Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Auflösung Gesterreich-Unaarns und "Mitteleuropa"

gebildet. Die erträumten "Vereinigten Staaten von Europa", zu denen Eng¬
lands Inselreich nicht gehören könnte, waren noch nicht einmal ein Wirtschasts-
bund und selbst ihre 'naturgemäße, Vorstufe "Mitteleuropa" erst erstrebt. Auf
dessen Boden hatte sich neben dein großen Deutschen Reich und mehreren
kleinen Wirtschaftsgebieten der Völkerstaat Osterreich.Ungarn entwickelt als eine
Zusammenfassung kleinerer Natur- und Wirtschaftsgebiete mit weniger intensivem
Wirtschaftsleben zu einer auch wirtschaftlich festgeschlossenen Einheit, somit als
eine Vorstufe für "Mitteleuropa". Diese Stufenfolge, die von der Donaumonarchie
und Deutschland als Kernen Mitteleuropas zu diesem, von ihm als Kern weiter
zu einem westeuropäisch-festländischen Wirtschaftsgebiet und noch weiter zu dem
Weltwirtschaftsreich zu weisen schien, zu dem sich die großen Wirtschafisreicbe noch
der Ausgestaltung ihrer inneren Harmonie erst verbinden können, diese Stufen¬
folge beweist, wie wenig die mitteleuropäische Idee einer Absonderung dienen sollte.
Im besonderen für Österreich-Ungarn hätte der Zusammenschluß in Mitteleuropa
auch die Festigung jener inneren wirtschaftlichen Einheit bedeutet, die durch
nationale und staatsrechtliche Bestrebungen bereits stark gelockert war. Nun haben
diese zur Zersplitterung geführt, die auch der Weltvölkerbund, wenn eS zu dieser
Episode kommen sollte, nicht verschieben, kaum verschleiern wird, die aber nicht
von Dauer sein kann. Die Frage ist. ob aus ihr die gleiche Stufenfolge in der
Zusammenfassung hervorgehen wird, die man vor dem Krieg erwartete. Kann
ein neues wirtschaftliches Österreich-Ungarn als Vorstufe eines künftigen Mittel¬
europa erstehen oder ist es wahrscheinlich, daß der wirtschaftliche Zusammen¬
schluß -- von dem politischen sei hier nicht die Rede - auf einem anderen Weg/
erfolgen wird?

Das alte Osterreich war eine geographische Einheit, erwachsen um den
mittleren Donaulauf aus der gemeinsamen Gebirgsumwallung und dem Zusammen-
treffen der gemeinsam umschlossenen Länder im'Raume von Wien, aus der vor¬
herrschenden Südostrichtung seiner Gebirgsmauern und seiner natüilichcn Verkehrs¬
wege, aber auch aus dem Übergreifen natürlicher Verkehrswege und offener
Übergangtzlandschaften über die Wasserscheide der Donau, so daß ich den Boden
der Monarchie kurzweg als die "verkehrsgeographische Südostabdachung Mittel¬
europas" bezeichnet habe. Auch eine starke gegenseitige wirtschaftliche und kulturelle
Ergänzung beförderte den aus dem Bedürfnis gemeinsamer Verteidigung gegen
den Osten hin erwachsenen Zusammenschluß. Aber diese entfernte sich von wirk¬
licher "Autarkie" umsomehr, je rascher Volkszahl und Bedarf, auch das Verlangen
nach Komfort, stieg, ohne daß die Produktion energisch genug gesteigert worden
wäre. Die Abhängigkeit von den nordwestlich angrenzenden Industriegebieten,
bald auch von den östlich und südöstlich gelegenen Agrarländern wurde auch in
ihrer verbindenden Kraft umso fühlbarer, als die Monarchie selbst nach der einen
Seite ein agrarisches, nach der andern ein industrielles Gesicht zeigte. Man hat
gern von ihrem Januskopf gesprochen. Das wäre aber nicht zu so vorherrschender
Ausprägung gekommen, wenn gewisse gemeinsame Züge nicht über die Grenzen¬
des engeren österreichisch-ungarischen Verkehrsgebietes hinaus gewiesen, eine
werdende höhere Verkehrseinheit bezeichnet hätten. Die Donaulinie selbst, die
vorherrschende Südostrichtung, die leichte Uberschreitbarkeit der Wasserscheide ver¬
knüpfen jenes ebenso sehr mit der reichsdeutschen Nordabdachung Mitteleuropas
wie mit dem "weiteren" oder "werdenden" Mitteleuropa auf der Südosthalbinsel.
