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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Die konterrevolutionäre Bewegung in Rußland

näher einzugehen. Heute kann man jedenfalls das eine sagen: daß die Kadetten und
ihre Hintermänner ihr Ziel, Kerenski und die Negierung zu stürzen und in
dem allgemeinen Durcheinander die Militärdiktatur einzuführen und selbst die
Macht zu übernehmen, nicht erreicht haben. Miljukow ist Kerenski unterlegen,
die "Regierung der Rettung Rußlands" ist gebildet und auch die Kadetten
sitzen drin. Miljukow erzählte auf dem jetzt in Petersburg lagerten neunten
Kadettenkongreß, die Kadetten seien jetzt ins Kabinett eingetreten, weil sich eine
neue Einigungsformel gefunden habe, die Kerenski vorschlug und die lautet:
"Rettung Rußlands und der Republik" (!!). Er erzählt weiter von der völligen
Unabhängigkeit des Kabinetts von den Sowjets, von der Flucht Zeretellis in
den Sowjet und Nekrassows aus dem Verkehrsministerium, im übrigen wich er
aber neugierigen Fragern aus. Die "Rjetsch" vermerkt mit Genugtuung das
Plus im neuen Kabinett, ein so wichtiger Schritt, wie der Bruch mit dem
Sowjet könne sich natürlich nicht mit einem Schlage vollziehen (I!). Das
schwarze Schaf im Kabinett ist freilich der Zimmerwalder Tschernow, aber man
muß das neue Kabinett unterstützen usw. Es könnte scheinen, als habe sich
Miljukow mit seiner Niederlage abgefunden, es ist aber nicht anzunehmen, daß
dies tatsächlich der Fall ist. -- Bereits einen Tag später erklärt er auf dem
Kadettcnkongreß: "Es ist zweifellos, daß die neue Kombination (mit dem
Kabinett!) nur eine zeitweilige, nicht endgültige, und unsere Entscheidung nur
eine einstweilige, nicht endgültige ist"!! --

Er wartet seine Zeit ab; sie ist der beste Bundesgenosse der Konter¬
revolution. Wenn der "Krieg für die Verteidigung des Landes" fortgesetzt
wird, -- die erste Aufgabe der "Regierung der Rettung Rußlands" --, dann
muß mit arithmetischer Sicherheit auch der baldige wirtschaftliche Zusammen¬
bruch folgen. "Hungersnot im Winter in Petersburg" -- schreibt die "Now.
Wr." -- und weiter: "dann wird das Volk wieder auf die Straßen geworfen
werden" (l. c.), dann wird für ihn und seine Partei die Zeit gekommen sein,
wieder auf dem Plan zu erscheinen und die "historische" Aufgabe zu erfüllen.

Wird sich seine Berechnung erfüllen?

Die "Nowoje Wremja", die ja immer eine feine Witterung bekundet hat,
verspürt in den letzten Tagen eine auffallende Angst vor.....einem vor¬
zeitigen Frieden.




Die konterrevolutionäre Bewegung in Rußland

näher einzugehen. Heute kann man jedenfalls das eine sagen: daß die Kadetten und
ihre Hintermänner ihr Ziel, Kerenski und die Negierung zu stürzen und in
dem allgemeinen Durcheinander die Militärdiktatur einzuführen und selbst die
Macht zu übernehmen, nicht erreicht haben. Miljukow ist Kerenski unterlegen,
die „Regierung der Rettung Rußlands" ist gebildet und auch die Kadetten
sitzen drin. Miljukow erzählte auf dem jetzt in Petersburg lagerten neunten
Kadettenkongreß, die Kadetten seien jetzt ins Kabinett eingetreten, weil sich eine
neue Einigungsformel gefunden habe, die Kerenski vorschlug und die lautet:
„Rettung Rußlands und der Republik" (!!). Er erzählt weiter von der völligen
Unabhängigkeit des Kabinetts von den Sowjets, von der Flucht Zeretellis in
den Sowjet und Nekrassows aus dem Verkehrsministerium, im übrigen wich er
aber neugierigen Fragern aus. Die „Rjetsch" vermerkt mit Genugtuung das
Plus im neuen Kabinett, ein so wichtiger Schritt, wie der Bruch mit dem
Sowjet könne sich natürlich nicht mit einem Schlage vollziehen (I!). Das
schwarze Schaf im Kabinett ist freilich der Zimmerwalder Tschernow, aber man
muß das neue Kabinett unterstützen usw. Es könnte scheinen, als habe sich
Miljukow mit seiner Niederlage abgefunden, es ist aber nicht anzunehmen, daß
dies tatsächlich der Fall ist. — Bereits einen Tag später erklärt er auf dem
Kadettcnkongreß: „Es ist zweifellos, daß die neue Kombination (mit dem
Kabinett!) nur eine zeitweilige, nicht endgültige, und unsere Entscheidung nur
eine einstweilige, nicht endgültige ist"!! —

