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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Nationalitätsprinzip und Staatsnvergesellschaftung

Status als ewigen Zustand der europäischen Staatengesellschaft nicht anzuerkennen,
ebensowenig wie sich Italien mit der 1866 erreichten Abgrenzung seines Staats¬
gebietes und Frankreich mit der 1371 getroffenen Regelung zufrieden gab. Am
I.August 1914 sank die europäische Staatengesellschaft in den Abgrund, wo sie
zerschmettert liegen blieb. Der Verlauf des Weltkrieges stellte den Kriegführenden
dann die Aufgabe, neben der Errichtung neuer Nationalstaaten und der Neu-
abgrcnzung der bisherigen auf dem alten Kulturboden unseres Festlandes darüber
hinaus einen Weltstaatenbund zu schaffen. Die alliierten und assoziierten Mächte
glauben die erste Aufgabe, die der Neuordnung Europas, in dem Versailler
Friedenswerk, Wilson die zweite in dem von ihm betreuten Völkerbund erfüllt
zu haben.

Aber sieht man sich nun den Verscüller Friedensvertrag und den Völkerbund,
den der Präsident der Vereinigten Staaten bevormundet, an, so muß selbst ein
Neutraler, auch wenn er während des Krieges mit unseren Gegnern svnnpathiiicrt
hat, zugeben, das; von dem Gedanken in keiner Weise die Rede ist, der normaler¬
weise einem Knege folgen soll, dem Gedanken der Staatenvergcsellschaftung. Wenn
sonst zwei Parteien die Feindseligkeiten beendeten, so taten sie es doch, um wieder
gemeinsam auf neuem Vertragsboden zusammenzuarbeiten. Eine für unsere
Generation unvergeßliche Ausnahme machten die Franzosen, indem sie 1871 den
Frankfurter Frieden mit dem Vorbehalt der Revanche schlössen; eine zweite der
Panslawismus, der vom Berliner Kongreß unbefriedigt mit dnn Wunsch nach
Rache zurückkehrte; eine letzte die Bulgaren, die nach dem Bnkarester Frieden 191^
ihre Fahnen mit der Hoffnung aus den Tag der Vergeltung zusammenrollten.
Der jetzige Versailler Friede aber bedeutet die Ausnutzung zufälliger und augen¬
blicklicher llberlegenh(itsmomente, durch die die Franzosen uns Deutsche sich in
respektvoller Ferne vom Leibe halten wollen. Und der Wilsonsche Völkerbund
enthält nicht den Zusammenschluß aller Nationen, sondern die Gegenübetstellung
einer Herrenorganisation und eines zusammenhanglosen Hansens geknechteter
Staaten. Man hat den Vismarckschen Friedensschlüssen, die doch ausdrücklich die
Wiederaufnahme des Verkehrs zwischen Gleichberechtigten, wie der von Nikolsburg
sogar die Freundschaft und das Bündnis mit dein Besiegten im Auge hatten,
vorgeworfen, daß sie das Macktmoment ausgenutzt hätten. Man wird den
sogenannten Friedensverträgen des Dreigestirns Clemenceau, Lloyd George und
Wilson mit mehr Recht den gleichen Vorwurf machen müssen. Entweder also:
die heutige Welt, soweit sie von ein paar Diktatoren regiert wird, hat aus den
Erfahrungen eines äVzjährigen Krieges immer noch nichts gelernt, oder es ist
überhaupt nicht möglich, die Staatenpolitik von dem Gesetz des Machtgedankcns
zu befreien.

Oder -- und das scheint mir das richtige zu sein -- der nationale Macht¬
wille ist nicht umzubringen; aber er wird und muß beeinflußt werden von der
Theorie und Praxis des Zusammenschlusses der Völker.

Daß Wilson das Verhältnis dieser beiden Gedanken nicht gefunden und
nicht durch einen vernunftgemäßen Friedensvertrag auszudrücken verstanden hat,
das bleibt die ungeheure Schuld dieses Mannes, der sich die Aufgabe zugetraut
hat, Richter zwischen der alten und der neuen Welt zu werden. Sein Ruhm geht
an dieser Unfähigkeit, ein von ihm verkündetes Ideal zu verwirklichen, elend
zugrunde.

So müssen wir nach dem Scheitern der Wilsonschen Absicht, einen dauernden
Frieden für die gesamte Welt zu errichten, zu dem Gedanken zurückkehren, ein
Verhältnis zwischen dem Nationalitntsprinzip und dem Bestreben nach Ver¬
gesellschaftung der Staaten zu finden, das für eine Reihe von Jahren Dauer
verspricht. Ein Ewigkeitsgesctz, wie es Wilson durch seinen Völkerbund zu
stabilisieren versucht, gibt es nicht. Also schließen wir Kompromisse ans Zeit.

Und welcher Art sind diese Kompromisse?

