Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Auflösung Oesterreich-Ungarns und "Mitteleuropa"

größerung der politischen Bildungen und vor allem der Verkehrsgebiete hin, durch
welche die vielgebrauchten Worte ..Weltverkehr" und "Weltwirtschaft" zu den
Wirklichkeiten zu erwachsen versprachen, für die man sie vielfach schon ansah
Nach der Überwindung des in der Kriegszeit aufgestachelter Völkerhasses wird
diese Richtung sich wieder mit zunehmender Stärke geltend machen. Dagegen
zielen die völkischen Abneigungen und Sonderbestrebungen auf wirtschaftlichen
und politischen Abschluß, auf Gegenwehr gegen die verbindenden Einflüsse deS
verkehrstechnischen Fortschrittes, auf Zollabschluß und Verkehrseinschränkungen
hin. Ihnen wirkt wieder das geographisch begründete Austauschbedürfnis ent-
gegen und so wird vielleicht in kurzem, bei noch stärkerer Betonung der politischen
Absonderung, eine immer weitergehende wirtschaftliche Annäherung erfolgen. Wirt¬
schaftsbündnisse und Zollgemeinschaften, die daraus hervorgehen dürften, müssen
aber auch politisch verbindend wirken. So scheint man auf den Weg zum Welt¬
völkerbund, zu der weltwirtschaftlichen Gemeinschaft politisch freier und ihre volle
Unabhängigkeit stolz betonender, aber friedlicher Vollsstaaten zu kommen, die sich
um des 'Verkehrs willen schiedlichen Ordnungen unterwerfen. Die Ideologen,
die durch den Ausgang des Krieges und die alle Völker ergreifende Kriegsscheu
ihre Hoffnungen verwirklicht glauben, meinen wohl, Friedensverhandlungen oder
Diktat der Sieger vermöge diesen Weltbund mit einem Schlage zu schaffen. Ich
erwarte dies nicht, der Form nach mag er ins Leben treten, aber seine Künstlich¬
keit ebensowohl wie die ungleiche Entwicklung, die verschiedenen Bedürfnisse und
die ungleiche wirtschaftliche Ausrüstung der Völker, die zu gegensätzlichen In¬
teressen führen, bedrohen seine Dauer. Ich halte es überhaupt nicht für möglich,
daß die verschiedenen Wirtschaftsgebiete der Erde insgesamt und gleichzeitig zu
einem großen Verband sich zusammenschließen oder ihn aufrecht erhalten können,
ehe diese Ungleichartigkeit überwunden ist. Überwunden werden aber kann sie
nur inmitten kleinerer, geographisch zusammengehöriger und sich ergänzender
Gebiete. Wird in solchen Staatengruppen die Notwendigkeit empfunden, sich zu
geschlossenen und reichhaltigeren Wirtschaftsgebieten mit klaren Grenzen, die den
Verkehr umschränken und Sicherheit gegen Angriffe verbürgen, zu vereinigen, so
stellt sich auch die notwendigste Voraussetzung für einen haltbaren Völkerbund als
Folge der gemeinsamen geographischen Lage und Umgrenzung ein. Ich meine
die gegenseitige Rücksichtnahme, die auch den schwächeren, aber für das Ganze
notwcnmgen Teilnehmern Schutz und wirtschaftliche Förderung durch die übrigen
gewährleistet. Diese dienen damit ihrem eigenen Vorteil. Aber sie vermögen ihn
nur in einem solchen engeren Raum zu erkennen. In der weiten Welt ist zuviel
Konkurrenz und zu vielseitiger Wettbewerb, als daß in ihr jeder Schwache den
naturgegebenen Schützer so finden könnte, wie innerhalb eines Wirtschastsreiches,
das als Ganzes mit den andern konkurrieren muß.

Die aus solchen Erwägungen abgeleitete alte Ansicht, daß der Weg zu
voller "gerechter" weltwirtschaftlicher Arbeitsteilung und zum friedlich-schiedlichen
Weltvötterbuüd -- wenn es überhaupt einen solchen Weg gibt -- durch daS
Zwischenstabium großer Wirtschaftsreiche führen muß. ist durch den Krieg nicht
widerlegt worden. Sie wird auch nicht durch eine künstliche Weltbundschöpfung
widerlegt werden. Denn in dieser müßten die kleinen Nationalstaaten einander
mit einer Feindseligkeit gegenüberstehen, die durch ihre frischen kriegerischen Er-
innerungen und durch die Gewaltsamkeiten in ihrer Abgrenzung (die ihnen ja
von außenher auferlegt wird) verschärft ist; den größeren Mächten gegenüber,
welche den Bund und seine Gerichtsbarkeit beherrschen würden, wären sie alle¬
samt hilflos. Aus einem solchen Welistcmtenbund müßten sich etwa die Gruppen
wieder durch Zurückbildung gestalten, die vor dem Krieg bestanden oder doch in
Bildung begriffen waren und die sich auf natürlichen Grundlagen aufbauen.