In diesen Tatsachen des Verkehrs kommen die gemeinsamen Züge im .Klima und in
seinen Folgeerscheinungen, vor allem im Pflanzentleid und in der Landwirtschaft, aber
auch das Übergreifen der Völker zur Geltung. Durch die Verbreitung des Deutsch¬
tums konnten die beiden mitteleuropäischen Großmächte einander den Rücken decken,
die Gebirgsumwallung des Habsburger Reiches hörte hier auf, eine militärisch
gerichtete Außengrenze zu sein, sie wurde immer mehr eine innere Grenze, wie
sie auch innerhalb des deutschen Volkes nirgends als eine fühlbare .Kultur- oder
Dialeklgrenze erschien. Tiroler, Salzburger, Junviertler und Böhmerwäldler stehen
den benachbarten Baiern eben so nahe, wie die Egerlander den Franken, die


Die Auflösung Gesterreich-Unaarns und „Mitteleuropa"

gebildet. Die erträumten „Vereinigten Staaten von Europa", zu denen Eng¬
lands Inselreich nicht gehören könnte, waren noch nicht einmal ein Wirtschasts-
bund und selbst ihre 'naturgemäße, Vorstufe „Mitteleuropa" erst erstrebt. Auf
dessen Boden hatte sich neben dein großen Deutschen Reich und mehreren
kleinen Wirtschaftsgebieten der Völkerstaat Osterreich.Ungarn entwickelt als eine
Zusammenfassung kleinerer Natur- und Wirtschaftsgebiete mit weniger intensivem
Wirtschaftsleben zu einer auch wirtschaftlich festgeschlossenen Einheit, somit als
eine Vorstufe für „Mitteleuropa". Diese Stufenfolge, die von der Donaumonarchie
und Deutschland als Kernen Mitteleuropas zu diesem, von ihm als Kern weiter
zu einem westeuropäisch-festländischen Wirtschaftsgebiet und noch weiter zu dem
Weltwirtschaftsreich zu weisen schien, zu dem sich die großen Wirtschafisreicbe noch
der Ausgestaltung ihrer inneren Harmonie erst verbinden können, diese Stufen¬
folge beweist, wie wenig die mitteleuropäische Idee einer Absonderung dienen sollte.
Im besonderen für Österreich-Ungarn hätte der Zusammenschluß in Mitteleuropa
auch die Festigung jener inneren wirtschaftlichen Einheit bedeutet, die durch
nationale und staatsrechtliche Bestrebungen bereits stark gelockert war. Nun haben
diese zur Zersplitterung geführt, die auch der Weltvölkerbund, wenn eS zu dieser
Episode kommen sollte, nicht verschieben, kaum verschleiern wird, die aber nicht
von Dauer sein kann. Die Frage ist. ob aus ihr die gleiche Stufenfolge in der
Zusammenfassung hervorgehen wird, die man vor dem Krieg erwartete. Kann
ein neues wirtschaftliches Österreich-Ungarn als Vorstufe eines künftigen Mittel¬
europa erstehen oder ist es wahrscheinlich, daß der wirtschaftliche Zusammen¬
schluß — von dem politischen sei hier nicht die Rede - auf einem anderen Weg/
erfolgen wird?

Das alte Osterreich war eine geographische Einheit, erwachsen um den
mittleren Donaulauf aus der gemeinsamen Gebirgsumwallung und dem Zusammen-
treffen der gemeinsam umschlossenen Länder im'Raume von Wien, aus der vor¬
herrschenden Südostrichtung seiner Gebirgsmauern und seiner natüilichcn Verkehrs¬
wege, aber auch aus dem Übergreifen natürlicher Verkehrswege und offener
Übergangtzlandschaften über die Wasserscheide der Donau, so daß ich den Boden
der Monarchie kurzweg als die „verkehrsgeographische Südostabdachung Mittel¬
europas" bezeichnet habe. Auch eine starke gegenseitige wirtschaftliche und kulturelle
Ergänzung beförderte den aus dem Bedürfnis gemeinsamer Verteidigung gegen
den Osten hin erwachsenen Zusammenschluß. Aber diese entfernte sich von wirk¬
licher „Autarkie" umsomehr, je rascher Volkszahl und Bedarf, auch das Verlangen
nach Komfort, stieg, ohne daß die Produktion energisch genug gesteigert worden
wäre. Die Abhängigkeit von den nordwestlich angrenzenden Industriegebieten,
bald auch von den östlich und südöstlich gelegenen Agrarländern wurde auch in
ihrer verbindenden Kraft umso fühlbarer, als die Monarchie selbst nach der einen
Seite ein agrarisches, nach der andern ein industrielles Gesicht zeigte. Man hat
gern von ihrem Januskopf gesprochen. Das wäre aber nicht zu so vorherrschender
Ausprägung gekommen, wenn gewisse gemeinsame Züge nicht über die Grenzen¬
des engeren österreichisch-ungarischen Verkehrsgebietes hinaus gewiesen, eine
werdende höhere Verkehrseinheit bezeichnet hätten. Die Donaulinie selbst, die
vorherrschende Südostrichtung, die leichte Uberschreitbarkeit der Wasserscheide ver¬
knüpfen jenes ebenso sehr mit der reichsdeutschen Nordabdachung Mitteleuropas
wie mit dem „weiteren" oder „werdenden" Mitteleuropa auf der Südosthalbinsel.