Wilsons Völkerliga geht von dem staatspolitischen Gedanken aus. Der
Präsident der Vereinigten Staaten spricht zwar dauernd von dem Selbst-


Nationalitätsprinzip und Staatsnvergesellschaftung

Status als ewigen Zustand der europäischen Staatengesellschaft nicht anzuerkennen,
ebensowenig wie sich Italien mit der 1866 erreichten Abgrenzung seines Staats¬
gebietes und Frankreich mit der 1371 getroffenen Regelung zufrieden gab. Am
I.August 1914 sank die europäische Staatengesellschaft in den Abgrund, wo sie
zerschmettert liegen blieb. Der Verlauf des Weltkrieges stellte den Kriegführenden
dann die Aufgabe, neben der Errichtung neuer Nationalstaaten und der Neu-
abgrcnzung der bisherigen auf dem alten Kulturboden unseres Festlandes darüber
hinaus einen Weltstaatenbund zu schaffen. Die alliierten und assoziierten Mächte
glauben die erste Aufgabe, die der Neuordnung Europas, in dem Versailler
Friedenswerk, Wilson die zweite in dem von ihm betreuten Völkerbund erfüllt
zu haben.

Aber sieht man sich nun den Verscüller Friedensvertrag und den Völkerbund,
den der Präsident der Vereinigten Staaten bevormundet, an, so muß selbst ein
Neutraler, auch wenn er während des Krieges mit unseren Gegnern svnnpathiiicrt
hat, zugeben, das; von dem Gedanken in keiner Weise die Rede ist, der normaler¬
weise einem Knege folgen soll, dem Gedanken der Staatenvergcsellschaftung. Wenn
sonst zwei Parteien die Feindseligkeiten beendeten, so taten sie es doch, um wieder
gemeinsam auf neuem Vertragsboden zusammenzuarbeiten. Eine für unsere
Generation unvergeßliche Ausnahme machten die Franzosen, indem sie 1871 den
Frankfurter Frieden mit dem Vorbehalt der Revanche schlössen; eine zweite der
Panslawismus, der vom Berliner Kongreß unbefriedigt mit dnn Wunsch nach
Rache zurückkehrte; eine letzte die Bulgaren, die nach dem Bnkarester Frieden 191^
ihre Fahnen mit der Hoffnung aus den Tag der Vergeltung zusammenrollten.
Der jetzige Versailler Friede aber bedeutet die Ausnutzung zufälliger und augen¬
blicklicher llberlegenh(itsmomente, durch die die Franzosen uns Deutsche sich in
respektvoller Ferne vom Leibe halten wollen. Und der Wilsonsche Völkerbund
enthält nicht den Zusammenschluß aller Nationen, sondern die Gegenübetstellung
einer Herrenorganisation und eines zusammenhanglosen Hansens geknechteter
Staaten. Man hat den Vismarckschen Friedensschlüssen, die doch ausdrücklich die
Wiederaufnahme des Verkehrs zwischen Gleichberechtigten, wie der von Nikolsburg
sogar die Freundschaft und das Bündnis mit dein Besiegten im Auge hatten,
vorgeworfen, daß sie das Macktmoment ausgenutzt hätten. Man wird den
sogenannten Friedensverträgen des Dreigestirns Clemenceau, Lloyd George und
Wilson mit mehr Recht den gleichen Vorwurf machen müssen. Entweder also:
die heutige Welt, soweit sie von ein paar Diktatoren regiert wird, hat aus den
Erfahrungen eines äVzjährigen Krieges immer noch nichts gelernt, oder es ist
überhaupt nicht möglich, die Staatenpolitik von dem Gesetz des Machtgedankcns
zu befreien.

Oder — und das scheint mir das richtige zu sein — der nationale Macht¬
wille ist nicht umzubringen; aber er wird und muß beeinflußt werden von der
Theorie und Praxis des Zusammenschlusses der Völker.

Daß Wilson das Verhältnis dieser beiden Gedanken nicht gefunden und
nicht durch einen vernunftgemäßen Friedensvertrag auszudrücken verstanden hat,
das bleibt die ungeheure Schuld dieses Mannes, der sich die Aufgabe zugetraut
hat, Richter zwischen der alten und der neuen Welt zu werden. Sein Ruhm geht
an dieser Unfähigkeit, ein von ihm verkündetes Ideal zu verwirklichen, elend
zugrunde.

So müssen wir nach dem Scheitern der Wilsonschen Absicht, einen dauernden
Frieden für die gesamte Welt zu errichten, zu dem Gedanken zurückkehren, ein
Verhältnis zwischen dem Nationalitntsprinzip und dem Bestreben nach Ver¬
gesellschaftung der Staaten zu finden, das für eine Reihe von Jahren Dauer
verspricht. Ein Ewigkeitsgesctz, wie es Wilson durch seinen Völkerbund zu
stabilisieren versucht, gibt es nicht. Also schließen wir Kompromisse ans Zeit.

Und welcher Art sind diese Kompromisse?

