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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Die Polenfrage vor der Entscheidung

Gerade dazu aber hat die neue Grenzführung zwischen Deutschland und
Polen zu dienen.

Zwischen den preußischen Provinzen mit ihren viereinhalb Millionen
Polen und Russisch' Polen ist ein Gebiet einzuschieben, das staatsrechtlich den
Einfluß jeder nicht deutschen Macht entzogen bleibt. Im Süden beginnend, hätte
das Gebiet zu umfassen

a) den Jndustriebezirk von Dombrchva;
b) das Land zwischen Warte und schlesische Grenze;
o) das Land nordwestlich der Linie Wartekme bei Koko, Weichsel westlich
Wloclawek;
et) das Land nördlich der Weichsel und des Bug ohne Plock und Rooo
Georgiewsk (Motum) bis Bjelsk und Pruschany an der ukrainischen Grenze,
unter Einbeziehung von Bjalystok und Grodno, mit dem Gouvernement
Suwalki.

Im ganzen handelt es sich um etwa eineinhalb Millionen Polen, 150000Juden,
120000 Deutsche. Das Gebiet ist bis auf das Industriegebiet dünn bevölkert.

Die dadurch entstehenden neuen Ostgrenzen des Reiches sind diejenigen,
die von militärischer Seite als eine genügende Sicherheit gegen feindlichen Angriff
angesprochen werden dürften, unter der Voraussetzung, daß das Gelände dadurch
mit einer sicheren Bevölkerung besetzt bleibt.

Da aber die dort vorhandene polnische Bevölkerung in ihrem überwiegenden
Teil durchaus unzuverlässig ist und deutschfeindlicher Propaganda zugänglich, muß
für das Gebiet die Möglichkeit der Ansiedlrmg eines sicheren deutschen Elements
offen gehalten werden. Ansiedler würden sich finden schon dicht vor den Grenzen
in der Gegend von Lodz, aber auch unter den Rückwanderern aus Rußland.
Nach meinen Beobachtungen an Ort und Stelle, Beobachtungen aus Friedens¬
und Kriegszeit, stehen uns gegenwärtig mindestens eine Viertelmillion Seelen aus
Polen und Nußland zur Besiedlung der fraglichen Gebiete zur Verfügung, zu
denen sich bei entsprechender Arbeit ebensoviele im Deutschen Reich finden dürften.
Nach anderen Angaben soll mehr als die doppelte Zahl zur Verfügung stehen.
Etwa 120000 Deutsche sind schon gegenwärtig in dem Gebiet vorhanden.

Die Verwaltung des Gebietes sei deutsch, mit möglichst weit ausgestatteter
Selbstverwaltung von Provinzen, Kreisen und Städten. Die deutschen Boden¬
besitzverhältnisse in Stadt und Land seien sichergestellt durch das Erbrecht des
preußischen Staates am Grund und Boden, Vorkaufsrecht bei allem Besitzwechsel
sowie Enteignungsrecht an allem Grundbesitz über 250 Hektar Größe.

Vor Ablauf von 45 Jahren darf verfassungsmäßig das Gebiet weder
im Reichstag, noch im preußischen Landtage vertreten sein, es sei denn durch von
der Negierung ernannte Abgeordnete und auch dann erst, wenn die alten Pro¬
vinzen der Ostmark für das Deutschtum sichergestellt sind und von der
großpolnischen Idee keine Gefahr mehr droht.

Ähnlich sind die litauischen Gebiete zu behandeln, wobei' Wilna und die
südöstliche und östlich daran liegenden Gebiete gelegentlich Rußland zurück-
zugeben wären. Die Schaffung eines Großlitauen wäre ein großer Fehler, da
damit nur den Polen gedient wäre, die schon heute einen überragenden kulturellen
Einfluß auf die Litauer ausüben. Bei der Regelung der litauischen Frage müssen


Die Polenfrage vor der Entscheidung

Gerade dazu aber hat die neue Grenzführung zwischen Deutschland und
Polen zu dienen.

Zwischen den preußischen Provinzen mit ihren viereinhalb Millionen
Polen und Russisch' Polen ist ein Gebiet einzuschieben, das staatsrechtlich den
Einfluß jeder nicht deutschen Macht entzogen bleibt. Im Süden beginnend, hätte
das Gebiet zu umfassen

a) den Jndustriebezirk von Dombrchva;
b) das Land zwischen Warte und schlesische Grenze;
o) das Land nordwestlich der Linie Wartekme bei Koko, Weichsel westlich
Wloclawek;
et) das Land nördlich der Weichsel und des Bug ohne Plock und Rooo
Georgiewsk (Motum) bis Bjelsk und Pruschany an der ukrainischen Grenze,
unter Einbeziehung von Bjalystok und Grodno, mit dem Gouvernement
Suwalki.

Im ganzen handelt es sich um etwa eineinhalb Millionen Polen, 150000Juden,
120000 Deutsche. Das Gebiet ist bis auf das Industriegebiet dünn bevölkert.

Die dadurch entstehenden neuen Ostgrenzen des Reiches sind diejenigen,
die von militärischer Seite als eine genügende Sicherheit gegen feindlichen Angriff
angesprochen werden dürften, unter der Voraussetzung, daß das Gelände dadurch
mit einer sicheren Bevölkerung besetzt bleibt.