In diesen Tatsachen des Verkehrs kommen die gemeinsamen Züge im .Klima und in
seinen Folgeerscheinungen, vor allem im Pflanzentleid und in der Landwirtschaft, aber
auch das Übergreifen der Völker zur Geltung. Durch die Verbreitung des Deutsch¬
tums konnten die beiden mitteleuropäischen Großmächte einander den Rücken decken,
die Gebirgsumwallung des Habsburger Reiches hörte hier auf, eine militärisch
gerichtete Außengrenze zu sein, sie wurde immer mehr eine innere Grenze, wie
sie auch innerhalb des deutschen Volkes nirgends als eine fühlbare .Kultur- oder
Dialeklgrenze erschien. Tiroler, Salzburger, Junviertler und Böhmerwäldler stehen
den benachbarten Baiern eben so nahe, wie die Egerlander den Franken, die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0050" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335232"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Auflösung Gesterreich-Unaarns und &#x201E;Mitteleuropa"</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_206" prev="#ID_205"> gebildet. Die erträumten &#x201E;Vereinigten Staaten von Europa", zu denen Eng¬<lb/>
lands Inselreich nicht gehören könnte, waren noch nicht einmal ein Wirtschasts-<lb/>
bund und selbst ihre 'naturgemäße, Vorstufe &#x201E;Mitteleuropa" erst erstrebt. Auf<lb/>
dessen Boden hatte sich neben dein großen Deutschen Reich und mehreren<lb/>
kleinen Wirtschaftsgebieten der Völkerstaat Osterreich.Ungarn entwickelt als eine<lb/>
Zusammenfassung kleinerer Natur- und Wirtschaftsgebiete mit weniger intensivem<lb/>
Wirtschaftsleben zu einer auch wirtschaftlich festgeschlossenen Einheit, somit als<lb/>
eine Vorstufe für &#x201E;Mitteleuropa". Diese Stufenfolge, die von der Donaumonarchie<lb/>
und Deutschland als Kernen Mitteleuropas zu diesem, von ihm als Kern weiter<lb/>
zu einem westeuropäisch-festländischen Wirtschaftsgebiet und noch weiter zu dem<lb/>
Weltwirtschaftsreich zu weisen schien, zu dem sich die großen Wirtschafisreicbe noch<lb/>
der Ausgestaltung ihrer inneren Harmonie erst verbinden können, diese Stufen¬<lb/>
folge beweist, wie wenig die mitteleuropäische Idee einer Absonderung dienen sollte.<lb/>
Im besonderen für Österreich-Ungarn hätte der Zusammenschluß in Mitteleuropa<lb/>
auch die Festigung jener inneren wirtschaftlichen Einheit bedeutet, die durch<lb/>
nationale und staatsrechtliche Bestrebungen bereits stark gelockert war. Nun haben<lb/>
diese zur Zersplitterung geführt, die auch der Weltvölkerbund, wenn eS zu dieser<lb/>
Episode kommen sollte, nicht verschieben, kaum verschleiern wird, die aber nicht<lb/>
von Dauer sein kann. Die Frage ist. ob aus ihr die gleiche Stufenfolge in der<lb/>
Zusammenfassung hervorgehen wird, die man vor dem Krieg erwartete. Kann<lb/>
ein neues wirtschaftliches Österreich-Ungarn als Vorstufe eines künftigen Mittel¬<lb/>
europa erstehen oder ist es wahrscheinlich, daß der wirtschaftliche Zusammen¬<lb/>
schluß &#x2014; von dem politischen sei hier nicht die Rede - auf einem anderen Weg/<lb/>
erfolgen wird?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_207" next="#ID_208"> Das alte Osterreich war eine geographische Einheit, erwachsen um den<lb/>
mittleren Donaulauf aus der gemeinsamen Gebirgsumwallung und dem Zusammen-<lb/>
treffen der gemeinsam umschlossenen Länder im'Raume von Wien, aus der vor¬<lb/>
herrschenden Südostrichtung seiner Gebirgsmauern und seiner natüilichcn Verkehrs¬<lb/>
wege, aber auch aus dem Übergreifen natürlicher Verkehrswege und offener<lb/>