Solche waren bekanntlich das britische, das russische Reich, die Vereinigten
Staaten und das erst im Entstehen begriffene ostasiatische Wirtschaftsreich. Ihr
naturgemäßes Gegenstück, das die Länder der europäischen Halbinsel, wohl
mit Einschluß der skandinavischen, darstellen würden, war noch nicht aus-


Die Auflösung Oesterreich-Ungarns und „Mitteleuropa"

größerung der politischen Bildungen und vor allem der Verkehrsgebiete hin, durch
welche die vielgebrauchten Worte ..Weltverkehr" und „Weltwirtschaft" zu den
Wirklichkeiten zu erwachsen versprachen, für die man sie vielfach schon ansah
Nach der Überwindung des in der Kriegszeit aufgestachelter Völkerhasses wird
diese Richtung sich wieder mit zunehmender Stärke geltend machen. Dagegen
zielen die völkischen Abneigungen und Sonderbestrebungen auf wirtschaftlichen
und politischen Abschluß, auf Gegenwehr gegen die verbindenden Einflüsse deS
verkehrstechnischen Fortschrittes, auf Zollabschluß und Verkehrseinschränkungen
hin. Ihnen wirkt wieder das geographisch begründete Austauschbedürfnis ent-
gegen und so wird vielleicht in kurzem, bei noch stärkerer Betonung der politischen
Absonderung, eine immer weitergehende wirtschaftliche Annäherung erfolgen. Wirt¬
schaftsbündnisse und Zollgemeinschaften, die daraus hervorgehen dürften, müssen
aber auch politisch verbindend wirken. So scheint man auf den Weg zum Welt¬
völkerbund, zu der weltwirtschaftlichen Gemeinschaft politisch freier und ihre volle
Unabhängigkeit stolz betonender, aber friedlicher Vollsstaaten zu kommen, die sich
um des 'Verkehrs willen schiedlichen Ordnungen unterwerfen. Die Ideologen,
die durch den Ausgang des Krieges und die alle Völker ergreifende Kriegsscheu
ihre Hoffnungen verwirklicht glauben, meinen wohl, Friedensverhandlungen oder
Diktat der Sieger vermöge diesen Weltbund mit einem Schlage zu schaffen. Ich
erwarte dies nicht, der Form nach mag er ins Leben treten, aber seine Künstlich¬
keit ebensowohl wie die ungleiche Entwicklung, die verschiedenen Bedürfnisse und
die ungleiche wirtschaftliche Ausrüstung der Völker, die zu gegensätzlichen In¬
teressen führen, bedrohen seine Dauer. Ich halte es überhaupt nicht für möglich,
daß die verschiedenen Wirtschaftsgebiete der Erde insgesamt und gleichzeitig zu
einem großen Verband sich zusammenschließen oder ihn aufrecht erhalten können,
ehe diese Ungleichartigkeit überwunden ist. Überwunden werden aber kann sie
nur inmitten kleinerer, geographisch zusammengehöriger und sich ergänzender
Gebiete. Wird in solchen Staatengruppen die Notwendigkeit empfunden, sich zu
geschlossenen und reichhaltigeren Wirtschaftsgebieten mit klaren Grenzen, die den
Verkehr umschränken und Sicherheit gegen Angriffe verbürgen, zu vereinigen, so
stellt sich auch die notwendigste Voraussetzung für einen haltbaren Völkerbund als
Folge der gemeinsamen geographischen Lage und Umgrenzung ein. Ich meine
die gegenseitige Rücksichtnahme, die auch den schwächeren, aber für das Ganze
notwcnmgen Teilnehmern Schutz und wirtschaftliche Förderung durch die übrigen
gewährleistet. Diese dienen damit ihrem eigenen Vorteil. Aber sie vermögen ihn
nur in einem solchen engeren Raum zu erkennen. In der weiten Welt ist zuviel
Konkurrenz und zu vielseitiger Wettbewerb, als daß in ihr jeder Schwache den
naturgegebenen Schützer so finden könnte, wie innerhalb eines Wirtschastsreiches,
das als Ganzes mit den andern konkurrieren muß.

