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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Der Jenaer Parteitag der Deutschen Volkspartei

in gesunder Weise mischen. Gegenwärtig, wo wir so notwendig die' Initiative
des Unternehmers brauchen, führe der Staatsbetrieb nicht aus dem Zusammen¬
bruch heraus. Der Staat solle froh sein, wenn er im Arbeitskampfe jetzt nicht
Partei zu sein brauche, sondern Schiedsrichter sein könne. Das Reich soll zum
Mitbesitzer an allen Unternehmungen gemacht werden. Der bolschewistische Ge¬
danke der Nöte könne für unsere Wirtschaft- und Sozialpolitik fruchtbar gemacht
werden. In der Tat hat man ja auch auf konservativer Seite bereits entdeckt,
daß der Gedanke der Nöte alte konservative ständische Prinzipien wieder erneuert.
Aus den Räten, meinte Stresemcmn, könne leicht ein Wirtschafts- und Sozial-
Parlament aufgebaut werden, das die politischen Parteien von der Tyrcmnien der
Interessengruppen ein gut Stück befreie und dem gesetzgebenden politischen
Parlament entscheidende Vorarbeit leisten könne. Und der Abgeordnete Dr. Heinze
fügte hinzu: man dürfe sich vor dem Rätegedanken nicht deswegen bekreuzigen,
weil er von den Bolschewismen stamme, sondern man müsse das Brauchbare
nehmen, woher es auch komme. Das ist ein Grundsatz, den die Volkspartei
unserem doktrinären gebildeten Bürgertum nur ja recht einschärfen soll! Ein
Debatteredner trat sogar für die Übertragung der politischen Macht an ein aus
Nöten zusammengesetztes ständisches Parlament ein. Er blieb mit dieser Meinung
vereinzelt. Aber man merkt, wie der ständische Gedanke von rechts her wieder
das Haupt erhebt, sobald, wie wir es jetzt erleben, die parlamentarische Demo¬
kratie von links her leidenschaftlich angefochten wird.

Nach alledem hat die Deutsche Volkspartei sehr Wohl das Zeug dazu, dahin
zu wirken, daß der bürgerliche Liberalismus nicht bei reaktionären kapitalistischen
Anschauungen stehen bleibt, sondern daß sie ihm ein neues Programm schafft,
das Werbtkraft für die Zukunft hat. Es gilt aus dem kapitalistischen Zeitalter
zu retten das Gute, was es gekracht hat, vor allem die Initiative des Unter¬
nehmers und die Energie der Produktion. Bald werden die weitesten Volkskreise
nach einer Partei rufen, die gewillt ist, dem sozialdemokratischen Ansturm auf
diese Güter entgegenzutreten. Es gilt aber weiter auch, die Auswüchse des
Kapitalismus zu beseitigen, Formen zu finden, in denen das werktätige Volk ein
Mitbestimmungsrccht über die Ausnutzung des deutschen Bodens und seiner
Schätze wie über die Erzeugnisse der industriellen Verarbeitung bekommt. Hier
wuß die Volkspartei sozialistischen Gedanken weiten Raum geben. Wahrscheinlich
werden in den nächsten Jahren Hunderttausende oder Millionen Hände in der
uidustriellen Produktion überflüssig werden, weil uns die Nohstoffzufuhr stark
beschnitten bleiben wird. Wenn diese Millionen nicht zur Auswanderung getrieben
werden sollen, müssen sie auf dem Lande untergebracht werden. Der Jenaer
Parteitag hat sich in richtiger Erkenntnis, daß schnelles Eingreifen hier nottut,
für energische Siedelungspolitik und Bodenreform erklärt.

