben uns klare und deutliche Aufschlüsse über die Gesamtrichtung der Politik
des Herrn Dr. Michaelis. Mit einiger Sicherheit wenigstens kann jetzt gesagt
werden, wohin der Kurs geht.

Von großer und symptomatischer Bedeutung ist zunächst der Umfang des
Revirements, das sich auf die große Mehrzahl der Reichsämter und der preu¬
ßischen Ministerien erstreckt. Als am 11. Juli die bisherigen Inhaber dieser
Stellen dem Kaiser und Könige ihre Ämter zur Verfügung stellten, da geschah
es mindestens bei der Mehrzahl der preußischen Staatsminister weniger aus
sachlichen Gründen, d. h. aus Bedenken gegen die an diesem Tage erfolgte
Proklamierung des Grundsatzes der gleichen Wahl in Preußen, als aus persön¬
lichen Gründen, rund herausgesagt aus einer Auflehnung gegen die Persön¬
lichkeit und Wirksamkeit Herrn von Bethmann Hollwegs heraus. Wären nun
nach dem Rücktritt des fünften Kanzlers diese Minister im Amte verblieben,
was von einer gewissen Presse befürwortet wurde und wozu einige der Minister
selbst geneigt gewesen zu sein scheinen, so hätte das unzweifelhaft die Bedeutung
"ner prononzierten Abkehr von den Pfaden Herrn von Bethmann Hollwegs
gehabt. Es wären dann auch Zweifel gestattet gewesen, ob mit der Durch¬
führung des Wahlrechtserlasses vom 11. Juli voller Ernst gemacht werden
würde. Indem die Gegner Herrn von Bethmann Hollwegs aber durchweg
ihren Abschied erhielten, von seinen notorischen Anhängern dagegen neben den"
Kolonialstaatssekretär Sols auch der Staatssekretär Helfferich, zwar nicht an der
Spitze des Reichsamts des Innern, aber doch in der bedeutenden und einflu߬
reichen Stellung als Vizekanzler im Amte bleibt, kann nur der gegenteilige
Eindruck hervorgerufen werden, daß im großen und ganzen das System Beth¬
wann Hollweg nur mit frischen und unverbrauchter Kräften und mit entsprechend
gesteigerter Tatkraft fortgesetzt werden soll. Dieser Eindruck wird dadurch noch
verstärkt, daß auf den Posten des Staatssekretärs des Auswärtigen derselbe
Herr von Kühlmann berufen wurde, gegen den die "Deutsche Tageszeitung" alle
konservativ-alldeutschen Kräfte mobil zu machen versucht hatte, und daß trotz
der Warnungen der "Kreuzzeitung", wenn auch nicht für einen Ministerposten,
so doch für ein Staatssekretariat im "Reichsernährungsamt" ein Sozialdemokrat
der Person des Dr. August Müller in Aussicht genommen wurde. Das be-


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Ausdruck zu gebrauchen, sich zur Sozialdemokratie zu bekennen, für sie ein¬
zutreten und sie zu fördern? Wir halten es für ausgeschlossen (!), daß der
Staat so gewissermaßen den Kampf gegen sich selber legitimieren sollte und daß
deshalb ein Sozialdemokrat für irgendeins der höchsten Ämter im Reich oder
in Preußen in Frage kommen könnte I"

Unbekümmert um alle solche Befürchtungen und Warnungen ist der neue
Reichskanzler seines Weges geschritten. Auf seinen Vortrag hat der Kaiser,
kaum von der Fahrt nach Osten zurückgekehrt, am 5. August über die Neu¬
besetzung von Reichsämtern und preußischen Ministerien seine Entscheidung ge¬
troffen. Der Umfang des Revirements wie die Besetzung der einzelnen Posten
g'ben uns klare und deutliche Aufschlüsse über die Gesamtrichtung der Politik
des Herrn Dr. Michaelis. Mit einiger Sicherheit wenigstens kann jetzt gesagt
werden, wohin der Kurs geht.

