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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Der Jenaer Parteimg der Deutschen Volkspartei

sehen Neichsgedcmken, weit weniger an den spezifisch nntionalliberalen Parteigeist.
Dieser kann nicht erhalten bleiben, sonst müßte die Volkspartei unrettbar in den
lsumpfgeraten. Denn der nationaliibcrale Geist hat abgewirtschaftet, so gründlich, doch
er nicht wieder kommen kann. Wir können nicht an die abgerissenen, zerzausten
Fäden von gestern anknüpfen.

Abgewirtschaftet hat der Geist der nationalliberalen Fraktion des ehemaligen
preußischen Dreiklassenlandtags, der gerade vor einem Jahre, am 1. Mai 1918,
dnrch den Mund des Abgeordneten Dr. Lohmann der Angst vor dem gleichen
Wahlrecht Ausdruck gab. DKse Leute haben damals den Namen Nntionalliberal
für unsere heutige nachrevolutionäre Zeit unheilbar kompromittiert, nicht weil es
an sich ein Verbrechen wäre, nicht sür das gleiche Wahlrecht zu schwärmen,
sondern weil es eine böse staatsmännischs Blamage ist, ein halbes Jahr vor einer
Revolution, deren grösstes Miel das gleicbeWahlrecht gewiß nicht ist, die Schrecken dieses
Wahlrechts derart an die Wand zu malen. Ach hätten wir doch weiter keine Schrecken
erlebt, als sie damals Herr Dr. Lohmann glaubte bannen zu müssen! Was um
ferner die eigentliche Kriegspolitik der Nationalliberalen anlangt, so wird man
Mvisz gern zugestehen, daß sie patriotisch war. Aber ein richtiges Urteil über
die uns zur Verfügung stehenden Kräfte, besonders wieviel unsere moralischen Kräfte
noch auszuhalten vermochten, hat sienicht gehabt. Diese so recht eigentlich staatsmännische
Gabe, die die Deutsche Volkspartei mit Recht sowohl an den Vertretern der alten
Regierung wie an den Führern der Revolution verwißt, die hat Herr Dr. Strese¬
mann bis jetzt auch nicht bewiesen, der früher der Führer der Natioualiiberalen
war, und den die Volkspartei jetzt wieder auf den Schild erhoben hat. Herr
Dr. Stresemann hat auf dem Jenaer Parteitag eine wirklich glänzende Programm-
rede gehalten. Doch braucht der glänzende Redner noch kein Staatsmann zu
sein, wie unter anderm Scheidemann beweist. staatsmännische Fähigkeiten hat
Herr Stresemann erst noch kundzutun. Nur wenn er sie besitzt, hat die Deutsche
Volkspartei Aussicht, unter seiner Führung eine große Partei zu werden. Herr
Stresemann gab in Jena seiner Bewunderung für Clemencean Ausdruck. So wie
der französische Ministerpräsident mit rücksichtsloser Faust alle Defaitisten nieder¬
gehalten, und wie er, als die deutschen Kanonen gegen Paris donnerten und die
französisch-englische Front bei Amiens wankte, mit eiserner Stirn in der französischen
Kammer gesagt habe, es stehe alles gut, so hätte auch der deutsche Politiker noch
bierundzwanzig Stunden vor dem Zusammenbruch behaupten müssen, der Sieg
lei sicher. Aber Stresemann irrt, wenn er glaubt, der deutsche Politiker sei in
derselben Lage gewesen, wie Clemenceau. Dieser wußte, daß die amerikanischen
Reserven nahe waren. Er wußte, daß seine Suggestion nur über einen schwierigen
Augenblick hinwegzuhelfen brauchte. Das deutsche Volk aber hatte keine fremde
Hilfe zu erwarten, es hätte die Kräfte zum weiteren Widerstande ganz aus sich
"Lein nehmen müssen. Solche Kräfte aber erzeugt man nicht durch Suuglstion
und eiserne Stirn, sondern allein dnrch die sittliche Macht der Wahrheit. Jm
Sommer 1918 war der Augenblick da. wo alle gefärbten Berichte über unsere
Lage endgültig aufhörten, staatsmännisch zu sein, wo man dem Volke den Abgrund
U"e zeigen müssen, vor dem es stand, im festen Vertrauen daraus, daß die
Wahrheit allein unsere Kraft noch einmal stählen konnte, wenn daS Volk wirtlich
noch sittliche Qualitäten besaß. Dergleichen hat Herr Stresemann auf der Tribüne
des Reichstags nicht gesagt, und in der Lage Clemenceaus, wie er anscheinend
glaubte, war der deutsche Politiker nicht.