Wilsons Völkerliga geht von dem staatspolitischen Gedanken aus. Der
Präsident der Vereinigten Staaten spricht zwar dauernd von dem Selbst-


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[0230] Nationalitätsprinzip und Staatsnvergesellschaftung Status als ewigen Zustand der europäischen Staatengesellschaft nicht anzuerkennen, ebensowenig wie sich Italien mit der 1866 erreichten Abgrenzung seines Staats¬ gebietes und Frankreich mit der 1371 getroffenen Regelung zufrieden gab. Am I.August 1914 sank die europäische Staatengesellschaft in den Abgrund, wo sie zerschmettert liegen blieb. Der Verlauf des Weltkrieges stellte den Kriegführenden dann die Aufgabe, neben der Errichtung neuer Nationalstaaten und der Neu- abgrcnzung der bisherigen auf dem alten Kulturboden unseres Festlandes darüber hinaus einen Weltstaatenbund zu schaffen. Die alliierten und assoziierten Mächte glauben die erste Aufgabe, die der Neuordnung Europas, in dem Versailler Friedenswerk, Wilson die zweite in dem von ihm betreuten Völkerbund erfüllt zu haben. Aber sieht man sich nun den Verscüller Friedensvertrag und den Völkerbund, den der Präsident der Vereinigten Staaten bevormundet, an, so muß selbst ein Neutraler, auch wenn er während des Krieges mit unseren Gegnern svnnpathiiicrt hat, zugeben, das; von dem Gedanken in keiner Weise die Rede ist, der normaler¬ weise einem Knege folgen soll, dem Gedanken der Staatenvergcsellschaftung. Wenn sonst zwei Parteien die Feindseligkeiten beendeten, so taten sie es doch, um wieder gemeinsam auf neuem Vertragsboden zusammenzuarbeiten. Eine für unsere Generation unvergeßliche Ausnahme machten die Franzosen, indem sie 1871 den Frankfurter Frieden mit dem Vorbehalt der Revanche schlössen; eine zweite der Panslawismus, der vom Berliner Kongreß unbefriedigt mit dnn Wunsch nach Rache zurückkehrte; eine letzte die Bulgaren, die nach dem Bnkarester Frieden 191^ ihre Fahnen mit der Hoffnung aus den Tag der Vergeltung zusammenrollten. Der jetzige Versailler Friede aber bedeutet die Ausnutzung zufälliger und augen¬ blicklicher llberlegenh(itsmomente, durch die die Franzosen uns Deutsche sich in respektvoller Ferne vom Leibe halten wollen. Und der Wilsonsche Völkerbund enthält nicht den Zusammenschluß aller Nationen, sondern die Gegenübetstellung einer Herrenorganisation und eines zusammenhanglosen Hansens geknechteter Staaten. Man hat den Vismarckschen Friedensschlüssen, die doch ausdrücklich die Wiederaufnahme des Verkehrs zwischen Gleichberechtigten, wie der von Nikolsburg sogar die Freundschaft und das Bündnis mit dein Besiegten im Auge hatten, vorgeworfen, daß sie das Macktmoment ausgenutzt hätten. Man wird den sogenannten Friedensverträgen des Dreigestirns Clemenceau, Lloyd George und Wilson mit mehr Recht den gleichen Vorwurf machen müssen. Entweder also: die heutige Welt, soweit sie von ein paar Diktatoren regiert wird, hat aus den Erfahrungen eines äVzjährigen Krieges immer noch nichts gelernt, oder es ist überhaupt nicht möglich, die Staatenpolitik von dem Gesetz des Machtgedankcns zu befreien. Oder — und das scheint mir das richtige zu sein — der nationale Macht¬ wille ist nicht umzubringen; aber er wird und muß beeinflußt werden von der Theorie und Praxis des Zusammenschlusses der Völker. Daß Wilson das Verhältnis dieser beiden Gedanken nicht gefunden und nicht durch einen vernunftgemäßen Friedensvertrag auszudrücken verstanden hat, das bleibt die ungeheure Schuld dieses Mannes, der sich die Aufgabe zugetraut hat, Richter zwischen der alten und der neuen Welt zu werden. Sein Ruhm geht an dieser Unfähigkeit, ein von ihm verkündetes Ideal zu verwirklichen, elend zugrunde. So müssen wir nach dem Scheitern der Wilsonschen Absicht, einen dauernden Frieden für die gesamte Welt zu errichten, zu dem Gedanken zurückkehren, ein Verhältnis zwischen dem Nationalitntsprinzip und dem Bestreben nach Ver¬ gesellschaftung der Staaten zu finden, das für eine Reihe von Jahren Dauer verspricht. Ein Ewigkeitsgesctz, wie es Wilson durch seinen Völkerbund zu stabilisieren versucht, gibt es nicht. Also schließen wir Kompromisse ans Zeit. Und welcher Art sind diese Kompromisse? Wilsons Völkerliga geht von dem staatspolitischen Gedanken aus. Der Präsident der Vereinigten Staaten spricht zwar dauernd von dem Selbst-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/230>, abgerufen am 15.05.2024.