Leider ist die Aussicht äußerst gering, daß es gelingen wird, wirkliche
fassen aus den überfüllten Städten hinaus aufs Land zu bringen. Die Massen
haben keine Lust; die sittlichen Voraussetzungen für die Freude am bäuerlichen
Dasein, das auf die Genüsse der Großstadt verzichten muß. fehlen ihnen. Aber
wenn auch jetzt von den Erwachsenen Hunderttausende ins Ausland abwanderten,
könnte man doch wenigstens die heranwachsende Generation zu einer erneuerten
Sittlichkeit zu erziehen suchen. Das wird freilich nur möglich sein bei einer
Muhzeitigen Erneuerung der religiösen Weltanschauung in den städtischen
lassen, und diese wieder ist solange unmöglich, als nicht die Gebildeten sich
entschließen, die religiöse Bedeutung ihres eigenen Verhältnisses zur Kirche viel
Muster zu nehmen. Die kirchliche Autorität bei den' Massen muß versagen,
wenn die Gebildeten sie für sich nicht gelten lassen. Wie will man aber ohne
^ligiöse und sittliche Autorität die Massen erziehenl Das Kulturprogramm der
Deutschen Volkspartei ist schön und gut. Aber wenn man die verhältnismäßig
gleichgültige Zustimmung, die diese Programmpunkte fanden, mit dem stürmischen
-vnfall vergleicht, der sonstigen Kraftstellen der Redner zuteil wurde, dann nutz
wan fürchten, daß der materialistische Geist der Zeit auch in der Volkspartei noch


Grenzboten II 1819 14
Der Jenaer Parteitag der Deutschen Volkspartei

in gesunder Weise mischen. Gegenwärtig, wo wir so notwendig die' Initiative
des Unternehmers brauchen, führe der Staatsbetrieb nicht aus dem Zusammen¬
bruch heraus. Der Staat solle froh sein, wenn er im Arbeitskampfe jetzt nicht
Partei zu sein brauche, sondern Schiedsrichter sein könne. Das Reich soll zum
Mitbesitzer an allen Unternehmungen gemacht werden. Der bolschewistische Ge¬
danke der Nöte könne für unsere Wirtschaft- und Sozialpolitik fruchtbar gemacht
werden. In der Tat hat man ja auch auf konservativer Seite bereits entdeckt,
daß der Gedanke der Nöte alte konservative ständische Prinzipien wieder erneuert.
Aus den Räten, meinte Stresemcmn, könne leicht ein Wirtschafts- und Sozial-
Parlament aufgebaut werden, das die politischen Parteien von der Tyrcmnien der
Interessengruppen ein gut Stück befreie und dem gesetzgebenden politischen
Parlament entscheidende Vorarbeit leisten könne. Und der Abgeordnete Dr. Heinze
fügte hinzu: man dürfe sich vor dem Rätegedanken nicht deswegen bekreuzigen,
weil er von den Bolschewismen stamme, sondern man müsse das Brauchbare
nehmen, woher es auch komme. Das ist ein Grundsatz, den die Volkspartei
unserem doktrinären gebildeten Bürgertum nur ja recht einschärfen soll! Ein
Debatteredner trat sogar für die Übertragung der politischen Macht an ein aus
Nöten zusammengesetztes ständisches Parlament ein. Er blieb mit dieser Meinung
vereinzelt. Aber man merkt, wie der ständische Gedanke von rechts her wieder
das Haupt erhebt, sobald, wie wir es jetzt erleben, die parlamentarische Demo¬
kratie von links her leidenschaftlich angefochten wird.