Stresemann hat in Jena versucht, die unmittelbare Schuld am Zusammen¬
bruch in erster Linie der unverzeihlicher Schwäche des Prinzen Max um Baden
aufzubürden. Ich glaube aber nicht, daß die Geschichte einst, wenn sie Schuldige
im fürstlichen Purpur suchen sollte, gerade diesen Erben der Zähringer Krone allein
verantwortlich machen wird, weil er als letzter Reichskanzler an der formell ver¬
antwortlichen Stelle stand. Die Verantwortung verteilt sich ans viel zahlreichere
Schultern. Auch der Nationaltiberalismus hat sie mit zu tragen. Stresemann
sagte in Jena mit Recht, der Liberalisinus hätte selbst rechtzeitig die Führung bei


Der Jenaer Parteimg der Deutschen Volkspartei

sehen Neichsgedcmken, weit weniger an den spezifisch nntionalliberalen Parteigeist.
Dieser kann nicht erhalten bleiben, sonst müßte die Volkspartei unrettbar in den
lsumpfgeraten. Denn der nationaliibcrale Geist hat abgewirtschaftet, so gründlich, doch
er nicht wieder kommen kann. Wir können nicht an die abgerissenen, zerzausten
Fäden von gestern anknüpfen.

Abgewirtschaftet hat der Geist der nationalliberalen Fraktion des ehemaligen
preußischen Dreiklassenlandtags, der gerade vor einem Jahre, am 1. Mai 1918,
dnrch den Mund des Abgeordneten Dr. Lohmann der Angst vor dem gleichen
Wahlrecht Ausdruck gab. DKse Leute haben damals den Namen Nntionalliberal
für unsere heutige nachrevolutionäre Zeit unheilbar kompromittiert, nicht weil es
an sich ein Verbrechen wäre, nicht sür das gleiche Wahlrecht zu schwärmen,
sondern weil es eine böse staatsmännischs Blamage ist, ein halbes Jahr vor einer
Revolution, deren grösstes Miel das gleicbeWahlrecht gewiß nicht ist, die Schrecken dieses
Wahlrechts derart an die Wand zu malen. Ach hätten wir doch weiter keine Schrecken
erlebt, als sie damals Herr Dr. Lohmann glaubte bannen zu müssen! Was um
ferner die eigentliche Kriegspolitik der Nationalliberalen anlangt, so wird man
Mvisz gern zugestehen, daß sie patriotisch war. Aber ein richtiges Urteil über
die uns zur Verfügung stehenden Kräfte, besonders wieviel unsere moralischen Kräfte
noch auszuhalten vermochten, hat sienicht gehabt. Diese so recht eigentlich staatsmännische
Gabe, die die Deutsche Volkspartei mit Recht sowohl an den Vertretern der alten
Regierung wie an den Führern der Revolution verwißt, die hat Herr Dr. Strese¬
mann bis jetzt auch nicht bewiesen, der früher der Führer der Natioualiiberalen
war, und den die Volkspartei jetzt wieder auf den Schild erhoben hat. Herr
Dr. Stresemann hat auf dem Jenaer Parteitag eine wirklich glänzende Programm-
rede gehalten. Doch braucht der glänzende Redner noch kein Staatsmann zu
sein, wie unter anderm Scheidemann beweist. staatsmännische Fähigkeiten hat
Herr Stresemann erst noch kundzutun. Nur wenn er sie besitzt, hat die Deutsche
Volkspartei Aussicht, unter seiner Führung eine große Partei zu werden. Herr
Stresemann gab in Jena seiner Bewunderung für Clemencean Ausdruck. So wie
der französische Ministerpräsident mit rücksichtsloser Faust alle Defaitisten nieder¬
gehalten, und wie er, als die deutschen Kanonen gegen Paris donnerten und die
französisch-englische Front bei Amiens wankte, mit eiserner Stirn in der französischen
Kammer gesagt habe, es stehe alles gut, so hätte auch der deutsche Politiker noch
bierundzwanzig Stunden vor dem Zusammenbruch behaupten müssen, der Sieg
lei sicher. Aber Stresemann irrt, wenn er glaubt, der deutsche Politiker sei in
derselben Lage gewesen, wie Clemenceau. Dieser wußte, daß die amerikanischen
Reserven nahe waren. Er wußte, daß seine Suggestion nur über einen schwierigen
Augenblick hinwegzuhelfen brauchte. Das deutsche Volk aber hatte keine fremde
Hilfe zu erwarten, es hätte die Kräfte zum weiteren Widerstande ganz aus sich
»Lein nehmen müssen. Solche Kräfte aber erzeugt man nicht durch Suuglstion
und eiserne Stirn, sondern allein dnrch die sittliche Macht der Wahrheit. Jm
Sommer 1918 war der Augenblick da. wo alle gefärbten Berichte über unsere
Lage endgültig aufhörten, staatsmännisch zu sein, wo man dem Volke den Abgrund
U»e zeigen müssen, vor dem es stand, im festen Vertrauen daraus, daß die
Wahrheit allein unsere Kraft noch einmal stählen konnte, wenn daS Volk wirtlich
noch sittliche Qualitäten besaß. Dergleichen hat Herr Stresemann auf der Tribüne
des Reichstags nicht gesagt, und in der Lage Clemenceaus, wie er anscheinend
glaubte, war der deutsche Politiker nicht.

