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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Preußen am Wendepunkt

als wenn man einen Handschuh wechselt, sollte doch eigentlich keiner Erörterung
bedürfen. Was schon allein im Rahmen der preußischen Verhältnisse aus dem
Spiele steht, die völlige Umwälzung aus den Gebieten der Kulturpolitik und der
Polenfrage braucht hier nur eben angedeutet zu werden. Daß aber die hier ein¬
setzende Bewegung nach einem Grundgesetze unseres innerpolitischen Lebens noch
viel weitere Kreise zieht, indem sie nichts geringeres zur Folge haben kann als
eine völlige Veränderung der aus einer weisen Vereinigung unitarischer und
föderalistischer Gedanken beruhenden Reichsverfassung, ist eine Tatsache, die sich
alle auf Kapital und Lebenskraft deutsch ^ konstitutioneller Einrichtungen unbe¬
kümmert darauf loswirtschaftenden Elemente eindringlichst überlegen sollten. Es
ist kürzlich die Vermutung ausgesprochen worden. Herr von Bethmann Hollweg
habe vielleicht durch die Wahländerung den Einheitsstaat anbahnen wollen. Zer-
schlagung und Eingliederung Preußens erstrebende Kräfte sind ja, wie wir wissen,
auch sonst am Werke. Der jetzige Reichskanzler allerdings scheint dergleichen Folgen
(die also sowohl gewollte wie in der Sache liegende sind) weder zu befürchten,
noch zu vertreten, wie sein im Zusammenhang mit dem Festhalten an Art. 9 N.-V.
ausgesprochenes Bekenntnis zum Föderalismus zeigt. Auf dieses wird man sich
auch berufen können, um die wiederholten Versuche und Empfehlungen, Preußen
als Objekt der Reichsgesetzgebung zu behandeln, zurückzuweisen. Soviel über die
Berechtigung und die Aussichten der stürmischen Dränger des "Fortschritts.""

Was die geflissentliche Betonung des "feierlich gegebenen Versprechens
anlangt, so mag hier schließlich noch daran erinnert werden, daß einer solchen
Kundgebung des monarchischen Willens gefühlsmäßig natürlich größerer Wert
beizulegen ist, als einer gewöhnlichen Ministerverheißung. Dadurch wird aber
keineswegs die juristische Natur des Vorganges beeinflußt. Oe jure handelt es
sich bei der Ankündigung des gleichen Wahlrechts um eine in besonders feierliche
Form gekleidete Art Thronrede, die bestimmte legislatorische Maßnahmen in Aus¬
sicht stellt und um nichts anderes. Darum sind aber auch die weiteren Folge¬
rungen und Verbindlichkeiten keine anderen als sie eben sonst in die Erscheinung
treten oder treten können. Die in Aussicht gestellten Gesetze werden von der
königlichen Regierung dem Landtage vorgelegt, und nun setzt der sreie Wille dieses
zweiten Verfassungsorgans bei der Behandlung der Vorlage ganz wie gewöhnlich
ein, d. h. das Parlament beurteilt die Staatsnotwendigkeiten von seinem Stand¬
punkte aus, selbständig und unabhängig von der Krone. Dieses von konservativer
und anderer Seite geltend gemachte Recht des Parlaments steht außer jedem
Zweifel. Anderenfalls würde man ja geradezu die Grundsätze des Verfassungs
Staates aufgeben und dem Absolutismus das Wort reden. Die Linke hat es bei
der Ablehnung von so und so viel früheren Gesetzentwürfen nicht anders gehalten
und nutz sich diesmal dem Spruche unterwerfen: Was dem einen recht ist, ist
dem anderen billig.

Auch ihr eigener Grundsatz, Verfassungsgesetze nicht in besonderen Formen
zu behandeln, spricht dafür, die Vorlage 6e jure nicht anders zu werten, als wenn
5 beispielsweise eine Steuerbill zur Diskussion stände.