Da aber die dort vorhandene polnische Bevölkerung in ihrem überwiegenden
Teil durchaus unzuverlässig ist und deutschfeindlicher Propaganda zugänglich, muß
für das Gebiet die Möglichkeit der Ansiedlrmg eines sicheren deutschen Elements
offen gehalten werden. Ansiedler würden sich finden schon dicht vor den Grenzen
in der Gegend von Lodz, aber auch unter den Rückwanderern aus Rußland.
Nach meinen Beobachtungen an Ort und Stelle, Beobachtungen aus Friedens¬
und Kriegszeit, stehen uns gegenwärtig mindestens eine Viertelmillion Seelen aus
Polen und Nußland zur Besiedlung der fraglichen Gebiete zur Verfügung, zu
denen sich bei entsprechender Arbeit ebensoviele im Deutschen Reich finden dürften.
Nach anderen Angaben soll mehr als die doppelte Zahl zur Verfügung stehen.
Etwa 120000 Deutsche sind schon gegenwärtig in dem Gebiet vorhanden.

Die Verwaltung des Gebietes sei deutsch, mit möglichst weit ausgestatteter
Selbstverwaltung von Provinzen, Kreisen und Städten. Die deutschen Boden¬
besitzverhältnisse in Stadt und Land seien sichergestellt durch das Erbrecht des
preußischen Staates am Grund und Boden, Vorkaufsrecht bei allem Besitzwechsel
sowie Enteignungsrecht an allem Grundbesitz über 250 Hektar Größe.

Vor Ablauf von 45 Jahren darf verfassungsmäßig das Gebiet weder
im Reichstag, noch im preußischen Landtage vertreten sein, es sei denn durch von
der Negierung ernannte Abgeordnete und auch dann erst, wenn die alten Pro¬
vinzen der Ostmark für das Deutschtum sichergestellt sind und von der
großpolnischen Idee keine Gefahr mehr droht.

Ähnlich sind die litauischen Gebiete zu behandeln, wobei' Wilna und die
südöstliche und östlich daran liegenden Gebiete gelegentlich Rußland zurück-
zugeben wären. Die Schaffung eines Großlitauen wäre ein großer Fehler, da
damit nur den Polen gedient wäre, die schon heute einen überragenden kulturellen
Einfluß auf die Litauer ausüben. Bei der Regelung der litauischen Frage müssen


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[0163] Die Polenfrage vor der Entscheidung Gerade dazu aber hat die neue Grenzführung zwischen Deutschland und Polen zu dienen. Zwischen den preußischen Provinzen mit ihren viereinhalb Millionen Polen und Russisch' Polen ist ein Gebiet einzuschieben, das staatsrechtlich den Einfluß jeder nicht deutschen Macht entzogen bleibt. Im Süden beginnend, hätte das Gebiet zu umfassen a) den Jndustriebezirk von Dombrchva; b) das Land zwischen Warte und schlesische Grenze; o) das Land nordwestlich der Linie Wartekme bei Koko, Weichsel westlich Wloclawek; et) das Land nördlich der Weichsel und des Bug ohne Plock und Rooo Georgiewsk (Motum) bis Bjelsk und Pruschany an der ukrainischen Grenze, unter Einbeziehung von Bjalystok und Grodno, mit dem Gouvernement Suwalki. Im ganzen handelt es sich um etwa eineinhalb Millionen Polen, 150000Juden, 120000 Deutsche. Das Gebiet ist bis auf das Industriegebiet dünn bevölkert. Die dadurch entstehenden neuen Ostgrenzen des Reiches sind diejenigen, die von militärischer Seite als eine genügende Sicherheit gegen feindlichen Angriff angesprochen werden dürften, unter der Voraussetzung, daß das Gelände dadurch mit einer sicheren Bevölkerung besetzt bleibt. Da aber die dort vorhandene polnische Bevölkerung in ihrem überwiegenden Teil durchaus unzuverlässig ist und deutschfeindlicher Propaganda zugänglich, muß für das Gebiet die Möglichkeit der Ansiedlrmg eines sicheren deutschen Elements offen gehalten werden. Ansiedler würden sich finden schon dicht vor den Grenzen in der Gegend von Lodz, aber auch unter den Rückwanderern aus Rußland. Nach meinen Beobachtungen an Ort und Stelle, Beobachtungen aus Friedens¬ und Kriegszeit, stehen uns gegenwärtig mindestens eine Viertelmillion Seelen aus Polen und Nußland zur Besiedlung der fraglichen Gebiete zur Verfügung, zu denen sich bei entsprechender Arbeit ebensoviele im Deutschen Reich finden dürften. Nach anderen Angaben soll mehr als die doppelte Zahl zur Verfügung stehen. Etwa 120000 Deutsche sind schon gegenwärtig in dem Gebiet vorhanden. Die Verwaltung des Gebietes sei deutsch, mit möglichst weit ausgestatteter Selbstverwaltung von Provinzen, Kreisen und Städten. Die deutschen Boden¬ besitzverhältnisse in Stadt und Land seien sichergestellt durch das Erbrecht des preußischen Staates am Grund und Boden, Vorkaufsrecht bei allem Besitzwechsel sowie Enteignungsrecht an allem Grundbesitz über 250 Hektar Größe. Vor Ablauf von 45 Jahren darf verfassungsmäßig das Gebiet weder im Reichstag, noch im preußischen Landtage vertreten sein, es sei denn durch von der Negierung ernannte Abgeordnete und auch dann erst, wenn die alten Pro¬ vinzen der Ostmark für das Deutschtum sichergestellt sind und von der großpolnischen Idee keine Gefahr mehr droht. Ähnlich sind die litauischen Gebiete zu behandeln, wobei' Wilna und die südöstliche und östlich daran liegenden Gebiete gelegentlich Rußland zurück- zugeben wären. Die Schaffung eines Großlitauen wäre ein großer Fehler, da damit nur den Polen gedient wäre, die schon heute einen überragenden kulturellen Einfluß auf die Litauer ausüben. Bei der Regelung der litauischen Frage müssen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/163>, abgerufen am 10.06.2024.