Stresemann hat in Jena versucht, die unmittelbare Schuld am Zusammen¬
bruch in erster Linie der unverzeihlicher Schwäche des Prinzen Max um Baden
aufzubürden. Ich glaube aber nicht, daß die Geschichte einst, wenn sie Schuldige
im fürstlichen Purpur suchen sollte, gerade diesen Erben der Zähringer Krone allein
verantwortlich machen wird, weil er als letzter Reichskanzler an der formell ver¬
antwortlichen Stelle stand. Die Verantwortung verteilt sich ans viel zahlreichere
Schultern. Auch der Nationaltiberalismus hat sie mit zu tragen. Stresemann
sagte in Jena mit Recht, der Liberalisinus hätte selbst rechtzeitig die Führung bei


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[0171] Der Jenaer Parteimg der Deutschen Volkspartei sehen Neichsgedcmken, weit weniger an den spezifisch nntionalliberalen Parteigeist. Dieser kann nicht erhalten bleiben, sonst müßte die Volkspartei unrettbar in den lsumpfgeraten. Denn der nationaliibcrale Geist hat abgewirtschaftet, so gründlich, doch er nicht wieder kommen kann. Wir können nicht an die abgerissenen, zerzausten Fäden von gestern anknüpfen. Abgewirtschaftet hat der Geist der nationalliberalen Fraktion des ehemaligen preußischen Dreiklassenlandtags, der gerade vor einem Jahre, am 1. Mai 1918, dnrch den Mund des Abgeordneten Dr. Lohmann der Angst vor dem gleichen Wahlrecht Ausdruck gab. DKse Leute haben damals den Namen Nntionalliberal für unsere heutige nachrevolutionäre Zeit unheilbar kompromittiert, nicht weil es an sich ein Verbrechen wäre, nicht sür das gleiche Wahlrecht zu schwärmen, sondern weil es eine böse staatsmännischs Blamage ist, ein halbes Jahr vor einer Revolution, deren grösstes Miel das gleicbeWahlrecht gewiß nicht ist, die Schrecken dieses Wahlrechts derart an die Wand zu malen. Ach hätten wir doch weiter keine Schrecken erlebt, als sie damals Herr Dr. Lohmann glaubte bannen zu müssen! Was um ferner die eigentliche Kriegspolitik der Nationalliberalen anlangt, so wird man Mvisz gern zugestehen, daß sie patriotisch war. Aber ein richtiges Urteil über die uns zur Verfügung stehenden Kräfte, besonders wieviel unsere moralischen Kräfte noch auszuhalten vermochten, hat sienicht gehabt. Diese so recht eigentlich staatsmännische Gabe, die die Deutsche Volkspartei mit Recht sowohl an den Vertretern der alten Regierung wie an den Führern der Revolution verwißt, die hat Herr Dr. Strese¬ mann bis jetzt auch nicht bewiesen, der früher der Führer der Natioualiiberalen war, und den die Volkspartei jetzt wieder auf den Schild erhoben hat. Herr Dr. Stresemann hat auf dem Jenaer Parteitag eine