Nach alledem hat die Deutsche Volkspartei sehr Wohl das Zeug dazu, dahin
zu wirken, daß der bürgerliche Liberalismus nicht bei reaktionären kapitalistischen
Anschauungen stehen bleibt, sondern daß sie ihm ein neues Programm schafft,
das Werbtkraft für die Zukunft hat. Es gilt aus dem kapitalistischen Zeitalter
zu retten das Gute, was es gekracht hat, vor allem die Initiative des Unter¬
nehmers und die Energie der Produktion. Bald werden die weitesten Volkskreise
nach einer Partei rufen, die gewillt ist, dem sozialdemokratischen Ansturm auf
diese Güter entgegenzutreten. Es gilt aber weiter auch, die Auswüchse des
Kapitalismus zu beseitigen, Formen zu finden, in denen das werktätige Volk ein
Mitbestimmungsrccht über die Ausnutzung des deutschen Bodens und seiner
Schätze wie über die Erzeugnisse der industriellen Verarbeitung bekommt. Hier
wuß die Volkspartei sozialistischen Gedanken weiten Raum geben. Wahrscheinlich
werden in den nächsten Jahren Hunderttausende oder Millionen Hände in der
uidustriellen Produktion überflüssig werden, weil uns die Nohstoffzufuhr stark
beschnitten bleiben wird. Wenn diese Millionen nicht zur Auswanderung getrieben
werden sollen, müssen sie auf dem Lande untergebracht werden. Der Jenaer
Parteitag hat sich in richtiger Erkenntnis, daß schnelles Eingreifen hier nottut,
für energische Siedelungspolitik und Bodenreform erklärt.

Leider ist die Aussicht äußerst gering, daß es gelingen wird, wirkliche
fassen aus den überfüllten Städten hinaus aufs Land zu bringen. Die Massen
haben keine Lust; die sittlichen Voraussetzungen für die Freude am bäuerlichen
Dasein, das auf die Genüsse der Großstadt verzichten muß. fehlen ihnen. Aber
wenn auch jetzt von den Erwachsenen Hunderttausende ins Ausland abwanderten,
könnte man doch wenigstens die heranwachsende Generation zu einer erneuerten
Sittlichkeit zu erziehen suchen. Das wird freilich nur möglich sein bei einer
Muhzeitigen Erneuerung der religiösen Weltanschauung in den städtischen
lassen, und diese wieder ist solange unmöglich, als nicht die Gebildeten sich
entschließen, die religiöse Bedeutung ihres eigenen Verhältnisses zur Kirche viel
Muster zu nehmen. Die kirchliche Autorität bei den' Massen muß versagen,
wenn die Gebildeten sie für sich nicht gelten lassen. Wie will man aber ohne
^ligiöse und sittliche Autorität die Massen erziehenl Das Kulturprogramm der
Deutschen Volkspartei ist schön und gut. Aber wenn man die verhältnismäßig
gleichgültige Zustimmung, die diese Programmpunkte fanden, mit dem stürmischen
-vnfall vergleicht, der sonstigen Kraftstellen der Redner zuteil wurde, dann nutz
wan fürchten, daß der materialistische Geist der Zeit auch in der Volkspartei noch