Die aus solchen Erwägungen abgeleitete alte Ansicht, daß der Weg zu
voller „gerechter" weltwirtschaftlicher Arbeitsteilung und zum friedlich-schiedlichen
Weltvötterbuüd — wenn es überhaupt einen solchen Weg gibt — durch daS
Zwischenstabium großer Wirtschaftsreiche führen muß. ist durch den Krieg nicht
widerlegt worden. Sie wird auch nicht durch eine künstliche Weltbundschöpfung
widerlegt werden. Denn in dieser müßten die kleinen Nationalstaaten einander
mit einer Feindseligkeit gegenüberstehen, die durch ihre frischen kriegerischen Er-
innerungen und durch die Gewaltsamkeiten in ihrer Abgrenzung (die ihnen ja
von außenher auferlegt wird) verschärft ist; den größeren Mächten gegenüber,
welche den Bund und seine Gerichtsbarkeit beherrschen würden, wären sie alle¬
samt hilflos. Aus einem solchen Welistcmtenbund müßten sich etwa die Gruppen
wieder durch Zurückbildung gestalten, die vor dem Krieg bestanden oder doch in
Bildung begriffen waren und die sich auf natürlichen Grundlagen aufbauen.
Solche waren bekanntlich das britische, das russische Reich, die Vereinigten
Staaten und das erst im Entstehen begriffene ostasiatische Wirtschaftsreich. Ihr
naturgemäßes Gegenstück, das die Länder der europäischen Halbinsel, wohl
mit Einschluß der skandinavischen, darstellen würden, war noch nicht aus-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0049" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335231"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Auflösung Oesterreich-Ungarns und &#x201E;Mitteleuropa"</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_204" prev="#ID_203"> größerung der politischen Bildungen und vor allem der Verkehrsgebiete hin, durch<lb/>
welche die vielgebrauchten Worte ..Weltverkehr" und &#x201E;Weltwirtschaft" zu den<lb/>
Wirklichkeiten zu erwachsen versprachen, für die man sie vielfach schon ansah<lb/>
Nach der Überwindung des in der Kriegszeit aufgestachelter Völkerhasses wird<lb/>
diese Richtung sich wieder mit zunehmender Stärke geltend machen. Dagegen<lb/>
zielen die völkischen Abneigungen und Sonderbestrebungen auf wirtschaftlichen<lb/>
und politischen Abschluß, auf Gegenwehr gegen die verbindenden Einflüsse deS<lb/>
verkehrstechnischen Fortschrittes, auf Zollabschluß und Verkehrseinschränkungen<lb/>
hin. Ihnen wirkt wieder das geographisch begründete Austauschbedürfnis ent-<lb/>
gegen und so wird vielleicht in kurzem, bei noch stärkerer Betonung der politischen<lb/>
Absonderung, eine immer weitergehende wirtschaftliche Annäherung erfolgen. Wirt¬<lb/>
schaftsbündnisse und Zollgemeinschaften, die daraus hervorgehen dürften, müssen<lb/>
aber auch politisch verbindend wirken. So scheint man auf den Weg zum Welt¬<lb/>
völkerbund, zu der weltwirtschaftlichen Gemeinschaft politisch freier und ihre volle<lb/>
Unabhängigkeit stolz betonender, aber friedlicher Vollsstaaten zu kommen, die sich<lb/>
um des 'Verkehrs willen schiedlichen Ordnungen unterwerfen. Die Ideologen,<lb/>
die durch den Ausgang des Krieges und die alle Völker ergreifende Kriegsscheu<lb/>
ihre Hoffnungen verwirklicht glauben, meinen wohl, Friedensverhandlungen oder<lb/>
Diktat der Sieger vermöge diesen Weltbund mit einem Schlage zu schaffen. Ich<lb/>
erwarte dies nicht, der Form nach mag er ins Leben treten, aber seine Künstlich¬<lb/>
keit ebensowohl wie die ungleiche Entwicklung, die verschiedenen Bedürfnisse und<lb/>
die ungleiche wirtschaftliche Ausrüstung der Völker, die zu gegensätzlichen In¬<lb/>
teressen führen, bedrohen seine Dauer. Ich halte es überhaupt nicht für möglich,<lb/>
daß die verschiedenen Wirtschaftsgebiete der Erde insgesamt und gleichzeitig zu<lb/>