wirklich glänzende Programm- rede gehalten. Doch braucht der glänzende Redner noch kein Staatsmann zu sein, wie unter anderm Scheidemann beweist. staatsmännische Fähigkeiten hat Herr Stresemann erst noch kundzutun. Nur wenn er sie besitzt, hat die Deutsche Volkspartei Aussicht, unter seiner Führung eine große Partei zu werden. Herr Stresemann gab in Jena seiner Bewunderung für Clemencean Ausdruck. So wie der französische Ministerpräsident mit rücksichtsloser Faust alle Defaitisten nieder¬ gehalten, und wie er, als die deutschen Kanonen gegen Paris donnerten und die französisch-englische Front bei Amiens wankte, mit eiserner Stirn in der französischen Kammer gesagt habe, es stehe alles gut, so hätte auch der deutsche Politiker noch bierundzwanzig Stunden vor dem Zusammenbruch behaupten müssen, der Sieg lei sicher. Aber Stresemann irrt, wenn er glaubt, der deutsche Politiker sei in derselben Lage gewesen, wie Clemenceau. Dieser wußte, daß die amerikanischen Reserven nahe waren. Er wußte, daß seine Suggestion nur über einen schwierigen Augenblick hinwegzuhelfen brauchte. Das deutsche Volk aber hatte keine fremde Hilfe zu erwarten, es hätte die Kräfte zum weiteren Widerstande ganz aus sich »Lein nehmen müssen. Solche Kräfte aber erzeugt man nicht durch Suuglstion und eiserne Stirn, sondern allein dnrch die sittliche Macht der Wahrheit. Jm Sommer 1918 war der Augenblick da. wo alle gefärbten Berichte über unsere Lage endgültig aufhörten, staatsmännisch zu sein, wo man dem Volke den Abgrund U»e zeigen müssen, vor dem es stand, im festen Vertrauen daraus, daß die Wahrheit allein unsere Kraft noch einmal stählen konnte, wenn daS Volk wirtlich noch sittliche Qualitäten besaß. Dergleichen hat Herr Stresemann auf der Tribüne des Reichstags nicht gesagt, und in der Lage Clemenceaus, wie er anscheinend glaubte, war der deutsche Politiker nicht. Stresemann hat in Jena versucht, die unmittelbare Schuld am Zusammen¬ bruch in erster Linie der unverzeihlicher Schwäche des Prinzen Max um Baden aufzubürden. Ich glaube aber nicht, daß die Geschichte einst, wenn sie Schuldige im fürstlichen Purpur suchen sollte, gerade diesen Erben der Zähringer Krone allein verantwortlich machen wird, weil er als letzter Reichskanzler an der formell ver¬ antwortlichen Stelle stand. Die Verantwortung verteilt sich ans viel zahlreichere Schultern. Auch der Nationaltiberalismus hat sie mit zu tragen. Stresemann sagte in Jena mit Recht, der Liberalisinus hätte selbst rechtzeitig die Führung bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/171>, abgerufen am 15.05.2024.