Preußen am Wendepunkt

als wenn man einen Handschuh wechselt, sollte doch eigentlich keiner Erörterung
bedürfen. Was schon allein im Rahmen der preußischen Verhältnisse aus dem
Spiele steht, die völlige Umwälzung aus den Gebieten der Kulturpolitik und der
Polenfrage braucht hier nur eben angedeutet zu werden. Daß aber die hier ein¬
setzende Bewegung nach einem Grundgesetze unseres innerpolitischen Lebens noch
viel weitere Kreise zieht, indem sie nichts geringeres zur Folge haben kann als
eine völlige Veränderung der aus einer weisen Vereinigung unitarischer und
föderalistischer Gedanken beruhenden Reichsverfassung, ist eine Tatsache, die sich
alle auf Kapital und Lebenskraft deutsch ^ konstitutioneller Einrichtungen unbe¬
kümmert darauf loswirtschaftenden Elemente eindringlichst überlegen sollten. Es
ist kürzlich die Vermutung ausgesprochen worden. Herr von Bethmann Hollweg
habe vielleicht durch die Wahländerung den Einheitsstaat anbahnen wollen. Zer-
schlagung und Eingliederung Preußens erstrebende Kräfte sind ja, wie wir wissen,
auch sonst am Werke. Der jetzige Reichskanzler allerdings scheint dergleichen Folgen
(die also sowohl gewollte wie in der Sache liegende sind) weder zu befürchten,
noch zu vertreten, wie sein im Zusammenhang mit dem Festhalten an Art. 9 N.-V.
ausgesprochenes Bekenntnis zum Föderalismus zeigt. Auf dieses wird man sich
auch berufen können, um die wiederholten Versuche und Empfehlungen, Preußen
als Objekt der Reichsgesetzgebung zu behandeln, zurückzuweisen. Soviel über die
Berechtigung und die Aussichten der stürmischen Dränger des „Fortschritts.""

Was die geflissentliche Betonung des „feierlich gegebenen Versprechens
anlangt, so mag hier schließlich noch daran erinnert werden, daß einer solchen
Kundgebung des monarchischen Willens gefühlsmäßig natürlich größerer Wert
beizulegen ist, als einer gewöhnlichen Ministerverheißung. Dadurch wird aber
keineswegs die juristische Natur des Vorganges beeinflußt. Oe jure handelt es
sich bei der Ankündigung des gleichen Wahlrechts um eine in besonders feierliche
Form gekleidete Art Thronrede, die bestimmte legislatorische Maßnahmen in Aus¬
sicht stellt und um nichts anderes. Darum sind aber auch die weiteren Folge¬
rungen und Verbindlichkeiten keine anderen als sie eben sonst in die Erscheinung
treten oder treten können. Die in Aussicht gestellten Gesetze werden von der
königlichen Regierung dem Landtage vorgelegt, und nun setzt der sreie Wille dieses
zweiten Verfassungsorgans bei der Behandlung der Vorlage ganz wie gewöhnlich
ein, d. h. das Parlament beurteilt die Staatsnotwendigkeiten von seinem Stand¬
punkte aus, selbständig und unabhängig von der Krone. Dieses von konservativer
und anderer Seite geltend gemachte Recht des Parlaments steht außer jedem
Zweifel. Anderenfalls würde man ja geradezu die Grundsätze des Verfassungs
Staates aufgeben und dem Absolutismus das Wort reden. Die Linke hat es bei
der Ablehnung von so und so viel früheren Gesetzentwürfen nicht anders gehalten
und nutz sich diesmal dem Spruche unterwerfen: Was dem einen recht ist, ist
dem anderen billig.

Auch ihr eigener Grundsatz, Verfassungsgesetze nicht in besonderen Formen
zu behandeln, spricht dafür, die Vorlage 6e jure nicht anders zu werten, als wenn
5 beispielsweise eine Steuerbill zur Diskussion stände.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/115>, abgerufen am 24.05.2024.