Übergangtzlandschaften über die Wasserscheide der Donau, so daß ich den Boden<lb/>
der Monarchie kurzweg als die &#x201E;verkehrsgeographische Südostabdachung Mittel¬<lb/>
europas" bezeichnet habe. Auch eine starke gegenseitige wirtschaftliche und kulturelle<lb/>
Ergänzung beförderte den aus dem Bedürfnis gemeinsamer Verteidigung gegen<lb/>
den Osten hin erwachsenen Zusammenschluß. Aber diese entfernte sich von wirk¬<lb/>
licher &#x201E;Autarkie" umsomehr, je rascher Volkszahl und Bedarf, auch das Verlangen<lb/>
nach Komfort, stieg, ohne daß die Produktion energisch genug gesteigert worden<lb/>
wäre. Die Abhängigkeit von den nordwestlich angrenzenden Industriegebieten,<lb/>
bald auch von den östlich und südöstlich gelegenen Agrarländern wurde auch in<lb/>
ihrer verbindenden Kraft umso fühlbarer, als die Monarchie selbst nach der einen<lb/>
Seite ein agrarisches, nach der andern ein industrielles Gesicht zeigte. Man hat<lb/>
gern von ihrem Januskopf gesprochen. Das wäre aber nicht zu so vorherrschender<lb/>
Ausprägung gekommen, wenn gewisse gemeinsame Züge nicht über die Grenzen¬<lb/>
des engeren österreichisch-ungarischen Verkehrsgebietes hinaus gewiesen, eine<lb/>
werdende höhere Verkehrseinheit bezeichnet hätten. Die Donaulinie selbst, die<lb/>
vorherrschende Südostrichtung, die leichte Uberschreitbarkeit der Wasserscheide ver¬<lb/>
knüpfen jenes ebenso sehr mit der reichsdeutschen Nordabdachung Mitteleuropas<lb/>
wie mit dem &#x201E;weiteren" oder &#x201E;werdenden" Mitteleuropa auf der Südosthalbinsel.<lb/>
In diesen Tatsachen des Verkehrs kommen die gemeinsamen Züge im .Klima und in<lb/>
seinen Folgeerscheinungen, vor allem im Pflanzentleid und in der Landwirtschaft, aber<lb/>
auch das Übergreifen der Völker zur Geltung. Durch die Verbreitung des Deutsch¬<lb/>
tums konnten die beiden mitteleuropäischen Großmächte einander den Rücken decken,<lb/>
die Gebirgsumwallung des Habsburger Reiches hörte hier auf, eine militärisch<lb/>
gerichtete Außengrenze zu sein, sie wurde immer mehr eine innere Grenze, wie<lb/>
sie auch innerhalb des deutschen Volkes nirgends als eine fühlbare .Kultur- oder<lb/>
Dialeklgrenze erschien. Tiroler, Salzburger, Junviertler und Böhmerwäldler stehen<lb/>
den benachbarten Baiern eben so nahe, wie die Egerlander den Franken, die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0050] Die Auflösung Gesterreich-Unaarns und „Mitteleuropa" gebildet. Die erträumten „Vereinigten Staaten von Europa", zu denen Eng¬ lands Inselreich nicht gehören könnte, waren noch nicht einmal ein Wirtschasts- bund und selbst ihre 'naturgemäße, Vorstufe „Mitteleuropa" erst erstrebt. Auf dessen Boden hatte sich neben dein großen Deutschen Reich und mehreren kleinen Wirtschaftsgebieten der Völkerstaat Osterreich.Ungarn entwickelt als eine Zusammenfassung kleinerer Natur- und Wirtschaftsgebiete mit weniger intensivem Wirtschaftsleben zu einer auch wirtschaftlich festgeschlossenen Einheit, somit als eine Vorstufe für „Mitteleuropa". Diese Stufenfolge, die von der Donaumonarchie und Deutschland als Kernen Mitteleuropas zu diesem, von ihm als Kern weiter zu einem westeuropäisch-festländischen Wirtschaftsgebiet und noch weiter zu dem Weltwirtschaftsreich zu weisen schien, zu dem sich die großen Wirtschafisreicbe noch der Ausgestaltung ihrer inneren Harmonie erst verbinden können, diese Stufen¬ folge beweist, wie wenig die mitteleuropäische Idee einer Absonderung dienen sollte. Im