Er wartet seine Zeit ab; sie ist der beste Bundesgenosse der Konter¬
revolution. Wenn der „Krieg für die Verteidigung des Landes" fortgesetzt
wird, — die erste Aufgabe der „Regierung der Rettung Rußlands" —, dann
muß mit arithmetischer Sicherheit auch der baldige wirtschaftliche Zusammen¬
bruch folgen. „Hungersnot im Winter in Petersburg" — schreibt die „Now.
Wr." — und weiter: „dann wird das Volk wieder auf die Straßen geworfen
werden" (l. c.), dann wird für ihn und seine Partei die Zeit gekommen sein,
wieder auf dem Plan zu erscheinen und die „historische" Aufgabe zu erfüllen.

Wird sich seine Berechnung erfüllen?

Die „Nowoje Wremja", die ja immer eine feine Witterung bekundet hat,
verspürt in den letzten Tagen eine auffallende Angst vor.....einem vor¬
zeitigen Frieden.




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[0280] Die konterrevolutionäre Bewegung in Rußland näher einzugehen. Heute kann man jedenfalls das eine sagen: daß die Kadetten und ihre Hintermänner ihr Ziel, Kerenski und die Negierung zu stürzen und in dem allgemeinen Durcheinander die Militärdiktatur einzuführen und selbst die Macht zu übernehmen, nicht erreicht haben. Miljukow ist Kerenski unterlegen, die „Regierung der Rettung Rußlands" ist gebildet und auch die Kadetten sitzen drin. Miljukow erzählte auf dem jetzt in Petersburg lagerten neunten Kadettenkongreß, die Kadetten seien jetzt ins Kabinett eingetreten, weil sich eine neue Einigungsformel gefunden habe, die Kerenski vorschlug und die lautet: „Rettung Rußlands und der Republik" (!!). Er erzählt weiter von der völligen Unabhängigkeit des Kabinetts von den Sowjets, von der Flucht Zeretellis in den Sowjet und Nekrassows aus dem Verkehrsministerium, im übrigen wich er aber neugierigen Fragern aus. Die „Rjetsch" vermerkt mit Genugtuung das Plus im neuen Kabinett, ein so wichtiger Schritt, wie der Bruch mit dem Sowjet könne sich natürlich nicht mit einem Schlage vollziehen (I!). Das schwarze Schaf im Kabinett ist freilich der Zimmerwalder Tschernow, aber man muß das neue Kabinett unterstützen usw. Es könnte scheinen, als habe sich Miljukow mit seiner Niederlage abgefunden, es ist aber nicht anzunehmen, daß dies tatsächlich der Fall ist. — Bereits einen Tag später erklärt er auf dem Kadettcnkongreß: „Es ist zweifellos, daß die neue Kombination (mit dem Kabinett!) nur eine zeitweilige, nicht endgültige, und unsere Entscheidung nur eine einstweilige, nicht endgültige ist"!! — Er wartet seine Zeit ab; sie ist der beste Bundesgenosse der Konter¬ revolution. Wenn der „Krieg für die Verteidigung des Landes" fortgesetzt wird, — die erste Aufgabe der „Regierung der Rettung Rußlands" —, dann muß mit arithmetischer Sicherheit auch der baldige wirtschaftliche Zusammen¬ bruch folgen. „Hungersnot im Winter in Petersburg" — schreibt die „Now. Wr." — und weiter: „dann wird das Volk wieder auf die Straßen geworfen werden" (l. c.), dann wird für ihn und seine Partei die Zeit gekommen sein, wieder auf dem Plan zu erscheinen und die „historische" Aufgabe zu erfüllen. Wird sich seine Berechnung erfüllen? Die „Nowoje Wremja", die ja immer eine feine Witterung bekundet hat, verspürt in den letzten Tagen eine auffallende Angst vor.....einem vor¬ zeitigen Frieden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/280>, abgerufen am 22.05.2024.