einem großen Verband sich zusammenschließen oder ihn aufrecht erhalten können,<lb/>
ehe diese Ungleichartigkeit überwunden ist. Überwunden werden aber kann sie<lb/>
nur inmitten kleinerer, geographisch zusammengehöriger und sich ergänzender<lb/>
Gebiete. Wird in solchen Staatengruppen die Notwendigkeit empfunden, sich zu<lb/>
geschlossenen und reichhaltigeren Wirtschaftsgebieten mit klaren Grenzen, die den<lb/>
Verkehr umschränken und Sicherheit gegen Angriffe verbürgen, zu vereinigen, so<lb/>
stellt sich auch die notwendigste Voraussetzung für einen haltbaren Völkerbund als<lb/>
Folge der gemeinsamen geographischen Lage und Umgrenzung ein. Ich meine<lb/>
die gegenseitige Rücksichtnahme, die auch den schwächeren, aber für das Ganze<lb/>
notwcnmgen Teilnehmern Schutz und wirtschaftliche Förderung durch die übrigen<lb/>
gewährleistet. Diese dienen damit ihrem eigenen Vorteil. Aber sie vermögen ihn<lb/>
nur in einem solchen engeren Raum zu erkennen. In der weiten Welt ist zuviel<lb/>
Konkurrenz und zu vielseitiger Wettbewerb, als daß in ihr jeder Schwache den<lb/>
naturgegebenen Schützer so finden könnte, wie innerhalb eines Wirtschastsreiches,<lb/>
das als Ganzes mit den andern konkurrieren muß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_205" next="#ID_206"> Die aus solchen Erwägungen abgeleitete alte Ansicht, daß der Weg zu<lb/>
voller &#x201E;gerechter" weltwirtschaftlicher Arbeitsteilung und zum friedlich-schiedlichen<lb/>
Weltvötterbuüd &#x2014; wenn es überhaupt einen solchen Weg gibt &#x2014; durch daS<lb/>
Zwischenstabium großer Wirtschaftsreiche führen muß. ist durch den Krieg nicht<lb/>
widerlegt worden. Sie wird auch nicht durch eine künstliche Weltbundschöpfung<lb/>
widerlegt werden. Denn in dieser müßten die kleinen Nationalstaaten einander<lb/>
mit einer Feindseligkeit gegenüberstehen, die durch ihre frischen kriegerischen Er-<lb/>
innerungen und durch die Gewaltsamkeiten in ihrer Abgrenzung (die ihnen ja<lb/>
von außenher auferlegt wird) verschärft ist; den größeren Mächten gegenüber,<lb/>
welche den Bund und seine Gerichtsbarkeit beherrschen würden, wären sie alle¬<lb/>
samt hilflos. Aus einem solchen Welistcmtenbund müßten sich etwa die Gruppen<lb/>
wieder durch Zurückbildung gestalten, die vor dem Krieg bestanden oder doch in<lb/>
Bildung begriffen waren und die sich auf natürlichen Grundlagen aufbauen.<lb/>
Solche waren bekanntlich das britische, das russische Reich, die Vereinigten<lb/>
Staaten und das erst im Entstehen begriffene ostasiatische Wirtschaftsreich. Ihr<lb/>
naturgemäßes Gegenstück, das die Länder der europäischen Halbinsel, wohl<lb/>
mit Einschluß der skandinavischen, darstellen würden, war noch nicht aus-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0049] Die Auflösung Oesterreich-Ungarns und „Mitteleuropa" größerung der politischen Bildungen und vor allem der Verkehrsgebiete hin, durch welche die vielgebrauchten Worte ..Weltverkehr" und „Weltwirtschaft" zu den Wirklichkeiten zu erwachsen versprachen, für die man sie vielfach schon ansah Nach der Überwindung des in der Kriegszeit aufgestachelter Völkerhasses wird diese Richtung sich wieder mit zunehmender Stärke geltend machen. Dagegen zielen die völkischen Abneigungen und Sonderbestrebungen auf wirtschaftlichen und politischen Abschluß, auf Gegenwehr gegen die verbindenden Einflüsse deS verkehrstechnischen Fortschrittes, auf Zollabschluß und Verkehrseinschränkungen hin. Ihnen wirkt wieder das geographisch begründete Austauschbedürfnis ent- gegen und so wird vielleicht in kurzem, bei noch stärkerer Betonung der politischen Absonderung, eine immer weitergehende wirtschaftliche Annäherung