Grenzboten II 1819 14
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[0173] Der Jenaer Parteitag der Deutschen Volkspartei in gesunder Weise mischen. Gegenwärtig, wo wir so notwendig die' Initiative des Unternehmers brauchen, führe der Staatsbetrieb nicht aus dem Zusammen¬ bruch heraus. Der Staat solle froh sein, wenn er im Arbeitskampfe jetzt nicht Partei zu sein brauche, sondern Schiedsrichter sein könne. Das Reich soll zum Mitbesitzer an allen Unternehmungen gemacht werden. Der bolschewistische Ge¬ danke der Nöte könne für unsere Wirtschaft- und Sozialpolitik fruchtbar gemacht werden. In der Tat hat man ja auch auf konservativer Seite bereits entdeckt, daß der Gedanke der Nöte alte konservative ständische Prinzipien wieder erneuert. Aus den Räten, meinte Stresemcmn, könne leicht ein Wirtschafts- und Sozial- Parlament aufgebaut werden, das die politischen Parteien von der Tyrcmnien der Interessengruppen ein gut Stück befreie und dem gesetzgebenden politischen Parlament entscheidende Vorarbeit leisten könne. Und der Abgeordnete Dr. Heinze fügte hinzu: man dürfe sich vor dem Rätegedanken nicht deswegen bekreuzigen, weil er von den Bolschewismen stamme, sondern man müsse das Brauchbare nehmen, woher es auch komme. Das ist ein Grundsatz, den die Volkspartei unserem doktrinären gebildeten Bürgertum nur ja recht einschärfen soll! Ein Debatteredner trat sogar für die Übertragung der politischen Macht an ein aus Nöten zusammengesetztes ständisches Parlament ein. Er blieb mit dieser Meinung vereinzelt. Aber man merkt, wie der ständische Gedanke von rechts her wieder das Haupt erhebt, sobald, wie wir es jetzt erleben, die parlamentarische Demo¬ kratie von links her leidenschaftlich angefochten wird. Nach alledem hat die Deutsche Volkspartei sehr Wohl das Zeug dazu, dahin zu wirken, daß der bürgerliche Liberalismus nicht bei reaktionären kapitalistischen Anschauungen stehen bleibt, sondern daß sie ihm ein neues Programm schafft, das Werbtkraft für die Zukunft hat. Es gilt aus dem kapitalistischen Zeitalter zu retten das Gute, was es gekracht hat, vor allem die Initiative des Unter¬ nehmers und die Energie der Produktion. Bald werden die weitesten Volkskreise nach einer Partei rufen, die gewillt ist, dem sozialdemokratischen Ansturm auf diese Güter entgegenzutreten. Es gilt aber weiter auch, die Auswüchse des Kapitalismus zu beseitigen, Formen zu finden, in denen das werktätige Volk ein Mitbestimmungsrccht über die Ausnutzung des deutschen Bodens und seiner Schätze wie über die Erzeugnisse der industriellen Verarbeitung bekommt. Hier wuß die Volkspartei sozialistischen Gedanken weiten Raum geben. Wahrscheinlich werden in den nächsten Jahren Hunderttausende oder Millionen Hände in der uidustriellen Produktion überflüssig werden, weil uns die Nohstoffzufuhr stark beschnitten bleiben wird. Wenn diese Millionen nicht zur Auswanderung getrieben werden sollen, müssen sie auf dem Lande untergebracht werden. Der Jenaer Parteitag hat sich in richtiger Erkenntnis, daß schnelles Eingreifen hier nottut, für energische Siedelungspolitik und Bodenreform erklärt. Leider ist die Aussicht äußerst gering, daß es gelingen wird, wirkliche fassen aus den überfüllten Städten hinaus aufs Land zu bringen. Die Massen haben keine Lust; die sittlichen Voraussetzungen für die Freude am bäuerlichen Dasein, das auf die Genüsse der Großstadt verzichten muß. fehlen ihnen. Aber wenn auch jetzt von den Erwachsenen Hunderttausende ins Ausland abwanderten, könnte man doch wenigstens die heranwachsende Generation zu einer erneuerten Sittlichkeit zu erziehen suchen. Das wird freilich nur möglich sein bei einer Muhzeitigen Erneuerung der religiösen Weltanschauung in den städtischen lassen, und diese wieder ist solange unmöglich, als nicht die Gebildeten sich entschließen, die religiöse Bedeutung ihres eigenen Verhältnisses zur Kirche viel Muster zu nehmen. Die kirchliche Autorität bei den' Massen muß versagen, wenn die Gebildeten sie für sich nicht gelten lassen. Wie will man aber ohne ^ligiöse und sittliche Autorität die Massen erziehenl Das Kulturprogramm der Deutschen Volkspartei ist schön und gut. Aber wenn man die verhältnismäßig gleichgültige Zustimmung, die diese Programmpunkte fanden, mit dem stürmischen -vnfall vergleicht, der sonstigen Kraftstellen der Redner zuteil wurde, dann nutz wan fürchten, daß der materialistische Geist der Zeit auch in der Volkspartei noch Grenzboten II 1819 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/173>, abgerufen am 15.05.2024.