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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Randglossen zum Tage

Pfad der kaufmännischen Tugend halten wird, wird nichts bleiben, als eine hä߬
liche Erinnerung für die, die dafür bezahlen nutzten, daß die Fesselung der Zufuhr
die Hemmungen der Geldgier entfesselte.

Ebenso wie die gesunden Zellen des gesellschaftlichen Körpers die einge¬
drungenen Fremdkörper aufsaugen müssen, muß der Staatskörper die bureaukratischen
Wucherungen resorbieren. Auch ohne Uniform ist heute beinahe jeder Deutsche Vor¬
gesetzter oder Untergebener geworden, infolgedessen in der Lage, sich bei jedem Ansturm
auf die persönliche Entscheidung an einem Amtstisch festzuklammern, eine Sache
statt zu Kopf und zu Herzen zu den Akten zu nehmen und die Verantwortung
auf jemand anders abzuwälzen. Die Unter, Ämter, 's klingt so wunderlich!
Die Reichssauerkrautstelle hat ihre eigene Presseabteilung gehabt, also beamtete
Persönlichkeiten, die das Publikum über die Schicksale dieser pikanten Speise zu
unterrichten und auf diese Weise überflüssige Akten zu produzieren hatten. Wir
sind in einen Offizialismus geraten, in dem alle Persönlichkeit ertrinkt. Die
Gefahr ist, daß, wenn nach Friedensschluß wieder der frische Wind des freien
Wettbewerbs Pfeife, zehntausende starker deutscher Männer nicht mehr allein gehen
und stehen können. Die Gefahr ist die, daß jedes Amt und jedes Ämtchen, das der
Krieg geschaffen hat, Ewigkeitswert geltend macht, weil der Mensch, der einmal
auf der untersten Sprosse der Leiter gestanden hat, auf der oben die Geheimräte
sitzen, nicht mehr freiwillig heruntergeht.

So bietet abseits von den größeren Geschehnissen diese Zeit ihre sonder¬
baren Auswüchse, Gefahren und Probleme. Die neuen Ritter mit der Greif-
klaue im Wappen müssen zur sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Stuben¬
reinheit erzogen werden. Der Wucher muß auf die Fälle beschränkt werden,
die ausreichen, um den Gerichtsbericht der Zeitungen interessant zu erhalten.
In der nächsten Geschichtsperiode soll höchstens auf hundert Deutsche ein Geheim¬
rat kommen. Oder sagen wir zwei. Aber nicht mehr.


Ihr Nemo


Randglossen zum Tage

Pfad der kaufmännischen Tugend halten wird, wird nichts bleiben, als eine hä߬
liche Erinnerung für die, die dafür bezahlen nutzten, daß die Fesselung der Zufuhr
die Hemmungen der Geldgier entfesselte.

Ebenso wie die gesunden Zellen des gesellschaftlichen Körpers die einge¬
drungenen Fremdkörper aufsaugen müssen, muß der Staatskörper die bureaukratischen
Wucherungen resorbieren. Auch ohne Uniform ist heute beinahe jeder Deutsche Vor¬
gesetzter oder Untergebener geworden, infolgedessen in der Lage, sich bei jedem Ansturm
auf die persönliche Entscheidung an einem Amtstisch festzuklammern, eine Sache
statt zu Kopf und zu Herzen zu den Akten zu nehmen und die Verantwortung
auf jemand anders abzuwälzen. Die Unter, Ämter, 's klingt so wunderlich!
Die Reichssauerkrautstelle hat ihre eigene Presseabteilung gehabt, also beamtete
Persönlichkeiten, die das Publikum über die Schicksale dieser pikanten Speise zu
unterrichten und auf diese Weise überflüssige Akten zu produzieren hatten. Wir
sind in einen Offizialismus geraten, in dem alle Persönlichkeit ertrinkt. Die
Gefahr ist, daß, wenn nach Friedensschluß wieder der frische Wind des freien
Wettbewerbs Pfeife, zehntausende starker deutscher Männer nicht mehr allein gehen
und stehen können. Die Gefahr ist die, daß jedes Amt und jedes Ämtchen, das der
Krieg geschaffen hat, Ewigkeitswert geltend macht, weil der Mensch, der einmal
auf der untersten Sprosse der Leiter gestanden hat, auf der oben die Geheimräte
sitzen, nicht mehr freiwillig heruntergeht.

So bietet abseits von den größeren Geschehnissen diese Zeit ihre sonder¬
baren Auswüchse, Gefahren und Probleme. Die neuen Ritter mit der Greif-
klaue im Wappen müssen zur sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Stuben¬
reinheit erzogen werden. Der Wucher muß auf die Fälle beschränkt werden,
die ausreichen, um den Gerichtsbericht der Zeitungen interessant zu erhalten.
In der nächsten Geschichtsperiode soll höchstens auf hundert Deutsche ein Geheim¬
rat kommen. Oder sagen wir zwei. Aber nicht mehr.


Ihr Nemo


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[0346] Randglossen zum Tage Pfad der kaufmännischen Tugend halten wird, wird nichts bleiben, als eine hä߬ liche Erinnerung für die, die dafür bezahlen nutzten, daß die Fesselung der Zufuhr die Hemmungen der Geldgier entfesselte. Ebenso wie die gesunden Zellen des gesellschaftlichen Körpers die einge¬ drungenen Fremdkörper aufsaugen müssen, muß der Staatskörper die bureaukratischen Wucherungen resorbieren. Auch ohne Uniform ist heute beinahe jeder Deutsche Vor¬ gesetzter oder Untergebener geworden, infolgedessen in der Lage, sich bei jedem Ansturm auf die persönliche Entscheidung an einem Amtstisch festzuklammern, eine Sache statt zu Kopf und zu Herzen zu den Akten zu nehmen und die Verantwortung auf jemand anders abzuwälzen. Die Unter, Ämter, 's klingt so wunderlich! Die Reichssauerkrautstelle hat ihre eigene Presseabteilung gehabt, also beamtete Persönlichkeiten, die das Publikum über die Schicksale dieser pikanten Speise zu unterrichten und auf diese Weise überflüssige Akten zu produzieren hatten. Wir sind in einen Offizialismus geraten, in dem alle Persönlichkeit ertrinkt. Die Gefahr ist, daß, wenn nach Friedensschluß wieder der frische Wind des freien Wettbewerbs Pfeife, zehntausende starker deutscher Männer nicht mehr allein gehen und stehen können. Die Gefahr ist die, daß jedes Amt und jedes Ämtchen, das der Krieg geschaffen hat, Ewigkeitswert geltend macht, weil der Mensch, der einmal auf der untersten Sprosse der Leiter gestanden hat, auf der oben die Geheimräte sitzen, nicht mehr freiwillig heruntergeht. So bietet abseits von den größeren Geschehnissen diese Zeit ihre sonder¬ baren Auswüchse, Gefahren und Probleme. Die neuen Ritter mit der Greif- klaue im Wappen müssen zur sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Stuben¬ reinheit erzogen werden. Der Wucher muß auf die Fälle beschränkt werden, die ausreichen, um den Gerichtsbericht der Zeitungen interessant zu erhalten. In der nächsten Geschichtsperiode soll höchstens auf hundert Deutsche ein Geheim¬ rat kommen. Oder sagen wir zwei. Aber nicht mehr. Ihr Nemo

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/346>, abgerufen am 25.05.2024.