Von großer und symptomatischer Bedeutung ist zunächst der Umfang des
Revirements, das sich auf die große Mehrzahl der Reichsämter und der preu¬
ßischen Ministerien erstreckt. Als am 11. Juli die bisherigen Inhaber dieser
Stellen dem Kaiser und Könige ihre Ämter zur Verfügung stellten, da geschah
es mindestens bei der Mehrzahl der preußischen Staatsminister weniger aus
sachlichen Gründen, d. h. aus Bedenken gegen die an diesem Tage erfolgte
Proklamierung des Grundsatzes der gleichen Wahl in Preußen, als aus persön¬
lichen Gründen, rund herausgesagt aus einer Auflehnung gegen die Persön¬
lichkeit und Wirksamkeit Herrn von Bethmann Hollwegs heraus. Wären nun
nach dem Rücktritt des fünften Kanzlers diese Minister im Amte verblieben,
was von einer gewissen Presse befürwortet wurde und wozu einige der Minister
selbst geneigt gewesen zu sein scheinen, so hätte das unzweifelhaft die Bedeutung
«ner prononzierten Abkehr von den Pfaden Herrn von Bethmann Hollwegs
gehabt. Es wären dann auch Zweifel gestattet gewesen, ob mit der Durch¬
führung des Wahlrechtserlasses vom 11. Juli voller Ernst gemacht werden
würde. Indem die Gegner Herrn von Bethmann Hollwegs aber durchweg
ihren Abschied erhielten, von seinen notorischen Anhängern dagegen neben den«
Kolonialstaatssekretär Sols auch der Staatssekretär Helfferich, zwar nicht an der
Spitze des Reichsamts des Innern, aber doch in der bedeutenden und einflu߬
reichen Stellung als Vizekanzler im Amte bleibt, kann nur der gegenteilige
Eindruck hervorgerufen werden, daß im großen und ganzen das System Beth¬
wann Hollweg nur mit frischen und unverbrauchter Kräften und mit entsprechend
gesteigerter Tatkraft fortgesetzt werden soll. Dieser Eindruck wird dadurch noch
verstärkt, daß auf den Posten des Staatssekretärs des Auswärtigen derselbe
Herr von Kühlmann berufen wurde, gegen den die „Deutsche Tageszeitung" alle
konservativ-alldeutschen Kräfte mobil zu machen versucht hatte, und daß trotz
der Warnungen der „Kreuzzeitung", wenn auch nicht für einen Ministerposten,
so doch für ein Staatssekretariat im „Reichsernährungsamt" ein Sozialdemokrat
der Person des Dr. August Müller in Aussicht genommen wurde. Das be-


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[0207] Ausdruck zu gebrauchen, sich zur Sozialdemokratie zu bekennen, für sie ein¬ zutreten und sie zu fördern? Wir halten es für ausgeschlossen (!), daß der Staat so gewissermaßen den Kampf gegen sich selber legitimieren sollte und daß deshalb ein Sozialdemokrat für irgendeins der höchsten Ämter im Reich oder in Preußen in Frage kommen könnte I" Unbekümmert um alle solche Befürchtungen und Warnungen ist der neue Reichskanzler seines Weges geschritten. Auf seinen Vortrag hat der Kaiser, kaum von der Fahrt nach Osten zurückgekehrt, am 5. August über die Neu¬ besetzung von Reichsämtern und preußischen Ministerien seine Entscheidung ge¬ troffen. Der Umfang des Revirements wie die Besetzung der einzelnen Posten g'ben uns klare und deutliche Aufschlüsse über die Gesamtrichtung der Politik des Herrn Dr. Michaelis. Mit einiger Sicherheit wenigstens kann jetzt gesagt werden, wohin der Kurs geht. Von großer und symptomatischer Bedeutung ist zunächst der Umfang des Revirements, das sich auf die große Mehrzahl der Reichsämter und der preu¬ ßischen Ministerien erstreckt. Als am 11. Juli die bisherigen Inhaber dieser Stellen dem Kaiser und Könige ihre Ämter zur Verfügung stellten, da geschah es mindestens bei der Mehrzahl der preußischen Staatsminister weniger aus sachlichen Gründen, d. h. aus Bedenken gegen die an diesem Tage erfolgte Proklamierung des Grundsatzes der gleichen Wahl in Preußen, als aus persön¬ lichen Gründen, rund herausgesagt aus einer Auflehnung gegen die Persön¬ lichkeit und Wirksamkeit Herrn von Bethmann Hollwegs heraus. Wären nun nach dem Rücktritt des fünften Kanzlers diese Minister im Amte verblieben, was von einer gewissen Presse befürwortet wurde und wozu einige der Minister selbst geneigt gewesen zu sein scheinen, so hätte das unzweifelhaft die Bedeutung «ner prononzierten Abkehr von den Pfaden Herrn von Bethmann Hollwegs gehabt. Es wären dann auch Zweifel gestattet gewesen, ob mit der Durch¬ führung des Wahlrechtserlasses vom 11. Juli voller Ernst gemacht werden würde. Indem die Gegner Herrn von Bethmann Hollwegs aber durchweg ihren Abschied erhielten, von seinen notorischen Anhängern dagegen neben den« Kolonialstaatssekretär Sols auch der Staatssekretär Helfferich, zwar nicht an der Spitze des Reichsamts des Innern, aber doch in der bedeutenden und einflu߬ reichen Stellung als Vizekanzler im Amte bleibt, kann nur der gegenteilige Eindruck hervorgerufen werden, daß im großen und ganzen das System Beth¬ wann Hollweg nur mit frischen und unverbrauchter Kräften und mit entsprechend gesteigerter Tatkraft fortgesetzt werden soll. Dieser Eindruck wird dadurch noch verstärkt, daß auf den Posten des Staatssekretärs des Auswärtigen derselbe Herr von Kühlmann berufen wurde, gegen den die „Deutsche Tageszeitung" alle konservativ-alldeutschen Kräfte mobil zu machen versucht hatte, und daß trotz der Warnungen der „Kreuzzeitung", wenn auch nicht für einen Ministerposten, so doch für ein Staatssekretariat im „Reichsernährungsamt" ein Sozialdemokrat der Person des Dr. August Müller in Aussicht genommen wurde. Das be- , 13"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/207>, abgerufen am 16.06.2024.