erfolgen. Wirt¬ schaftsbündnisse und Zollgemeinschaften, die daraus hervorgehen dürften, müssen aber auch politisch verbindend wirken. So scheint man auf den Weg zum Welt¬ völkerbund, zu der weltwirtschaftlichen Gemeinschaft politisch freier und ihre volle Unabhängigkeit stolz betonender, aber friedlicher Vollsstaaten zu kommen, die sich um des 'Verkehrs willen schiedlichen Ordnungen unterwerfen. Die Ideologen, die durch den Ausgang des Krieges und die alle Völker ergreifende Kriegsscheu ihre Hoffnungen verwirklicht glauben, meinen wohl, Friedensverhandlungen oder Diktat der Sieger vermöge diesen Weltbund mit einem Schlage zu schaffen. Ich erwarte dies nicht, der Form nach mag er ins Leben treten, aber seine Künstlich¬ keit ebensowohl wie die ungleiche Entwicklung, die verschiedenen Bedürfnisse und die ungleiche wirtschaftliche Ausrüstung der Völker, die zu gegensätzlichen In¬ teressen führen, bedrohen seine Dauer. Ich halte es überhaupt nicht für möglich, daß die verschiedenen Wirtschaftsgebiete der Erde insgesamt und gleichzeitig zu einem großen Verband sich zusammenschließen oder ihn aufrecht erhalten können, ehe diese Ungleichartigkeit überwunden ist. Überwunden werden aber kann sie nur inmitten kleinerer, geographisch zusammengehöriger und sich ergänzender Gebiete. Wird in solchen Staatengruppen die Notwendigkeit empfunden, sich zu geschlossenen und reichhaltigeren Wirtschaftsgebieten mit klaren Grenzen, die den Verkehr umschränken und Sicherheit gegen Angriffe verbürgen, zu vereinigen, so stellt sich auch die notwendigste Voraussetzung für einen haltbaren Völkerbund als Folge der gemeinsamen geographischen Lage und Umgrenzung ein. Ich meine die gegenseitige Rücksichtnahme, die auch den schwächeren, aber für das Ganze notwcnmgen Teilnehmern Schutz und wirtschaftliche Förderung durch die übrigen gewährleistet. Diese dienen damit ihrem eigenen Vorteil. Aber sie vermögen ihn nur in einem solchen engeren Raum zu erkennen. In der weiten Welt ist zuviel Konkurrenz und zu vielseitiger Wettbewerb, als daß in ihr jeder Schwache den naturgegebenen Schützer so finden könnte, wie innerhalb eines Wirtschastsreiches, das als Ganzes mit den andern konkurrieren muß. Die aus solchen Erwägungen abgeleitete alte Ansicht, daß der Weg zu voller „gerechter" weltwirtschaftlicher Arbeitsteilung und zum friedlich-schiedlichen Weltvötterbuüd — wenn es überhaupt einen solchen Weg gibt — durch daS Zwischenstabium großer Wirtschaftsreiche führen muß. ist durch den Krieg nicht widerlegt worden. Sie wird auch nicht durch eine künstliche Weltbundschöpfung widerlegt werden. Denn in dieser müßten die kleinen Nationalstaaten einander mit einer Feindseligkeit gegenüberstehen, die durch ihre frischen kriegerischen Er- innerungen und durch die Gewaltsamkeiten in ihrer Abgrenzung (die ihnen ja von außenher auferlegt wird) verschärft ist; den größeren Mächten gegenüber, welche den Bund und seine Gerichtsbarkeit beherrschen würden, wären sie alle¬ samt hilflos. Aus einem solchen Welistcmtenbund müßten sich etwa die Gruppen wieder durch Zurückbildung gestalten, die vor dem Krieg bestanden oder doch in Bildung begriffen waren und die sich auf natürlichen Grundlagen aufbauen. Solche waren bekanntlich das britische, das russische Reich, die Vereinigten Staaten und das erst im Entstehen begriffene ostasiatische Wirtschaftsreich. Ihr naturgemäßes Gegenstück, das die Länder der europäischen Halbinsel, wohl mit Einschluß der skandinavischen, darstellen würden, war noch nicht aus-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181/49
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181/49>, abgerufen am 22.05.2024.