besonderen für Österreich-Ungarn hätte der Zusammenschluß in Mitteleuropa auch die Festigung jener inneren wirtschaftlichen Einheit bedeutet, die durch nationale und staatsrechtliche Bestrebungen bereits stark gelockert war. Nun haben diese zur Zersplitterung geführt, die auch der Weltvölkerbund, wenn eS zu dieser Episode kommen sollte, nicht verschieben, kaum verschleiern wird, die aber nicht von Dauer sein kann. Die Frage ist. ob aus ihr die gleiche Stufenfolge in der Zusammenfassung hervorgehen wird, die man vor dem Krieg erwartete. Kann ein neues wirtschaftliches Österreich-Ungarn als Vorstufe eines künftigen Mittel¬ europa erstehen oder ist es wahrscheinlich, daß der wirtschaftliche Zusammen¬ schluß — von dem politischen sei hier nicht die Rede - auf einem anderen Weg/ erfolgen wird? Das alte Osterreich war eine geographische Einheit, erwachsen um den mittleren Donaulauf aus der gemeinsamen Gebirgsumwallung und dem Zusammen- treffen der gemeinsam umschlossenen Länder im'Raume von Wien, aus der vor¬ herrschenden Südostrichtung seiner Gebirgsmauern und seiner natüilichcn Verkehrs¬ wege, aber auch aus dem Übergreifen natürlicher Verkehrswege und offener Übergangtzlandschaften über die Wasserscheide der Donau, so daß ich den Boden der Monarchie kurzweg als die „verkehrsgeographische Südostabdachung Mittel¬ europas" bezeichnet habe. Auch eine starke gegenseitige wirtschaftliche und kulturelle Ergänzung beförderte den aus dem Bedürfnis gemeinsamer Verteidigung gegen den Osten hin erwachsenen Zusammenschluß. Aber diese entfernte sich von wirk¬ licher „Autarkie" umsomehr, je rascher Volkszahl und Bedarf, auch das Verlangen nach Komfort, stieg, ohne daß die Produktion energisch genug gesteigert worden wäre. Die Abhängigkeit von den nordwestlich angrenzenden Industriegebieten, bald auch von den östlich und südöstlich gelegenen Agrarländern wurde auch in ihrer verbindenden Kraft umso fühlbarer, als die Monarchie selbst nach der einen Seite ein agrarisches, nach der andern ein industrielles Gesicht zeigte. Man hat gern von ihrem Januskopf gesprochen. Das wäre aber nicht zu so vorherrschender Ausprägung gekommen, wenn gewisse gemeinsame Züge nicht über die Grenzen¬ des engeren österreichisch-ungarischen Verkehrsgebietes hinaus gewiesen, eine werdende höhere Verkehrseinheit bezeichnet hätten. Die Donaulinie selbst, die vorherrschende Südostrichtung, die leichte Uberschreitbarkeit der Wasserscheide ver¬ knüpfen jenes ebenso sehr mit der reichsdeutschen Nordabdachung Mitteleuropas wie mit dem „weiteren" oder „werdenden" Mitteleuropa auf der Südosthalbinsel. In diesen Tatsachen des Verkehrs kommen die gemeinsamen Züge im .Klima und in seinen Folgeerscheinungen, vor allem im Pflanzentleid und in der Landwirtschaft, aber auch das Übergreifen der Völker zur Geltung. Durch die Verbreitung des Deutsch¬ tums konnten die beiden mitteleuropäischen Großmächte einander den Rücken decken, die Gebirgsumwallung des Habsburger Reiches hörte hier auf, eine militärisch gerichtete Außengrenze zu sein, sie wurde immer mehr eine innere Grenze, wie sie auch innerhalb des deutschen Volkes nirgends als eine fühlbare .Kultur- oder Dialeklgrenze erschien. Tiroler, Salzburger, Junviertler und Böhmerwäldler stehen den benachbarten Baiern eben so nahe, wie die Egerlander den Franken, die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181/50
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335181/50>, abgerufen am 15.06.2024.